Gastkommentar

Wichtig ist die Stabilität der Bezugsperson!

Stellt es aus Sicht der Psychologie einen Wert dar, Eltern die Erziehung ihrer Kleinkinder zu Hause zu ermöglichen - oder könnten dies Kindergärten und Kinderkrippen in gleicher Weise und Qualität erledigen? Dr. Werner Stangl, Universitätsprofessor am Linzer Institut für Pädagogik und Psychologie meint: Ja, dies stellt einen Wert dar. Die Stabilität der Bezugsperson spiele in der Entwicklung des Kleinkindes eine wichtige Rolle.

Der menschliche Säugling ist in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht eine Frühgeburt. Dass in physischer Hinsicht eine Betreuung notwendig ist, kann der jüngste tragische Fall in Wels belegen. In psychischer Hinsicht ist diese „Unfertigkeit" des Kindes eine Chance, durch Lernprozesse in vielfältiger Weise geformt zu werden (Spracherwerb). Diese Formung findet auch im Bereich der sozialen Beziehungen statt, wobei in den ersten Lebensjahren die Grundlage für spätere Entwicklungen gelegt wird.

Aus Sicht der Entwicklungspsychologie stellt es daher einen Wert dar, wenn eine Gesellschaft Bedingungen schafft, die Eltern die Erziehung ihrer Kinder zu Hause ermöglichen. Dabei spielt die Stabilität von Bezugspersonen eine wichtige Rolle.

Im ersten Lebensjahr sollte diese Bezugsperson vornehmlich die Mutter sein. Gegen Ende des ersten Lebensjahres kann dann eine weitere - ebenfalls feste - Bezugsperson teilweise diese Funktion übernehmen. Ein häufiger Wechsel kann zu seelischen Störungen und Fehlentwicklungen führen. Sind nämlich die frühkindlichen sozialen Erfahrungen negativ geprägt, so entwickelt sich statt eines für den Aufbau späterer Beziehungen notwendigen Urvertrauens ein Urmissvertrauen gegenüber der sozialen Umwelt.

In der entwicklungspsychologischen Forschung finden sich auch zahlreiche Hinweise für die Auswirkungen des Fehlens einer Hauptbezugsperson. In den ersten Lebensjahren wirkt sich Inkonsistenz im Verhalten von Bezugspersonen verunsichernd aus. Kommt es bei häufig wechselnden Pflegepersonen zu Bindungen, so sind diese meist aggressions- und angstdurchsetzt. Sozialkontakt wird aufgrund vieler negativer Erfahrungen dann als bedrohlich empfunden, so dass die soziale Grundeinstellung auf Verteidigung und Abwehr gerichtet ist.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass zwischen Kindern große Unterschiede bestehen, mit einem Wechsel von Bezugspersonen umzugehen beziehungsweise diesen zu bewältigen. Dies ist täglich in jedem Kindergarten zu erleben. Derartige Übergangsprobleme sind oft der erste sichtbare Ausdruck von fehlenden sozialen Fertigkeiten auf beiden Seiten.

Der Kommentar wurde verfaßt zum Thema: Frauen ignorieren Lockruf des Geldes


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Quelle: Neues Volksblatt vom Samstag, 17. März 2001, S. 7 (01-03-17)