[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Die Rolle der Erziehung bei Essstörungen*)

Literatur

 

Diketmüller, Rosa (2004). Essstörungen. Möglichkeiten und Grenzen der Thematisierung im Unterrichtsfach Leibesübungen. Krems: Frauenforum Leibeserziehung. Online: http://www.ffl.at/images/Schrift/SR_05.pdf (06-06-27)

Gerlinghoff, M. & Backmund, H. (2000). Was sind Ess-Störungen. Ein kleines Handbuch zur Diagnose, Therapie und Vorbeugung. Weinheim: Beltz.

Gruber, Ursula (2006). Essstörungen an Berufsbildenden Höheren Schulen Österreichs. Wahrnehmung, Behandlung, Prävention. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Johannes Kepler Universität Linz: PPP der jku.

Karwautz, Andreas (2001). Konzepte der stationären Behandlung von Essstörungen im Jugendalter. Ein kritischer Überblick. Online: www.univie.at/neuropsychiatrie/
docs/anstationaertherapiena/2001.pdf
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Lamers, L. & Mann, R. (Hrsg.) (2004). Essstörungen. Arbeit mit Selbsthilfegruppen. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Ludwig Boltzmann Institut für Frauengesundheitsforschung (2004). HBSC Factsheet Nr. 4.Die psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern. Wien: Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. Online: http://www.univie.ac.at/lbimgs/
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Habermas, Tilmann (2002). Substanzenmissbrauch und Ess-Störungen. In Oerter, R.; Montada, L. (Hrsg), (2002), Entwicklungspsychologie (S. 847 – 858). Weinheim: Beltz.

Masip, Guiomar, Silventoinen, Karri, Keski-Rahkonen, Anna, Palviainen, Teemu, Sipilä, Pyry N, Kaprio, Jaakko & Bogl, Leonie H. (2020). The genetic architecture of the association between eating behaviors and obesity: combining genetic twin modeling and polygenic risk scores. The American Journal of Clinical Nutrition, doi:10.1093/ajcn/nqaa181.

Stangl, W. (2004): Arbeitsblätter. Online: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SUCHT/Essstoerungen.shtml (06-06-27)

Werner, Susanne (2021). Kinder und Lebensmittelwerbung: „Selbstverpflichtungen bringen nichts“.
WWW: https://www.aerztezeitung.de/ Kooperationen/Kinder-und-Lebensmittelwerbung-Selbstverpflichtungen-bringen-nichts-417905.html (21-09-16)

OÖnachrichten vom 09.09.2008

http://www.aerztlichepraxis.de/ artikel_gz_ernaehrung_sattessen _122883766203.htm (09-08-08)

http://www.docs4you.at/Content.Node/ Vorsorgemedizin/Ernaehrung/index.php (11-04-26)

OÖN vom 15. Marz 2014

"Menschen trinken und essen, um sich zu ernähren und sich in Gesellschaft wohl zu fühlen" (vgl. Habermas 2002, S. 847), wobei der Nährwert zeitgeistiger Mahlzeiten an Bedeutung und Umfang permanent verliert. Essen erfüllt in erster Linie nicht nur die Funktion der Sättigung und der Versorgung mit Nährstoffen, sondern auch emotionale Aspekte spielen eine  große Rolle in der Ernährung von Jugendlichen. Stangl (2005, S. 1) schreibt der Nahrung im sozialen Kontext eine kommunikative Funktion neben der Zuweisung von Status (soziale Gruppeninklusion oder Exklusivitätsausdruck), Selbstwertgefühl und emotionaler Sicherheit (Verdrängung von Angst oder Schuldgefühlen) zu. Nahrungsaufnahme wird durchaus nicht nur vom Individuum selbst bestimmt, sondern unterliegt permanentem Legitimationsdruck durch die soziale Umwelt. Dadurch pendelt das Essverhalten, vorwiegend für Frauen, im ständigen Spannungsfeld zwischen "Wollen, Müssen und Nicht-Dürfen" (vgl. Gerlinghoff & Backmund  2000, S. 13f).

Die Eltern, im Besonderen die Mütter, fungieren mit ihrem eigenen Diätverhalten von früher Kindheit an als die stärksten Vorbilder für die zukünftigen Ernährungsgewohnheiten ihrer Kinder. Später engen eingangs erwähnte sozio-kulturelle Faktoren die Freiheit der alltäglichen Nahrungswahl zusätzlich ein. So ergibt sich, dass bereits 43% der Kinder an einem Münchner Gymnasium von im Schnitt 10,8 Jahren schon "einmal dünner" sein wollten, jedes zweite Mädchen und jeder dritte Junge mit seiner Figur unzufrieden ist (vgl. Gerlinghoff & Backmund 2000, S. 14).

Grundsätzlich lassen sich Störungen im Essverhalten und Essstörungen unterscheiden, wobei erstere oft eine Vorstufe von später diagnostizierten Essstörungen darstellen und Verhaltensweisen wie Sport zur Gewichtsreduktion, das Auslassen von Mahlzeiten, eine Liste verbotener Nahrungsmittel, das ausschließliche Essen von Light-Produkten oder Ähnliches umfassen. Normales Essverhalten bedeutet, das zu essen, was man essen möchte, dazu zählen persönliche Vorlieben, kulturelle Rituale, gesellschaftliche Aspekte und vieles mehr. Vegetarische Kost zählt an sich zu einem normalen Essverhalten, wobei es wichtig ist, sich mengenmäßig ausreichend und ausgewogen zu ernähren. Wenn der Körper über längere Zeit zu wenig Nahrung bekommt, kommt es zu Mangelerscheinungen und Folgeschäden wie Elektrolytstörungen, Kreislaufbeschwerden, Zahnschäden oder Schäden an der Speiseröhre, Osteoporose, Schädigung der Nägel und Haare, Flaumbehaarung und Verdauungsproblemen. Auf der psychischen Ebene kommt es zu Beeinträchtigungen in der Aufmerksamkeit, Konzentration sowie zu Gereiztheit. Die Entstehung von Essstörungen ist ein komplexes Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren. Auf der psychischen Ebene ist vor allem eine gestörte Emotionsregulation verantwortlich (Bewältigung von Gefühlen durch Essen oder Nicht-Essen), auf der biologischen Ebene spielen auch genetische Faktoren eine Rolle. Auf der sozialen Ebene ist das in der Gesellschaft und auch in den Medien verbreitete Bild von Schönheit entscheidend. Die Figurideale Thigh Gap und Bikini Bridge sind aktuelle Auswüchse des Schlankheitswahns.

Ernährungsmediziner unterscheiden zwei Grundtypen im Umgang mit Essen: Bei innenreizabhängigen Essern steht die Sättigung im Vordergrund, d.h., sie verzehren nur die Menge an Essen, die sie brauchen bis sie satt sind. Außenreizabhängige Esser hingegen werden schon früh auf Abhängigkeitssignale aus ihrem Umfeld geprägt, unter anderem durch die typischen Fragen besorgter Eltern: "Warum isst Du das nicht? "Warum isst Du so viel?" "Warum isst Du so wenig?". Solche Kinder neigen dazu, ein gestörtes Verhältnis zum Essen zu entwickeln, denn auch später essen sie entweder alles angebotene auf, womöglich sogar bis ihnen übel wird, oder sie schränken ihre Nahrungsaufnahme stark ein. Diäthalten beispielsweise bedeutet letztlich nur außenreizabhängig zu essen und dabei den vorhandenen Hunger auszutricksen. Ein sättigungsorientiertes, genussvolles Essverhalten, welches schon im Kindesalter gelernt werden sollte, führt in aller Regel am wenigsten zu gesundheitlichen Risiken wie beispielsweise einer Fettleibigkeit.

Ein ganz "natürliches" Essverhalten im Sinne bloßen Hungerstillens scheint in einer Umwelt von Hochglanz-Idolen, Genuss- und gleichzeitig Wellness-Trends sowie den seelischen Problemen des Heranwachsens für Jugendliche gar nicht mehr möglich zu sein. Verletzungen der gesellschaftlichen (elterlichen) Peer-group Ernährungs- und Schönheitsnormen werden als Schwäche, beinahe als moralisches Fehlverhalten, als Versagen bezeichnet (vgl. Habermas 2002, S. 847f).

Genetischer Einfluss und Erziehungsfaktoren

Wie Untersuchungen an Zwillingen zeigten, macht eine genetische Disposition Mädchen besonders anfällig, bei übermäßiger Kontrolle in der Erziehung später magersüchtig zu werden. Wie bei allen psychischen Störungen und vielen anderen Krankheiten ist Magersucht aner nicht monogenetisch angelegt, d.h., so etwas wie ein Anorexie-Gen gibt es nicht, allerdings konnte ein Zusammenhang der genetischen Disposition mit Risikofaktoren aus dem psychosozialen Bereich belegt werden, denn bei jenen Mädchen, die eine bestimmte Mutation in dem Gen hatten, das den Serotonin-Transport regelt, wirkte ein übermäßig kontrollierender Erziehungsstil der Eltern besonders stark als Auslöser für Magersucht, wobei Mädchen mit einer Mutation in diesem Gen ein um den Faktor 1,4 erhöhtes Risiko aufwiesen, an Anorexia nervosa zu erkranken. Bei dieser Studie hatte Team der Universität Wien über 120 Schwesternpaare in London, Barcelona und Wien genetisch auf die Mutation dieses Serotonin-Transporter-Gens untersucht und zugleich mit den Mädchen und jungen Frauen umfangreiche psychosoziale Interviews geführt, in denen belastende Ereignisse, Probleme mit anderen Personen, die Beziehung zu den Eltern oder Stressoren erfasst wurden.

Essverhalten teilweise genetisch bedingt

Masip et al. (2020) haben bei der Untersuchung des Essverhaltens die Daten einer finnischen Kohortenstudie von viertausend Zwillingen ausgewerte, wobei von den Probanden im Alter von 31 bis 37 Jahren Informationen bezüglich genetischer Veranlagung, Essverhalten, Body-Mass-Index und Taillenumfang einbezogen wurden. Zum einen wurden empirische Untersuchungen zur Abklärung von genetischer Prägung und umweltbedingten Faktoren gemacht, zum anderen wurden polygene Risikofaktoren berechnet, die auf genomweiten Assoziationsstudien beruhen, bei denen das komplette Genom tausender Menschen nach Genvarianten durchsucht wurde, um Variationen, die etwa mit einer bestimmten Krankheit assoziiert werden, zu finden. Dabei unterschieden sich Zwillinge beim Körpergewicht kaum, wobei es bei den viertausend untersuchten nur zehn bis zwanzig waren, die unterschiedliches Gewicht aufwiesen.

Auch zeigte sich, dass das Essverhalten eineiiger Zwillingspaare deutlich ähnlicher ist als jenes von zweieiigen Zwillingspaaren. Man fand dabei vier erblich bedingte Verhaltensmuster beim Essen: "Snacking", "unregelmäßiges und ungesundes Essen", "restriktives Essen" sowie das "emotionale Essverhalten". Das zeigte sich am deutlich ähnlicheren Essverhalten eineiiger Zwillingspaare im Gegensatz zu jenem von zweieiigen, wobei genetische Risikofaktoren das Gewicht beeinflussen, indem sie das Essverhalten steuern. Das gilt besonders für "Snacking", das durch ein "Überessen" bzw. "nicht aufhören können" charakterisiert ist, sowie dem Naschen zwischen den Mahlzeiten und auch abends.

Offenbar haben es manche Menschen schwerer, ihr Gewicht zu halten, als andere, wobei die Gene aber nicht deterministisch sind, denn die Gene haben sich über Generationen hinweg kaum bis gar nicht verändert, und dennoch gibt es in Europa immer mehr Menschen mit Übergewicht und Adipositas. So kann man nach Ansicht der WissenschaftlerInnen mit einer ausgewogenen Ernährung, körperlicher Bewegung sowie mit ausreichend Schlaf man gegen die genetische Determination ankämpfen.

Die richtige Ernährung von Kleinkindern

Nach Ansicht von Ernähungsexperten sollte von Kleinkindern Wurst und Fleisch nicht öfter als dreimal pro Woche gegessen werden, außerdem sollten diese Produkte wenig Fett enthalten (Huhn, Pute, Rindfleisch). Drei Milchportionen pro Tag reichen, am besten kindgerecht eiweißreduzierte und eisenangereicherte Milch. Gewichtsprobleme entstehen aber nicht nur durch Süßigkeiten, sondern auch durch den Verzehr von großen Mengen an Wurst und Käse, denn ein erhöhter Eiweißkonsum führt zu einer verstärkten Sekretion eines insulinähnlichen Wachstumsfaktors, insbesondere nach dem Verzehr von zu viel Milcheiweiß. Dieser Wachstumsfaktor fördert die Bildung von Fettzellen sowie die Fettspeicherung und legt einen Grundstein für Fettleibigkeit im Alter, denn durch eine übermäßige Eiweißzufuhr im Kleinkindalter besteht ein doppelt so hohes Risiko, später an Übergewicht zu leiden.

Da man mit zuckerhältigen Säften Kinder bereits sehr früh an diesen Geschmack gewöhnt, sollte Leitungswasser das Getränk erster Wahl sein, alternativ kann man ungezuckerte Tees und stark verdünnte Fruchtsäfte geben. Auch die Salzaufnahme ist im Kleinkindalter bereits zu hoch, denn eine hohe Natriumzufuhr bedeutet eine frühe Gewöhnung an große Salzmengen, was sich langfristig negativ auf den Blutdruck auswirken kann. Bei Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen ist in der Regel die Versorgung mit Eisen, Folsäure und Vitamin D unzureichend, wobei besonders die unterschrittene Eisenzufuhr problematisch ist, denn eine Unterversorgung im Kleinkindalter kann langfristige Folgen wie eine eingeschränkte Merkfähigkeit oder eine verminderte kognitive Entwicklung haben.

Bis ins Vorschulalter kommen Essstörungen im eigentlichen Sinne so gut wie nicht vor, doch während vereinzelt Essattacken im Kindesalter beobachtet werden können, treten alle anderen Essstörungen erst im Jugendalter oder später auf. Ein zeitweise auffälliges oder ungewohntes Essverhalten im Kleinkindalter ist keine Essstörung und bedeutet auch nicht, dass ein Kind später eine Essstörung entwickeln wird, denn die Ursachen von Essstörungen sind in der Regel vielschichtig und bestehen meist aus einem Bündel unterschiedlicher Faktoren. Allerdings sind manche Kinder über lange Zeit, das auch über Jahre hinweg, sehr eigenwillig in ihrem Essverhalten, d. h., sie essen nur wenige verschiedene Lebensmittel oder auffällig wenig. Manche Kinder nehmen über einige Zeit auch nur ganz kleine Essensmengen zu sich und zeigen wenig Appetit. Manche Kinder wollen auch nur ungern neue Lebensmittel ausprobieren, haben Probleme beim Schlucken von ungewohnten Speisen und zeigen dies vereinzelt auch durch Würgen oder Erbrechen. Ein solches Verhalten ist nicht problematisch, wenn sich das Kind sonst gesund entwickelt und aktiv ist. Wenn sich Eltern Sorgen über das Essverhalten ihres Kindes machen und mit schwierigen Esssituationen allein nicht fertig werden, sollten sie Unterstützung von außen holen (Kinderarzt, Ernährungsberatung). Im Kleinkindalter geht auffälliges Essverhalten meist von selbst vorüber und findet wieder von allein zu einem normalen Essverhalten zurück. Spätestens im Jugendalter erweitern Kinder meist von selbst die Auswahl der Speisen und als Erwachsene essen sie dann meist ganz normal.

In keinem Fall sollte das Essverhalten von Kindern im Rahmen von Erziehungsmaßnahmen (Belohnung oder Bestrafung) thematisiert werden. Eltern sollten ein Kind nie zum Essen drängen , auch wenn ihnen die verzehrte Menge gering vorkommt. Das Essverhalten eines Kindes sollte beobachtet werden, ohne es jedoch zu einem ständigen Thema zu machen, und solange keine medizinischen Gründe vorliegen, sollten Essgewohnheiten von Kindes mit Gelassenheit betrachtet werden.

Linktipp: http://www.bzga-essstoerungen.de/ (12-03-04)

Fünf Regeln für Eltern als Vorbilder

Viele Menschen haben das Essen verlernt, sie können nur noch schlucken.
Paul Bocuse

Da im Elternhaus der Grundstock für die spätere Ernährung gelegt wird, sollten Eltern ihren Kindern mit gutem Beispiel in Sachen Ernährung vorangehen. Regeln, Stukturen und Rituale helfen Kindern, adäquate Essgewohnheiten zu entwickeln. So lernt ein Kind ein Ritual und Verbindlichkeit, wenn es vor dem Essen seine Hände waschen muss. Es lernt warten und trainiert damit Frustrationstoleranz, bis mit dem Essen gemeinsam begonnen wird. Erste Lernprozesse in Bezug auf das persönliche Essverhalten finden ja schon sehr früh innerhalb der Familie statt, und dieses wird durch dort geübte Gewohnheiten individuell geformt. Durch diese frühen Lernprozesse ist es für Erwachsene dann später sehr schwierig, neue Verhaltensweisen zu erlernen, sodass nur bei Kindern eine echte Chance besteht, eine gute Esskultur und damit auch gesundheitsbewusste Ernährung einzuführen. Auch Essen, das außerhalb der Familie etwa im Kindergarten oder in der Schule geboten wird, trainiert sowohl das Essverhalten als auch das individuelle Geschmacksempfinden. Daher sollte auch in solchen Einrichtung hoher Wert auf Esskultur gelegt werden, damit sich diese Erfahrung auf das spätere Essverhalten positiv auswirken kann. Kinder lernen dabei auch Achtsamkeit und Rücksichtnahme, wenn sie sich an Speisenfolgen halten müssen und nicht schon die Nachspeise essen dürfen, während die Erwachsenen noch die Hauptspeisen essen.

Die Ernährungsexpertin Sasha Walleczek nennt in den OÖN vom 9.9.2009 fünf Regeln:

Vorbild sein und Rituale schaffen: Gute Essrituale sollten für alle Familienmitglieder in den Zeitplan passen – sei es z. B. ein gemütliches Frühstück am Sonntag oder ein gemeinsamer Abend, an dem frisch gekocht wird.Dabei sollten alle Familienmitglieder mithelfen, denn auf diese Weise kann man auch spielerisch neue Sachen einführen und den Speiseplan erweitern. Auch feines Tischdecken gehört zu einer guten Esskultur.

Die gemeinsame Familienmahlzeit: Beim Essen den Fernsehapparat ausschalten, die Handys ins Nebenzimmer verbannen und eine Zeremonie daraus machen. Man sollte sich sagen: „Wir essen zwischen halb sieben und sieben Uhr am Abend und da haben wir nur Augen und Ohren füreinander.“ Dass sich die familiären Ess- und Ernährungsgewohnheiten auf die Häufigkeit von Essstörungen auswirken, hat Dianne Neumark-Sztainer (University of Minnesota) nachgewiesen, denn unabhängig von sozialem Hintergrund und BMI hatten Mädchen, deren Familien mindestens fünfmal pro Woche gemeinsame Mahlzeiten einnahmen, ein um 29 Prozent niedrigeres Risiko, ein extrem gewichtskontrollierendes Verhalten zu entwickeln. Zwar berichteten auch in dieser Gruppe immerhin 17,4 Prozent der Mädchen über stark gestörtes Essverhalten, beispielsweise die Einnahme von Appetitzüglern, Laxanzien und Diuretika oder absichtliches Erbrechen nach dem Essen. Doch in den Familien mit weniger gemeinsamen Mahlzeiten traf dies sogar auf 26 Prozent der Mädchen zu. Bei den jungen Männern fanden sich keine solchen Unterschiede.

Auf die Zutaten achten: Man sollte auch über den Ursprung der Zutaten nachdenken. Wie weit sind sie gereist? Was kann in diesem Lebensmittel alles Unnötige drinnen sein? Will ich das meinen Kindern überhaupt zumuten? So wird nach und nach auf natürliche Lebensmittel und frische Zubereitung umgestellt und umgewöhnt.

Den Griff zur besten Alternative fördern: Wenn zu Hause ungesund gegessen wird, wird das Kind in der Pause kein Vollkornbrot haben wollen. Kinder sollten so erzogen werden, dass sie, wenn sie auswärts essen, zur besten Alternative greifen.

Die Ernährungserziehung nicht auf die Schule schieben: Es kann das Schulbuffet noch so gesunde Sachen anbieten – wenn das Kind sie von zu Hause nicht kennt, wird es sie nicht essen. Vernünftige Ernährung muss daheim stattfinden. Außerdem wichtig zu beachten: Blamieren Sie Ihre Kinder nicht. Kinder wollen nicht herausstechen, Kinder wollen genau das haben, was die anderen haben, um kein Außenseiter zu sein. Geben Sie Ihnen deshalb nicht eine allzu ungewöhnliche Jause mit.

Auch das gemeinsame Einkaufen, Vor- und Zubereiten von Mahlzeiten in der Familie trägt dazu bei, einem Kind einen gesundheitsbewussten Lebensstil zu vermitteln, denn durch solche sozialen Erlebnisse wird eine emotionale Bindung erreicht, die das Essverhalten stabilisiert. Das Trösten oder Belohnen eines Kindes mittels Essen oder Süßigkeiten führt in der Regel dazu, dass diese Menschen sich später auch bei Ängsten oder Enttäuschungen mit Essen trösten wollen. Auch pauschale Verbote von bestimmten Lebensmitteln birgt die Gefahr, dass später eine Sucht nach genau diesen Lebensmitteln entsteht. Auf schwierige Ess-Phasen eines Kindes sollte man ruhig reagieren und diesen Situationen so wenig Bedeutung wie möglich zuweisen, denn dann geraten sie schnell wieder in Vergessenheit. Neue und ungewohnte Lebensmittel werden von Kindern leichter akzeptiert, wenn sie mit bekannten kombiniert angeboten werden.

Tipp: Damit Eltern ihren Kindern gesundes Essen wie Gemüse schmackhaft machen können, kann es unter Umständen hilfreich sein, Gerichten Phantasienamen zu geben, denn wird ein Gemüseeintopf zum Hexenschmaus erklärt, ist der Appetit bei den Kindern häufig geweckt, und Erdäpfeln mit Radieschen-Topfen kann als Drachenerdäpfeln mit Feuertopfen eine Besonderheit machen. Wichtig ist für Kinder, wenn Essen knusprig und knackig ist, denn Kinder mögen das ungewohnte Gefühl im Mund.

Neuen Medien und ungesunde Ernährung

Nach einer neueren Untersuchung von Tobias Effertz richten sich siebzig Prozent der untersuchten Lebensmittelwerbespots im Fernsehen durch ihre Aufmachung oder Sendeumfeld speziell an Kinder, wobei 89 Prozent aller TV-Spots für ungesunde Produkte werben. Die Zahl der von Kindern gesehenen Spots pro Tag ist zwar seit 2007 etwa gleichgeblieben, doch Kinder sehen heute dreißig Minuten weniger fern. Pro Stunde werden also fast dreißig Prozent mehr ungesunde Spots ausgestrahlt als früher. Offenbar habe die Unternehmen den Werbedruck auf Kinder bewusst erhöht, woraus sich wohl teilweise die schädlichen gesundheitlichen Folgen wie Übergewicht und Mangelernährung bei Kindern ergeben.

Auch im Internet werden Kinder vor allem über Facebook und YouTube mit Werbepostings zu ungesunden Produkten erreicht, womit sie Kinder gezielt auf Webseiten zu ungesunden Produkten locken und versuchen, sie dort durch Spiele oder Ähnliches lange zu halten, wobei auf  YouTube die Werbung für Ungesundes mit Kindermarketing zu zwei Dritteln durch InfluencerInnen erfolgt. In mehr als zwei Drittel der ausgewerteten Youtube-Videos werben Influencer für ungesunde Lebensmittel etwa mit einem Video, in dem ein etwa 10-Jähriger in der Küche zu Hause ein Fastfood-Restaurant aufbaut. Ein Spiel wie früher der Kaufladen, nur dass die Fastfood-Kette mutmaßlich die komplette Ausstattung geliefert hat und das Kind damizt Werbebotschaften in seinem Clip übermittelt.

Über fünfzehn Mal am Tag werden Kinder von der Industrie dazu animiert, mehr Zucker, Salz und Fett zu essen, was viele Bemühungen um eine Erziehung zur gesunden Ernährung zunichte macht. Diese Werbeaktivitäten in den digitalen Medien nehmen rasch zu und sind besonders wirksam, zumal es Beweise dafür gibt, dass Werbung sogar stärker wirken kann als ein gutes Vorbild der Eltern. Das liegt nicht zuletzt daran, dass für Kinder die Grenzen von Alltagserleben und Werbung verschwimmen, denn sie lernen und verinnerlichen damit die durch das Marketing künstlich geschaffenen Verknüpfungen von Marken mit bisher werbefreien Handlungen.

Essstörungen und Jugendalter

Die Adoleszenz, das Alter des Heranwachsens, wird im Allgemeinen vom Einsetzen der Geschlechtsreife bis zum Ende des dritten Lebensjahrzehnts festgeschrieben. Männern wie Frauen stellen sich in diesen Jahren die umfassendsten Entwicklungsaufgaben ihres Lebens, sie fordern enorme Lern- und Anpassungsleistungen von den Heranreifenden und bergen massive Umstellungen sowohl auf psychischer als auch auf biologischer Ebene. Die Geschlechtsreife gehört ebenso zu diesen Veränderungen wie eine erfolgreiche Ablösung vom Elternhaus, das Einfügen in neue, breitere soziale Kontexte oder der Aufbau von Beziehungen zum anderen Geschlecht (vgl. Habermas 2002 , S. 847f).

Der starke und oft schnelle Wandel trifft, wie oben erwähnt, alle Jugendlichen gleichermaßen – unabhängig davon, mit welcher Persönlichkeitsstruktur sie sich ihm entgegen stellen  oder ihm fügen wollen/können. Oft sehen sich die jungen Menschen mit Problemen konfrontiert, für die sie nur schwer eigene Lösungen entwickeln können. Nicht selten fühlen sie sich dabei völlig alleine gelassen, entbehren jede Unterstützung seitens ihrer Eltern oder Lehrkräfte. Je selbstkompetenter, sicherer Adoleszente in diesem Abschnitt sind, desto besser stehen ihre Chancen, die Entwicklungsaufgaben vollständig zu meistern und als psychisch gesunde Menschen ins Erwachsenenalter einzutreten. Psychische Stärke und Gesundheit bilden also eine Voraussetzung für das erfolgreiche Erwachsenwerden, für die Entfaltung von Lebens- potentialen, für den vollen Einsatz kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten (vgl. HBSC Factsheet 4 2004, S. 1f).

Sind diese psychische Stärke und Gesundheit eines Jugendlichen nicht gegeben, so besteht das hohe Risiko des Auftretens einer psychischen Störung. Als solche ist das "intensive Erleben negativer Gefühle" zu bezeichnen, durch welche sich der Betroffene und / oder seine Umwelt "deutlich in sozialem, beruflichen oder privatem Leben eingeschränkt" fühlen (vgl. HBSC Factsheet 4 2004, S. 1f). Jeder vierte Mensch leidet mindestens einmal im Leben an einer solchen psychischen Störung, die in unterschiedlicher Intensität auftreten und je nach individueller Konstitution mit mehr oder weniger Hilfe von außen bewältigt werden kann.

Präventiv und unterstützend wirkt in diesen Jahren eine Unterstützung von Eltern und/oder Lehrkräften: 40% der Jugendlichen, welche von Eltern/LehrerInnen gut unterstützt werden, sind mit ihrem Leben zufrieden und nur wenige "rutschen" in eine psychische Störung ab, während von jenen Adoleszenten, welche sich bei der Bewältigung alltäglicher, vor allem auch schulischer Probleme nicht genügend unterstützt fühlen, ein Viertel über kurz oder lang psychische Beschwerden entwickelt. Sie klagen über Angstzustände, Erschöpfung und Nervosität, fühlen sich krank, überlastet und überfordert (vgl. HBSC Factsheet 4 2004, S. 3f).

Die familiäre Situation Jugendlicher ist generell als bedeutendster Einflussfaktor auf die Entwicklung einer gesunden, starken Selbstkompetenz zu beschreiben. Haben Heranwachsende das Glück, in einer nach außen intakten Familie aufzuwachsen – mit beiden Elternteilen, behütenden Müttern und einem gewaltfreien Umgang untereinander, so entstehen allerdings in einigen Fällen unterschwellige Konflikte und Probleme, welche von der Umwelt lange nicht als solche wahrgenommen werden. Kinder aus als "behütet" zu bezeichnenden Familien entwickeln teilweise eine allzu starke Bindung zu ihrem Elternhaus, natürliche Grenzen des Heranwachsens verschwimmen, die Heranwachsenden bleiben in ihrer Kinder-rolle stecken, ohne vollständig eigene Identitäten entwickeln zu können. Betroffene wachsen oft in totaler Abhängigkeit von ihren Eltern auf, sie bilden im Vergleich zu Gleichaltrigen Defizite im Bezug auf Selbstkompetenz und –sicherheit aus und sind somit schlecht gerüstet, entscheidende Aufgaben der Pubertät zu meistern. Fehlendes Selbstbewusstsein und  keine Orientierung im Bezug auf eine selbstständige, eigenverantwortliche Lebensgestaltung führen so im Laufe der Jahre zu manifesten Entwicklungsstörungen. Als deren häufigste bieten sich die Essstörungen an, verdrängte Konflikte oder Mangelzustände auszutragen, ohne die Eltern in offener Konfrontation "abzulehnen", seinen eigenen Weg gehen zu müssen. Gerlinghoff und Backmund (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999, S.47ff) beschreiben beispielsweise die Magersucht als für Kinder und Eltern ideale Bedingung, zwar in einem einzelnen Punkt der Lebensgestaltung, dem Essverhalten, nicht einer Meinung zu sein, weiterhin aber in gegenseitiger Abhängigkeit zu leben.

Diese Interaktion stellt stark vereinfacht einen  sehr häufigen Auslöser für eine Essstörung bei Jugendlichen dar. Selbstverständlich bleiben eine lange Reihe an Einflussfaktoren wie die genetische Disposition des/der Heranwachsenden, das gesellschaftliche und engere soziale Umfeld unberücksichtigt, welche in ähnlich starkem Maße auf den Entwicklungsprozess einwirken.

Familie und Essstörungen

Ausgehend von einer Unterteilung familiärer Strukturen in funktionale und dysfunktionale  Familien (Minuchin 1983 nach Gerlinghoff & Backmund 1999, S. 34) ist es relativ einfach, Lebensgemeinschaften von Eltern und Kindern zu beschreiben, welche einen geeigneten Rahmen für die Entstehung essgebundener Suchtkrankheiten bilden. Während in funktionalen, entwicklungsförderlichen Familien eine „klare hierarchische Organisation mit eindeutigen aber durchlässigen Generationsgrenzen“ herrscht, sind in der dysfunktionalen, entwicklungshemmenden Familien diese Grenzen verwischt, es kommt zu Orientierungs-losigkeit und Unsicherheit bei den jüngeren Familienmitgliedern (Gerlinghoff & Backmund 1999, S. 34). Zwar ist der Vater nach außen hin das Familienoberhaupt, die Rollen zwischen den Elternteilen untereinander sowie zwischen Eltern und Kindern sind intern allerdings unklar verteilt. So geraten „Mann“ und „Frau im Haus“ ebenso durcheinander wie Erzieher Innen und zu Erziehende, HelferInnen und Hilfsbedürftige. Die Verantwortlichkeiten für Dinge des Alltags liegen nicht selten in der heranwachsenden Generation. Persönliche Grenzen werden überschritten, es kommt zu emotionaler Überbelastung und einem gewissen Rückzugsverhalten (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999, S. 34f).

Leben Essgestörte unter einem Dach mit ihren Geschwistern- besonders betroffen sind hier natürlich die Beziehungen zwischen Schwestern- so leiden die Kranken vor Ausbruch ihrer Krankheit in den meisten Fällen an einer rasenden Eifersucht auf dieses Familienmitglied. Studien (vgl. Karwautz 2005) belegen, dass die Geschwisterteile meist gemeinhin als „körperlich attraktiver“ gelten und in der Peergroup beliebter sind als die Betroffenen. Nicht selten bleibt die Aufnahme in eine Peergroup auch Betroffenen generell verweigert, weil Schlankheit als „Eintrittskarte“ dient (Lamers & Mann 2000, S. 51). Weiters zeigen die mitstreitenden Schwestern oft bessere Leistungen in Schule oder Beruf, haben eine größere Zahl an Bekannten und Freunden und scheinen generell mit dem Leben leichter umgehen zu können. Der so entstehende Konkurrenzdruck, die empfundene Belastung, verstärkt familiäre Situation und genetische Dispositionen. Die Gesamtheit dieser Faktoren führt zu einer Nutzung des Essverhaltens als Ventil für Probleme und Konflikte (vgl. Karwautz 2005, S.15ff).

Weitere Aussagen über den familiären Hintergrund Essgestörter lassen sich nicht ohne Weiteres generalisieren. Während Magersüchtige fast gänzlich aus überintakten, „idealen“ Familien stammen, leben ess-brechsüchtige Patientinnen zumeist in zerrütteten Elternhäusern, welche durch offene Konflikte und Streit gekennzeichnet sind. Übergreifend zeigt sich aber die Überschreitung persönlicher Grenzen, welche völlig ungefragt geschieht, sei es auf der Ebene von Verantwortlichkeiten oder auch in Bezug auf Emotionen.

In den Familien Magersüchtiger herrschen hohe Ideale. Die Einheit der Familie, das „Eins-Sein“, Harmonie und Häuslichkeit, althergebrachte Wertvorstellungen und ähnliche Prinzipien lassen eine Balance zwischen Abgrenzung der Heranwachsenden und ausreichender Nähe zur Familie scheitern. Die Individualität des Adoleszenten wird untergraben, die Jugendlichen drohen emotional zu verkümmern (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999, S. 36f).

Magersüchtige stammen fast ausschließlich aus Familien des gut situierten Mittelstands ohne finanzielle Probleme. Ein Anstreben von Ordnung und Leistung, Fleiß und Ehrgeiz – und natürlich sozialem und ökonomischem Erfolg - lässt die Eltern keine Kosten und Mühen scheuen, der Tochter eine gesicherte Zukunft, sozialen Prestige und Ehre durch gute Ausbildung, sportliche Aktivitäten etc. angedeihen zu lassen. Leistungsdruck muss also verkraftet werden, Vernunft hat Vorrang vor Emotionen (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999S. 37f). Vor allem die Mütter „idealer“ Familien achten auch selbst nicht auf ihre körperlichen und psychischen Grenzen. Sie leugnen ihre eigenen Bedürfnisse nach Nahrung, Ruhe und Entspannung, um gleichzeitig perfekte Mütter, Hausfrauen und Teilnehmerinnen am Arbeitsleben zu sein. Auf diese Weise leben sie ihren Töchtern ein relativ ungesundes und wenig nachahmungswertes Frauenbild vor, welches viele Heranwachsende abschreckt und den Wunsch verstärkt, Kind bleiben zu können. Generell wollen die Elternteile aber nur das Beste für ihre Kinder und meinen, das einzig Richtige in Anbetracht der Zukunft der Jugendlichen zu tun. Dies ist eigentlich nichts Negatives und sollte auch das Anliegen engagierter Eltern sein, allerdings erziehen „perfekte“ Familien ihre Kinder oft enger entlang  gesellschaftlicher und sozialer Vorstellungen als gemäß den Bedürfnissen und Potentialen ihrer Sprösslinge (vgl. Lamers & Mann 2000, S. 49).

Krankheit bedeutet nun, gleichzeitig gegen die Grenzüberschreitung anderer Familienmit-glieder zu protestieren, ohne sofort einen offenen Konflikt vom Zaun zu brechen. Als zweiten, oft ganz entscheidenden Vorteil birgt eine Krankheit – wenn auch eine psychische Störung nur in Maßen – die Möglichkeit, auf gesellschaftlich anerkannte Art schwach sein zu dürfen, seinen übergroßen Aufgaben legitim nicht mehr nachkommen zu können. Meist werden Kranke innerhalb der Familie auch gehegt und gepflegt, also geliebt, ohne dafür leisten zu müssen. Allerdings muss eine Krankheit aus der Perspektive strebsamer, perfektionistischer Geister schwerwiegend genug sein, um als Krankheit akzeptiert zu werden, geringer Gewichtsverlust reicht dafür nicht aus (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999, S. 40).

Daraus resultiert, dass die familiäre Situation sehr starken Einfluss auf das Heranwachsen Jugendlicher und somit auch auf die mögliche Entstehung psychischer Störungen ausübt. Die Familie kann im ungünstigen Fall das Ausbilden einer selbstbewussten, eigenständigen Persönlichkeit durch das Überschreiten individueller Grenzen und die Schaffung hemmender Abhängigkeiten verlangsamen oder gar verhindern. Durch Vorleben wenig wünschenswerter Rollenbilder wie der perfekten Mutter oder den umsorgten Kranken zeigen die Familienmitglieder den Betroffenen, wie erstrebenswert es wäre, Kind zu bleiben und wirken so begünstigend auf eine Flucht in gestörtes Essverhalten.

 

Es gibt ein Wundermittel, nicht zuviel zu essen:
Beim Essen den Löffel oder die Gabel zwischendurch immer wieder aus der Hand legen und sich ganz auf den Geschmack, das Kauen und das Schlucken konzentrieren!
Erst danach nimmt man sein Essbesteck wieder in die Hand und bereitet den nächsten Bissen vor!

Quelle: http://bemerkt.stangl-taller.at/ein-wundermittel-um-nicht-zuviel-zu-essen/

Individuelle Faktoren – Life-Events als Auslöser

In diversen Fällen lösen einzelne Ereignisse das Auftreten einer Magersucht aus, allerdings besitzen potentielle Betroffene meist bereits vor Ausbruch der Störung bestimmte genetische Voraussetzungen, sie leben in krankheitsförderlichen Umfeldern und es bestehen für die Erkrankenden Gründe zur Annahme, ein geändertes Essverhalten alleine könnte die aufge-tauchten Probleme beseitigen. Die einschneidenden Lebensereignisse sind also Auslöser einer Essstörung, bei einmaligem Auftreten aber oftmals nicht ihre Ursache. Traumatische Erleb-nisse wie der Verlust einer geliebten Person, eine Missbrauchssituation, Familienumbildungen oder eine Scheidung fallen ebenso in diese Kategorie von Schlüsselerlebnissen wie der Verlust der „Starrolle“ innerhalb der Familie durch die Geburt eines Geschwisterchens, Beendigung der Schule oder andere entwicklungsbedingte Aufgaben (vgl. Gerlinghoff & Backmund 2000, S. 49).

Treten einschneidende Erlebnisse gehäuft (oftmaliger Spott der Peergroup, Druck in einem Sportverein) oder über einen längeren Zeitraum (wie etwa Missbrauch) auf, so können sie die direkte, langwierige Ursache einer Essstörung sein. Allerdings existieren bis dato keine Langzeitstudien an Kindern und Jugendlichen, welche solche Entstehungsgeschichten proto-kollieren. Wird eine Essstörung diagnostiziert, so ist die Krankheit bereits ausgebrochen, Ursachen und Auslöser werden im Großteil der Fälle nur retrospektiv durch Psychotherapien ermittelt (vgl. Karwautz 2000, S. 25).

Entwicklung einer psychischen Krankheit

Die belastenden Lebensumstände Betroffener verlangen nach einer Problemlösung durch den Jugendlichen, um überwunden zu werden und das Heranreifen nicht mehr in dermaßen schwerwiegender Weise zu verhindern. In dieser Situation setzen Kranke irrationale Erwartungen in ihren Körper. Sie entwickeln den Glauben, durch Gewichtsabnahme und eine schlanke Figur alle ihre Lebensprobleme lösen zu können und beginnen, ihre normalen Körpermaße als angenommene Ursache allen Übels zu fürchten. Trotz der großen Furcht, aufzufallen, lehnen die PatientInnen das Mittelmaß ab, sie streben paradoxerweise danach, erwachsen und selbstständig zu werden, trotzdem aber Kind zu bleiben. Verbunden damit sehen sie sich einem Zwiespalt aus dem Wunsch vor Nähe und der gleichzeitigen Angst vor Grenzüberschreitungen und normaler Sexualität (vgl. Lamers & Mann 2002, S. 50).

Einzigen Ausweg aus diesem Dilemma bildet der Aufbau so genannter „Schutzfaktoren“ in der Bewältigung der anfallenden Entwicklungsaufgaben (Diketmüller 2004, S. 9). Sowohl im familiären, als auch im mittelbaren sozialen Umfeld der Adoleszenten – nicht zuletzt im schulischen Umfeld – kann, ja müsste während der Pubertät ganz gezielt am Aufbau und Erweiterung dieser Faktoren im Jugendlichen gearbeitet werden. Diketmüller nennt die folgenden Basisattribute erfolgreicher Entwicklungsprozesse:

Können diese Entwicklungsvoraussetzungen nicht oder nur unzureichend vom Umfeld der Heranwachsenden bereit gestellt werden, so bildet sich meist eine Form Suchtverhalten im Jugendlichen heraus, als „Form der Rebellion und als Machtkampf“ (Diketmüller 2004, S. 6). Im Falle einer Essstörung wird dabei lebensnotwendiges Essen zum erheblichen psychosomatischen Problem mit körperlichen, psychischen und sozialen Konsequenzen. Die Ernährung beginnt, das Leben der Erkrankten, ihren Tagesablauf, soziale Beziehungen, berufliche und private Entscheidungen zu beeinträchtigen. Essgestörte haben allerdings kein Krankheitsgefühl, im Gegenteil: Sie empfinden ihr Verhalten als Stärke, als einen lobenswerten Zuwachs an Leistung. Der Reiz, die Grenzen des eigenen Körpers immer weiter auszuloten, wird dabei oft durch positive Resonanz der Umwelt aufgrund der beeindruckenden Gewichtsabnahme verstärkt. Alle Probleme, Ängste und Unsicherheiten können durch Konzentration auf das Essverhalten verborgen oder kompensiert werden, die neue Existenzform hilft, Konflikte auszuleben, verschobene Bedürfnisse zu befriedigen – bis die Grenzen des Körpers der Kranken erreicht oder überschritten sind (vgl. Gerlinghoff & Backmund 2000, S. 53-54).

Essstörungen sind also häufig Bewältigungsstrategien Jugendlicher, um existenzielle Entwicklungsängste, Probleme und Unsicherheiten zu überwinden. Die Heranwachsenden haben, bedingt durch ihre soziale Umwelt, durch ihre Anlagen oder durch einschneidende Erlebnisse jedoch nicht die ausreichende Selbstsicherheit und Selbstkompetenz entwickeln können, um sich als gesunde Individuen über die Hinder-nisse hinweg zur eigenen, starken und erwachsenen Persönlichkeit zu entwickeln. Sie wählen eine Lebensstrategie, welche sie nicht nur in die Unmündigkeit zurück, sondern oftmals auch in erhebliche körperliche Schwierigkeiten führt (vgl. Gerlinghoff & Backmund 2000, S. 54f).

Wie können Eltern problematisches Essverhalten ansprechen?

Eltern sollten versuchen, das Thema anzusprechen und ihre Sorge zum Ausdruck bringen. Weniger hilfreich ist es hingegen, das Essverhalten des Kindes zu kontrollieren, ständig die Lieblingsspeise zu kochen oder selbst das Essverhalten anzupassen. Eltern sollten versuchen, den Stellenwert von Figur und Gewicht in einem realistischen Maß zu thematisieren. Die meisten Essstörungen entstehen in der Pubertät, deshalb ist es von Bedeutung, den eigenen Beobachtungen zu folgen, und falls es zu einer großen Gewichtsabnahme kommt, sich professionelle Hilfe zu holen.

Manche Jugendliche surfen viel im Internet und holen sich dort Tipps für Mode, Aussehen und Diäten. Dabei ist es wichtig, mit den Jugendlichen ein Gespräch zu suchen. Diäten sind meist der Beginn einer Essstörung, die Gefahren, die damit verbunden sind, sollten daher besprochen werden. Der Wert von Figur, Gewicht und Aussehen sollte einen realistischen Stellenwert im Leben bekommen, wobei andere Werte wie soziale Beziehungen und Freizei wieder vermehrt fokussiert werden sollten. Eltern sollten Jugendliche nicht nur nach ihrem äußeren Erscheinungsbild oder ihrer Leistung bewerten, sondern vor allem nach ihrer Persönlichkeit.


Siehe auch


Quelle: Diese Arbeitsblätter entstammen der Studie von Ursula Gruber "Essstörungen an Berufsbildenden Höheren Schulen Österreichs. Wahrnehmung, Behandlung, Prävention".



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