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Das erste pädagogisch-psychologische e-zine im internet | Seit 1996 | ISSN 1561-2503
12. Jahrgang 2007 [v1.0 - 07-04-04]

Lind, Georg (2015).
Moral ist lehrbar (Erziehung, Gesellschaft, Schule).
Wie man moralisch-demokratische Fähigkeiten fördern und damit Gewalt, Betrug und Macht mindern kann. Berlin: Logos.
ISBN 978-3832541231
201 Seiten.

Die Förderung moralisch-demokratischer Fähigkeiten wird in Schulen und Hochschulen zunehmend zu einem fachübergreifenden Thema. Als eine der wirksamsten Unterrichtsmethoden hat sich die sogenannte Dilemma-Diskussion herausgestellt, die ursprünglich von Moshe Blatt und Lawrence Kohlberg an der Harvard-Universität entwickelt worden war. Georg Lind, der mit Kohlberg zusammengearbeitet hatte und sich in seinen letzten Arbeiten als führender Kohlbergspezialist erwies, veröffentlichte 2002 die Monographie "Ist Moral lehrbar?", in der er zahlreiche Ergebnisse der modernen moralpsychologischen Forschung zusammenfasste. Schon ein Jahr später beantwortet der Autor nun die damals im Titel gestellte Frage positiv und legt das Handbuch zur Theorie und Praxis moralischer und demokratischer Bildung "Moral ist lehrbar" vor.

In seinem neuen Werk stellt Georg Lind Theorie und Praxis der moralischen Bildung einander ergänzend gegenüber, wobei neben moralpsychologischen und bildungstheoretischen Grundlagen zahlreiche neue Methoden der Dilemmadiskussion präsentiert werden, die geeignet sind, die moralische Urteils- und Diskursfähigkeit von Menschen zu fördern. Moshe Blatt hatte um 1970 gemeinsam mit Lawrence Kohlberg zur Förderung der allgemeinen moralischen Entwicklung die Methode der Dilemmadiskussion entwickelt, deren Wirksamkeit in zahllosen Interventionsstudien bestätigt werden konnte (Lind 2002).

Im ersten theoretischen Teil des Buches diskutiert der Autor den Zusammenhang von Moral, Demokratie und Bildung und zeichnet ein Bild, wie zukünftige Moral- und Demokratieerziehung aussehen kann. Im Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens, in dem moralische Ideale und moralische Kompetenzen einander ergänzende notwendige Bestandteile des moralischen Verhaltens darstellen, stellt Lind die These auf, dass moralische Ideale den moralischen Fähigkeiten vorausgehen, aber letztere für das moralische Verhalten selber die entscheidende Rolle spielen. Lind nimmt des weiteren an, dass moralische Kompetenzen im wesentlichen von der (Schul-)Bildung abhängen, also Bildung moralisches Handeln befördert. Der Autor geht daher davon aus, dass Moral als Lerngegenstand auf allen Bildungsstufen des schulischen Lernens präsent sein sollte. Breiten Raum nimmt in diesem Abschnitt der neu entwickelte "Moralisches Urteil"-Test (MUT) ein, mit dem versucht wird, die Bewertung von Motiven bzw. Handlungsalternativen anhand konkreter Fallbeispiele und damit verbundener Antworten zu standardisieren.

Im zweiten praxisorientierten Teil stellt Lind im Detail die Konstanzer Methode der Dilemmadiskussion vor, welche von ihm auf der Grundlage zahlreicher Studien und Erprobungsprojekte entstanden und weiterentwickelt worden ist, sodaß sie in der alltäglichen Schulpraxis vielseitig anwendbar, noch effektiver, objektiv evaluierbar und auch gut lehrbar ist. Die vorgestellten Methoden und die zahlreichen Fallbeispiele scheinen für die Bildungsaufgabe "Moralerziehung" hilfreich.

Der dritte gesellschaftspolitische Teil behandelt den Ansatz der "Demokratischen Schulgemeinschaft", der eine Weiterentwicklung des teilweise kritisch diskutierten Ansatzes der Just Community Kohlbergs (1986) darstellt. Der Kern dieses Konzeptes ist die Idee, dass moralische Entwicklung durch moralisches Handeln und Entscheiden gelernt wird, Demokratie nur aus der Praxis der Demokratie entsteht. Kohlberg und seine Mitarbeiter versprachen sich davon Verbesserungsmöglichkeiten der moralischen Handlungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, wenn Normen und Regeln im gemeinschaftlichen Diskurs als Maßstab des Handelns erarbeitet werden, sodass z.B. Schüler und Lehrer gleichermaßen die Verantwortung bei der Suche gerechter Lösungen in Konfliktfällen tragen. Auch hier hält sich Lind nicht bei theoretischen Erörterungen auf, sondern geht anhand konkreter schulischer Erprobungsprojekte den Problemen bei der Verwirklichung demokratischer Schulgemeinschaften nach, wobei er die richtige Evaluation und reflektierte Praxis solcher Maßnahmen als wesentliches Merkmal für deren Erfolg ansieht. Praktische Handlungsanweisungen, die Beantwortung häufig gestellter Fragen zu Theorie und Praxis der Methoden runden diesen Abschnitt ab.

In einem umfangreichen Anhang werden Mess- und Beobachtungsformulare sowie neue Beispiele für Unterrichtsdilemmas für die praktische Anwendung bereitgestellt. Die Methode eignet sich für Kinder ab 10 Jahren, Jugendliche und Erwachsene und ermöglicht trotz häufig vorhandenen Wissensgefälles einen freien moralischen Diskurs zwischen Lehrenden und Lernenden. Moralisches und fachliches sowie emotionales und kognitives Lernen werden dabei für den fächerübergreifenden, ethik-integrativen Unterricht verbunden.

Das vorliegende Buch stellt in konsequenter Weiterentwicklung früherer Arbeiten noch deutlicher auf den Praxiseinsatz ab und ist daher weniger Lehr- als Praxisbuch für den Einsatz in der Schule, aber auch in der Lehreraus- und -weiterbildung. Der Autor geht davon aus, dass Moral als Lerngegenstand auf allen Bildungsstufen des schulischen Lernens präsent sein muss. Die Rezension bezieht sich auf die zweite Auflage! (W.S.)

Georg Lind, der derzeit Pädagogische Psychologie an der Universität Konstanz lehrt, hat das Projekt "Demokratie und Erziehung in der Schulen" (DES) in Nordrhein-Westfalen initiiert und mit geleitet. Gegenwärtig berät er die Landesregierung von Bogota, Kolumbien, beim Aufbau einer Lehrerfortbildung zur Förderung moralisch-demokratischer Fähigkeiten. Die im Rahmen eigener Interventionsstudien und Lehrerfortbildungsprogramme entstandenen Anleitungen und Vorlagen (Dilemmas, Beobachtungsleitfäden, Fragebögen etc.) sind von der Website http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/ abrufbar sind. Georg Lind führt eine Diskussionsliste, auf der sich Interessenten über neue Entwicklungen informieren, aber auch eigene Arbeiten und Erfahrungen auf diesem Gebiet vorstellen und diskutieren lassen können. Anmelden kann man sich über die obige Website oder durch eine mail an folgende Adresse: majordomo@uni-konstanz.de mit dem Text subscribe dilemma - wird beim Klicken von den meisten Browsern automatisch eingesetzt, sodass man die mail nur abschicken muss. Abmelden kann man sich mit einer mail an majordomo@uni-konstanz.de mit dem Text unsubscribe dilemma.

Ergänzende Literatur

Kohlberg, Lawrence (1986). Der "Just Community"-Ansatz der Moralerziehung in Theorie und Praxis. In F. Oser, R. Fatke & O. Höffe (Hrsg.), Transformation und Entwicklung (S. 21-55). Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Kohlberg, Lawrence (1995). Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Lind, Georg & Raschert, J. (Hrsg.) (1987). Moralische Urteilsfähigkeit. Weinheim: Beltz.
Lind, Georg (2002). Ist Moral lehrbar? Ergebnisse der modernen moralpsychologischen Forschung. Berlin: Logos-Verlag.
Lind, Georg (2002). The meaning and measurement of moral judgment competence revisited - A dual-aspect model. In D. Fasko & W. Willis (Eds.), Contemporary Philosophical and Psychological Perspectives on Moral Development and Education. Cresskill. NJ: Hampton Press.
[werner.stangl]s arbeitsblätter: Die moralische Entwicklung.
WWW: http://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/MORALISCHEENTWICKLUNG/ (03-03-30)

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