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Theoretischer Hintergrund

Im Auftrag der amerikanischen Erzieherorganisation Phi-Delta-Kappa (www.pdkintl.org) führt das Meinungsforschungsinstitut Gallup seit 1969 regelmäßig repräsentative Bevölkerungsumfragen zum Themenbereich Schule durch. Diese Umfragen belegen mit steigender Tendenz, dass sowohl aus Sicht der amerikanischen Bevölkerung als auch aus Sicht von Lehrerinnen und Lehrern ein zentrales Problem an den amerikanischen Schulen die mangelnde Disziplin der Schüler darstellt (Elam, Rose & Gallup, 1996; Langdon, 1998).

Als Hauptursachen für diese Disziplindefizite, d.h. dem mangelhaften Anerkennen von bestimmten Verhaltensregeln im schulischen Kontext durch die Schüler (Becker, 1991), wurden schon in den 1980er Jahren in den Gallup-Umfragen u.a. der Mangel an Respekt vor Gesetz und Autorität und die schlechte Vorbereitung von Lehrern auf den Umgang mit Disziplinproblemen genannt (vgl. Dichanz, 1984; Gallup, 1978).

"The fifth phi Delta Kappa Poll of teachers' attidudes toward puplic schools" aus dem Jahre 1998 und der aktuelle 33ste "Annual Phi Delta Kappa/Gallup Poll of the Public's Attitudes toward the Public Schools" aus dem Jahr 2001 bestätigen sowohl für die amerikanischen Lehrerinnen und Lehrer als auch für die Gesamtbevölkerung diese Einschätzungen in neuerer Zeit (Rose & Gallup, 2001).

Vergleichbare repräsentative Umfragen, die über einen längeren Zeitraum bezüglich der Situation in Deutschland aussagefähige Daten liefern, liegen in dieser Form bisher nicht vor. Wie aber z.B. eine Befragung des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes aus dem Jahr 1996 zeigt (Salz, 1996), nehmen Lehrerinnen und Lehrer (in Bayern) ebenfalls mangelnde Disziplin als zunehmendes Problem in der Schule wahr. Von insgesamt 138 Befragten gaben über 55% an, sehr häufig mit Disziplinschwierigkeiten im Unterricht konfrontiert zu sein. Die Studie kommt insgesamt zu dem Fazit, dass viele Lehrerinnen und Lehrer erheblich unter Disziplinproblemen leiden und diese durch mangelnden Respekt von Seiten der Schüler gegenüber den Lehrkräften mit verursacht sind.

Einen weiteren Hinweis auf die Aktualität der Thematik liefern die Ergebnisse der Studie "Die Schule im Spiegel der öffentlichen Meinung" des Instituts für Schulentwicklungsforschung in Dortmund, die eine repräsentative Befragung der bundesdeutschen Bevölkerung darstellt. Auf die Frage, welche Dinge in der Schule zu wenig geachtet werden, gaben 36 % von 1840 befragten Erwachsenen "Disziplin" als einen zu wenig beachteten Aspekt in Deutschen Schulen an (IFS-Umfrage, 2000, S. 33). Die zahlreichen Untersuchungen und umfangreichen Interventionsprogramme zum Thema "Gewalt in der Schule", bei denen seit Anfang der 1990er Jahr ein regelrechter Boom zu verzeichnen ist (vgl. Albrecht, 1998; Verbeek & Petermann, 1999), deuten ebenfalls darauf hin, dass in ganz Deutschland erhebliche Disziplinprobleme an den Schulen herrschen. Es ist deshalb zu vermuten, dass Respekt bzw. mangelnder Respekt gegenüber Personen auch im Zusammenhang mit Gewalt von Kindern und Jugendlichen eine beachtenswerte Größe darstellt.

Diese Überlegungen sind Veranlassung, den Begriff ‚Respekt' einer ersten näheren Analyse zu unterziehen und dabei den Focus der Betrachtung auf die Lehrer-Schüler-Beziehung auszurichten. Ursprünglich geht der Begriff Respekt auf den lateinischen Begriff respicere "das Zurückblicken, das Sichumsehen; die Rücksicht" (Drosdowski, 1989, S. 589) zurück. Das Substantiv Respekt wurde im 16. Jhd. aus dem gleichbedeutenden französischen 'respect' gebildet. Das Verb respektieren wurde ebenfalls aus dem Französischen entlehnt und bedeutet "achten und anerkennen" (Drosdowski, 1989). Diesen Definitionen zufolge müßte ein respektierter Lehrer ein von seinen Schülern geachteter und eine, in seiner Rolle als Lehrer, anerkannte Person sein. Im Gegensatz dazu müßte mangelnder Respekt seitens der Schüler gegenüber dem Lehrer stehen.

Ein kurzes Beispiel aus der Unterrichtspraxis (in Anlehnung an Becker, 1991) soll exemplarisch aufzeigen, was es bedeuten kann, wenn mangelnder Respekt gegenüber dem Lehrer vorliegt: "Im Unterricht von Lehrer X. fühlen sich einige Schüler gelangweilt. Sie kippeln mit den Stühlen und unterhalten sich. Lehrer X. ermahnt die Schüler. Es bleibt dennoch unruhig in der Klasse, denn weitere Schüler unterhalten sich. Der Lehrer bittet nun mit Nachdruck um Aufmerksamkeit. Es wird kurz still, dann wird die ganze Klasse unruhig. Lehrer X. versucht vergeblich, sich Gehör zu verschaffen. Nun verliert er die Nerven und läßt ein Donnerwetter los. Wieder ist es für Augenblicke ruhig. Dann aber unterhalten sich alle Schüler, und zwar immer lauter, um sich gegenseitig zu verstehen. Die Ermahnungen des Lehrers gehen im Getöse unter. Die Schüler tun so, als würden sie ihren Lehrer nicht verstehen, einige freuen sich über die allgemeine Unruhe, das Durcheinander, andere leiden mit dem Lehrer. Das Klingelzeichen. Die Schüler jubeln, der Lehrer atmet erleichtert auf." (Becker, 1991, S. 109). Offensichtlich bringen diese Schüler im Verlauf der Unterrichtsstunde Lehrer X. keinen Respekt entgegen. Aber was bedeutet dies bzw. was ist unter Respekt gegenüber dem Lehrer zu verstehen?

Die Fachliteratur zur Pädagogischen Psychologie und zur Pädagogik hat sich mit dem Begriff 'Respekt' in der Lehrer-Schüler-Beziehung bisher nur rudimentär beschäftigt. In den Indizes einiger aktueller Lehr- und Studienbücher zur Pädagogischen Psychologie (vgl. z.B. Gage & Berliner, 1996; Mietzel, 1998; Rost, 1998; Weinert, 1997, Rosemann & Bielski 2001) finden sich keine Hinweise auf den Begriff des Respekts. Ausnahmen bilden ein Aufsatz von Dichanz (1984), zum Ansehen und Respekt gegenüber amerikanischen Lehrern, eine Studie von Schweer (1996) zum Vertrauen in der pädagogischen Beziehung und die Theorie zur ‚Konfliktlösung ohne Niederlagen zwischen Lehrern und Schülern' von Gordon (1999). Diese drei Ansätze thematisieren Respekt aus unterschiedlichen Richtungen:

  1. Dichanz (1984) berichtet in seinem Beitrag über das amerikanische Bildungssystem in den achziger Jahren. Damals galt die Reputation der Schule in den USA als schwer angeschlagen und in diesem Zusammenhang auch die der Lehrer (Dichanz, 1984, S. 348). Respekt wurde von Dichanz insbesondere als Achtung der Schüler vor dem Lehrer und seiner (höheren) Position verstanden. Dichanz führt an, dass vielfach in den USA die soziale Herkunft deutlichen Einfluß darauf ausübt, inwieweit Schüler dem Lehrer Respekt entgegenbringen. Es wird das Beispiel von besonders armen Schülern gebracht, die aufgrund großer familiärer Problembelastungen kein Interesse für die Schule und die Lehrer aufbringen können und wenig Respekt vor den Lehrern haben. Dem gegenüber steht das Beispiel von Schülern aus guten wirtschaftlichen Verhältnissen, die Lehrer eher mit Verachtung anstatt mit Respekt betrachten, weil sie (die Lehrer) es auf der Karriereleiter nicht weiter gebracht haben.
  2. In der Untersuchung von Schweer (1996) wird der Begriff Respekt mit dem der Akzeptanz der Schüler durch den Lehrenden gleichgesetzt und als ein "maßgebliches Kriterium zwischenmenschlichen Vertrauens" (S. 102) angeführt. Wie zentral wichtig dieser Aspekt ‚Respekt vom Lehrer gegenüber den Schülern' eingeschätzt wird, zeigte schon eine Studie von Campbell (1972) in den 1970er Jahren empirisch auf. In einer Untersuchung, bei der Lehrer, die als sehr befähigt für ihren Beruf galten, danach befragt wurden, was einen guten Lehrer ausmacht, zeigte sich: "...gute Lehrer halten verbales Lob für fragwürdig und betonen statt dessen die Notwendigkeit einer allgemeinen unterstützenden Atmosphäre [...]. Diese Atmosphäre entsteht durch die Wertschätzung der Kinder und ihre Achtung sowie durch den ihnen entgegengebrachten Respekt als Personen." (Dietrich/Elbing/Peagitsch/Ritscher 1983, S. 53).
  3. Bei der von Gordon (1999), schon in den 70er Jahren vorgeschlagenen Methode zur Konfliktlösung ohne Niederlagen, wird dem gegenseitigen Respekt zwischen Lehrern und Schülern eine besondere Bedeutung zuerkannt. Gordon spricht davon, dass anstelle von gegenseitigen Ressentiments zwischen Lehrern und Schülern der gegenseitige Respekt voreinander treten solle, so dass eine Interaktion ohne Niederlagen möglich wird.

Wie zu sehen ist, wird Respekt damit aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln thematisiert:


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