Brennpunkt Schule
Eilzugstempo beim Lesenlernen Lehrstoff: Vielen Lehrern
fehlt der Mut zur Lücke
Werner Stangl, Institut für Pädagogik und
Psychologie der Uni Linz
Als Erziehungswissenschafter, der zukünftige Lehrer
ausbildet, als Psychologe und nicht zuletzt als Vater eines
Schulkindes finde ich Ihr Anliegen, etwas zur Verbesserung
unserer Schulen beizutragen, sehr lobenswert.
Es ist sicherlich richtig, daß die Kulturtechniken
Schreiben und Lesen sehr wichtig sind, aber das Problem
liegt gerade im Forcieren dieser Fertigkeiten in unseren
Volksschulen. Wie ich aus eigener Erfahrung (von meinem Sohn
und aus Kontakten mit Eltern anderer Kinder) weiß,
wird in den meisten unserer Volksschulen beim Erlernen von
Lesen und Schreiben ein solches Eilzugstempo an den Tag
gelegt (sämtliche Buchstaben in Schreibschrift bis
Weihnachten oder bis zum Ende des ersten Semesters!),
daß etwa die Hälfte der Schüler rettungslos
überfordert wird. Aufgrund dieses Tempos kommt es
unweigerlich dazu, daß eine Vertiefung unterbleibt.
Die Kinder hetzen schon zum nächsten Buchstaben, bevor
sie den letzten auch wirklich gelernt haben. Das ist die
beste Methode, die von allen beklagten Lese- und
Rechtschreibschwächen geradezu zu "züchten!"
Die Frage nach der Entrümpelung der Lehrpläne
ist etwa für den Bereich der Volksschulen nach dem
letzten Rahmenlehrplan obsolet. Das Problem in diesem
Zusammenhang ist nur, daß Lehrer oft einfach nicht den
Mut haben, einen Absatz davon auszulassen, einen bloß
als Beispiel gedachten Lehrinhalt auch als Möglichkeit
und nicht als Pflichtpensum zu verstehen. Der berühmte
"Mut zur Lücke" wird nach meiner Erfahrung vor allem
von Schulleitern nicht gewürdigt, sondern schlicht mit
dem Versagen eines Lehrers gleichgesetzt. Bei der
Beurteilung der Qualifikation von Lehrern wird nur
berücksichtigt, ob sie ihren Stoff durchbringen, aber
nicht, unter welchen Bedingungen sie arbeiten müssen.
Das Problem mit dem Stoffumfang betrifft auch die
Lehrbücher, die sich oft sklavisch an die
Lehrpläne halten und dabei die - wie schon erwähnt
als Beispiele gedachten - Anregungen des Lehrplans als
Muß festschreiben. Das treibt - wie ich aus eigener
Erfahrung vor allem von manchen Volksschullehrbüchern
weiß - kuriose Blüten.
Die Einsparung von Geldern für Schulbücher
sollte Lehrern zur Verfügung gestellt werden, daß
sie selber individuelle Lehrmaterialien für ihre
Klassen herstellen oder besorgen können. Das
könnte vom Ankauf von Tages- oder Wochenzeitungen
reichen bis zum Eintritt in eine Ausstellung, vom Busgeld
für eine Exkursion bis zur Bezahlung von Referenten.
Untersuchungen haben gezeigt, daß Eltern der Schule
selber äußerst skeptisch gegenüberstehen und
diese Skepsis auf die Kinder übertragen. Ergebnisse von
empirischen Untersuchungen zeigen, daß die
Bildungsinhalte für fast die Hälfte der Eltern
nicht mehr nachvollziehbar sind bzw. daß sie der
Ansicht sind, daß die Schule zuwenig auf das Leben
vorbereite.
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