DER STANDARD
Samstag/Sonntag, 22./23. M‰rz 1997, Seite 5



Forscher fordern Schüleranwalt und Schule als kundenfreundliche Anstalt:

„Meldungen über schlechte Angestellte ernst nehmen“

Jedem fünften bis sechsten Schulkind geht es schlecht. Es hat zu kaum einem Lehrer ein gutes Verhältnis. Pädagogen fordern bessere Evaluierungs- methoden und stärkere Einbindung der Eltern.

Wien &endash; Der emotionale Tiefpunkt wird in der siebten und achten Schulstufe erlebt, berichtete der Linzer Schulforscher Ferdinand Eder auf einer Veranstaltung des Klubs der Bildungsjournalisten, bei der acht Erziehungswissenschafter zum Thema Schulqualität Stellung bezogen. Sie kritisierten unisono, daß es kaum Fälle gebe, in denen Lehrer aus Qualitätsmangel entfernt würden. Das Modell des Wiener Stadtschulpräsidenten Kurt Scholz, der alle Junglehrer, „alte Hasen“ aber nur bei Problemen verpflichtend von Eltern und Schülern beurteilen lassen will, stieß auf geteilte Meinungen.

„Im Kern interessant, bei der Durchführung problematisch“, stellte der Salzburger Professor Volker Krumm fest. Die Eltern seien oft hilflos und hätten Angst, etwas gegen Problemlehrer zu unternehmen, weil sie sozusagen eine „Geisel“, ihr eigenes Kind, in der Schule haben, meint Krumm. Gemeinsamer Vorschlag der Wissenschafter: Schaffung einer unabhängigen Kriseninterventionsstelle, die ähnlich wie der Patientenanwalt funktionieren und sich außerhalb der Schulverwaltung befinden sollte.

Denn ein so stark zentralisiertes System wie das Schulwesen „darf keine Fehler machen“, sagte der Innsbrucker Dozent Michael Schrantz. Deswegen werde auch versucht, sie zu vertuschen. Er kritisierte das mangelnde Management-Know-how bei Schulleitern. Der Klagenfurter Bildungsforscher Peter Posch warnte allerdings davor, Lehrer durch veröffentlichte Umfrageergebnisse „bloßzustellen“. Dies habe bei einem Experiment zu monatelanger Klimavergiftung geführt.

Der Linzer Pädagogik-Professor Herbert Altrichter lehnte am Scholz-Vorschlag das besondere Augenmerk auf Berufsanfänger ab. Junglehrer seien nämlich normalerweise nicht die Problemfälle und würden nun noch mehr verunsichert. Altrichter kritisierte den „völlig unterbetreuten“ Berufseinstieg für Anfänger. Außerdem würden Schwierigkeiten nicht ausschließlich durch „schwarze Schafe“ verursacht. An manchen Schulen sei es leichter, „ein guter Lehrer zu sein“ als an anderen, wo Qualität nicht gefördert werde.

Qualitätsfaktor Umfeld

Für die Schulqualität wiederum spiele das soziale Umfeld eine ebenso große Rolle. So habe die erste Klasse Hauptschule in ländlichen Regionen meist ein höheres Niveau als die erste Klasse eines Gymnasiums in Wien.

Trotzdem ist Krumm der Meinung, daß nicht nur von verhaltensauffälligen Kindern, sondern auch von „verhaltensauffälligen Lehrern“ gesprochen werden sollte. Schulen sollten sich wie Wirtschaftsbetriebe verhalten, die Kunden-Rückmeldungen über schlechte Angestellte ernst nehmen müssen. An einem Fünfer sei nicht immer nur der Schüler schuld. „Schule muß eine kundenfreundliche Anstalt werden.“

Grundsatzkritik an der Diskussion übte der Wiener Erziehungswissenschafter Karl-Heinz Gruber: Sie lenke vom Hauptproblem ab, das in einer zu frühen Selektion der Kinder bestehe. Im internationalen Vergleich gehe man hier sehr stark von Befindlichkeiten aus. Bei Evaluationen im angloamerikanischen Raum stehe der Output, die Schülerleistung, im Vordergrund.

Übereinstimmung herrschte beim Befragungsbogen, den die Forscher als verbesserungsbedürftig empfinden. Zustimmung auch zur Meinung des Salzburgers Josef Thonhauser: „Mobbing von Lehrern gegen Schüler nimmt eher ab“. Trotzdem sei es wichtig, gegen Einzelfälle etwas zu unternehmen. (mon)


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