DER STANDARD
Samstag/Sonntag, 24./25. Mai 1997, Seite 16


Mieses Schulklima erzeugt Angst und Desinteresse

Forscher Eder: Schwierige Klassen erhalten oft schlechtere Lehrer


Martina Salomon

Das siebente Schuljahr ist der Tiefpunkt. In diesem Zeitraum fühlen sich Schüler am häufigsten mutlos und haben „Konflikte mit der ganzen Welt“, wie es der Erziehungswissenschafter Ferdinand Eder beschreibt. Der Dozent am Linzer Institut für Pädagogik und Psychologie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema „Schulklima“ und hat in diesem Zusammenhang bereits mehr als 200 Schulen unter die Lupe genommen. Bei den besonders desperaten 13-jährigen spiele sicherlich auch die Pubertät eine Rolle, meint Eder im Gespräch mit dem STANDARD. Aber die Schulqualität habe mindestens ebenso großen Einfluß auf das Wohlbefinden.

In vielen Schulklassen, wo gestörte Lehrer-Schüler-Beziehungen herrschen, verschlechtert sich bald auch das Verhältnis der Schüler untereinander, sagt der Wissenschafter. Ein Beispiel: Der Lehrer stellt Schüler bloß und gibt sie damit der Häme der Klassengemeinschaft preis. Leistungsdruck paart sich mit schlechter sozialer Beziehung. Die Schüler empfinden in diesem Fall häufiger Angst und Streß, leiden aber auch überdurchschnittlich oft an psycho-vegetativen Beschwerden wie Kopf- oder Bauchschmerzen.

Wenn das Klima schlecht ist, verlieren Schüler leicht das Interesse am Unterrichtsschwerpunkt ihres Schultyps. Das kann dazu führen, daß etwa HTL-Maturanten ein völlig anderes Fach weiterstudieren, nach dem Motto: „Danke, jetzt reicht’s.“

Der Forscher teilt die jugendliche Lebenswelt in drei Bereiche: Familie, Schule, Gleichaltrige: Ist ein Teil gestört, wird dies noch vertragen. „Die Krise beginnt, wenn ein zweiter Bereich wegkippt.“

In seinen Forschungsarbeiten hat Eder die Erfahrung gemacht, daß schwierige Klassen oft die schlechteren Lehrer sowie die unerfahrenen Berufsanfänger verpaßt bekommen. Schlechte Lehrer sind für ihn autoritär, herabsetzend und ungerecht.

Und was sind gute Lehrer? Ein Merkmal ist: Sie fordern Leistung bei gleichzeitiger Unterstützung der Schüler. Man ist bei ihnen „müde, aber glücklich“, umschreibt es der Forscher.

Nicht zuletzt haben auch die Noten einen entscheidenden Einfluß auf die Schulatmosphäre. In allen Schultypen außer der Volksschule werden in den Hauptfächern mehr schlechte als gute Noten gegeben, meint Eder. Besonders in den Höheren Schulen herrsche die Gewohnheit, Jahr für Jahr wieder schlechte Schüler zu finden. „Wenn von den intelligentesten jungen Leuten, die wir haben, prinzipiell die Mehrheit zum schlechteren Teil der Schüler zählt, dann stimmt etwas nicht.“


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