Datum: 06.05.1997


Gastkommentar

Genlose Paradeiser für Europa?

VON WOLFGANG WAGNER

Das Wissen der Österreicher über biologische Begriffe ist überaus gering.

Wer heute am Balkon eine Satelliten-Schüssel montiert, denkt nicht mehr daran, daß der erste Sputnik vor 40 Jahren im Volksglauben zur Erklärung von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Schlechtwetter herhalten mußte. Die neue, noch unverstandene Technologie weckte Ängste, die für manche Menschen erst nach Jahren vergingen.
Bei der in Österreich erst seit kurzem heftig diskutierten Biotechnologie liegen die Dinge ähnlich. Die Parallelen bestehen weniger in der Substanz der Technologie als in der Art des Umgangs damit im öffentlichen Diskurs. Freisetzungsanträge, Sojabohnen, schließlich das Volksbegehren zur Gentechnologie starteten eine Debatte, die durch Ängste und karikaturenhafte Bilder gekennzeichnet war.
Der große Erfolg des Begehrens basiert eher auf diesen Ängsten als auf wert- oder sachbezogenen Argumenten. Daraus eine Vorreiterrolle Österreichs in Sachen Gentechnik ableiten zu wollen, erscheint gewagt. Schließlich setzt Avantgarde Kompetenz voraus, die andere nicht haben. Davon kann derzeit in Österreich nicht die Rede sein. Dabei ist nicht Kompetenz im Umgang mit der Gentechnik gemeint, sondern Kompetenz, die sich in der Glaubwürdigkeit der Debatte äußert.
Das durchschnittliche Wissen der Österreicher über biologische Begriffe und Vorgänge ist so gering wie in Griechenland, Portugal oder Spanien. Das ist nicht nur ein Mangel unseres Schulsystems, sondern großteils Folge des geringen Interesses, das wissenschaftlichen Entwicklungen entgegengebracht wird.
Unser Forschungsprojekt ergibt, daß der Begriff "Gen" oft so gebraucht wird, wie wenn es ein Fremdkörper oder eine chemische Substanz wäre, die man in einen Organismus einbringen kann und die ihn verunreinigt. So meinen nicht wenige Österreicher, daß nur "genmanipulierte Tomaten Gene haben, während natürliche Tomaten keine Gene besitzen". Konsequenz dieser Vorstellung ist, daß man sich mit Genen durch Berührung infizieren kann. Der Glaube an irreal mutierte Babies ist dann nur eine logische Folge. Diese Methaphern tauchten in den Schlagzeilen des Boulevards während der Kampagne zum Volksbegehren auf.
Unbekanntes ängstigt, aber Angst ist kein guter Ratgeber. Ein realistisches alltagspraktisches Verständnis einer neuen Technologie entsteht nur durch langfristige öffentliche Debatten und Medienaufmerksamkeit Erst die regelmäßige Präsenz von Berichten in Medien und dadurch initiierte Gespräche bringen ein Verständnis hervor, das für die qualifizierte Kritik einer Technologie nötig ist.
Im Fall der Gentechnologie steht Österreich nach dem Volksbegehren erst am Anfang der Entwicklung. Denn hier setzte die Beschäftigung der Medien mit dieser Technologie erst kürzlich ein und fand mit der Debatte um Freisetzungsanträge 1996 einen Höhepunkt. Die unvorbereitete Mehrheit der Öffentlichkeit konnte mit Begriffen wie Gen, Resistenz oder DNS nichts anfangen.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat anderswo vielfach die Kritik nicht zum Schweigen gebracht. Informierte Bewertung bringt nicht nur Zustimmung. Wissen schafft Polarisierung: Auf Kosten der Unentschlossenen wächst die Zahl derer, die dafür oder dagegen sind - und das auch argumentieren können.
Auch für informierte Entscheidungen sind persönliche Werthaltungen ausschlaggebend. Daher wird man in pluralistischen Gesellschaften selten zu einem einhelligen Ergebnis in kontroversen Fragen kommen. Das ist aber normal. Kontroversen flauen erst ab, wenn eine Technologie soweit vertraut ist, daß man nicht mehr - mangels Beurteilungskriterien - in Affekte fliehen muß. Dann können auch Risiken wirklich erkannt und bekämpft werden.
Vorauseilender Pessimismus ist keine Folge qualifizierter Urteilsbildung. Somit kann das Ergebnis des Volksbegehrens nicht der Endpunkt, sondern muß der Ausgangspunkt für eine fundierte kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Gentechnologie in Österreich sein.
Dann erst kann man über eine mögliche österreichische Vorreiterrolle in Europa reden. Derzeit wird die EU nur schwer davon zu überzeugen sein, daß "genlose" Paradeiser die Zukunft der Nahrungsmitteltechnologie darstellen.