Johannes Busse

Der 1000-Wort-Essay

If you have time
say it short

Mit einem 1000-Wort-Essay üben Sie, auf begrenztem Raum zielgruppengerecht eine Argumentation zu entwickeln. Interpretieren Sie die untenstehende formelen Randbedingungen als Spiel: Stellen Sie sich vor, sie wollen in einer kurz bemessenen "Sendezeit" möglichst wirksam möglichst viel Inhalt an ihre Leser (oder Zuhörer) herantragen. Sie benötigen diese Fähigkeit, wenn Sie

kurz: überall dort, wo Sie nicht endlos Zeit haben, sich Gehör zu verschaffen.

Formale Randbedingungen

Aufbau
Titel des Essays, Datum, Korrespondenzanschrift des Autors; Text, angemessen strukturiert durch Absätze (üblich sind etwa 50-100 Worte), möglicherweise auch Überschriften (höchstens eine Überschriften-Ebene); evtl. Literatur (da sie i.A. eigene Gedanken entwickeln und darstellen wollen, wird der Anteil an zitierter oder referierter Literatur sehr gering sein.)
Umfang
Hier vorgeschlagen: 1000 Worte. Abweichung der Wortzahl maximal 10 Prozent; Essayüberschrift, Literaturhinweise, Adresse des Autors etc. werden nicht mitgezählt.

Von der Idee zum Produkt

Einem Essay gehen immer Phasen der Ideenfindung, Recherche und inhaltlichen Auseinandersetzung voraus. An dem Punkt, an dem Sie glauben, etwas klar und deutlich verstanden zu haben, beginnt der eigentliche Schreibprozess. Einem guten Ergebnis dienen folgende Schritte:

Idee und Anliegen fixieren
Vergegenwärtigen Sie sich Ihr Kommunikationsanliegen auf doppelte Weise:

Formulieren Sie für sich eine schriftliche Antwort. Die zweite Frage hilft Ihnen, sich selbst besser zu verstehen. Die Antwort auf die erste Frage wird der Zielpunkt und Schlusssatz ihres Aufsatzes.

Adressaten und Kontext bestimmen
Überlegen Sie sich genau, für wen sie einen Text verfassen, und in welchem Kontext erscheint:
Inhalte
Wählen Sie jetzt aus Ihrem Wissensschatz das Wissen aus, das für Ihre Ziele, Ihre Adressaten und den Kontext wichtig ist. Strukturieren Sie ihre Inhalte nach sachlichen Gesichtspunkten, ohne schon den nächsten Schritt der Gliederung vorwegzunehmen. Typische Schreibtechniken oder Notationen sind hier Assoziations-Cluster, MindMap, Diagramme u.V.m. Bestimmen Sie, auf wen oder was Sie sich argumentativ stützen wollen: Theorien, Beispielen, Methoden, Autoritäten - oder auch "nur" den gesunden Menschenverstand.
Gliederung
Bestimmen Sie für Ihre Inhalte eine sinnvolle Reihenfolge: Gehen Sie Sie vom Besonderen zum Allgemeinen (induktiv) voran oder umgekehrt (deduktiv)? Wo zählen Sie auf, wo stellen Sie gegenüber? Was beweisen Sie, wo argumentieren Sie, wann plädieren Sie, wie setzten Sie Rhetorik ein?
Sprache und Stil
Entscheiden Sie sich für einen durchgängigen Stil, der sowohl Ihren Adressaten als auch dem Kontext Ihres Textes angemessen ist. Nicht jedes Kommunikationsinteresse ist in jedem Kontext realisierbar. Andererseits wird Wahrheit selbst in der Wissenschaft kommunikativ erzeugt.
Jetzt dürfen Sie schreiben
Fangen Sie erst jetzt mit der Produktion von Fließtext an. Und auch nur dann, wenn Sie ausgeruht sind und der Geist frei ist. Korrigieren Sie im Anschluss erste Tippfehler.
Revision
Lassen Sie den Text einige Tage liegen. Gehen Sie ihn dann nocheinmal durch; überlegen Sie sich:

Korrigieren Sie Tippfehler, verbessern Sie einzelne Formulierungen. Aber pfuschen Sie nicht an Ihrem Text herum. Wenn Sie einzelne vorangehende Schritte korrigieren oder widerholen müssen, wird sich dies auf die nachfolgenden Schritte auswirken. Schreiben Sie Ihren Text notfalls neu.

Sobald Sie Ihren Text veröffentlicht haben wird Ihnen auffallen, was Sie alles hätten besser machen können. Trösten sie sich: wirklich gute Artikel oder Lehrbücher (und auch Software!) wurden fast immer mehrmals völlig neu konzipiert und geschrieben.


Quelle: http://www-pu.informatik.uni-tuebingen.de/users/busse/iugSS99/kniggeEssay1000.html (00-06-06)