Die Hermeneutik

Hermeneutik ist die Wissenschaft vom Verstehen.

Das (griechische) Wort Hermeneutik (hermeneúein = aussagen, auslegen, übersetzen) bedeutet - grob umschrieben - zunächst: Kunst der Auslegung und Deutung, Technik des Verstehens und Verstehen-Könnens. In der philosophischen Tradition besitzt die Hermeneutik (seit dem 19. Jhdt.) drei Funktionen:

Verstehen meint die Erkenntnisform, die auf die Erfassung von Sinn, von Bedeutung (im Gegensatz zur Erklärung = Gründe, Ursachen, kausal) hinzielt.

Unter Sinn versteht man - als Gegensatz zu Zweck - die Inhalte des theoretischen und praktischen Handelns oder Verhaltens. Im Unterschied zum Erklären wird im Verstehen nicht der Inhalt primär aus anderem entstanden (Ursachen, Bedingungen) oder herleitbar begriffen, sondern in gewisser Weise aus sich selbst.

Beispiel:
"Spielen kann zweckfrei, aber sinnvoll sein (daher hermeneutisch betrachtbar)

Versteht man Hermeneutik in diesem weiten Sinn (erst seit jüngster Zeit), so repräsentiert sie eine bestimmte Auffassung einer Philosophie des sinnhaften Seins und Geschehens bzw. mit ihrer theoretischen und praktischen Aneignung durch den Menschen.

Hermeneutik im engeren Sinne (aus der Rhetorik hergeleitet) meint das Verstehen von überlieferten Texten. Ursprünglich im juristischen und theologischen (bis heute noch) Bereich beheimatet, wandte man die Hermeneutik seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch auf die Sprach- und Geschichtswissenschaft an. Gleichzeitig setzte eine philosophische Reflexion des Verstehens (Schleiermacher, Dilthey u.a.) ein. Sie wurde insofern zur Methodologie, als sie die Reflexion ihrer selbst als konstitutiv für die Wissenschaften mit einschließt. Die im universalwissenschaftlichen Anspruch der Hermeneutik enthaltenen Schwierigkeiten wirken sich weiterhin aus - besonders im Konflikt mit dem Neuempirismus wurde die Hermeneutik vor die Frage ihrer Legitimation als wissenschaftliches Verfahren gestellt.

Ihre Bedeutung für die Pädagogik schlägt sich nieder in der Tradition der "Geisteswissenschaftlichen Pädagogik". Nach Dilthey umfassen die Geisteswissenschaften im Gegensatz zu den Naturwissenschaften das "Ganze der Wissenschaften, welche die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstand haben".

Vertreter: Spranger, Kerschensteiner, Nohl, Litt, Weniger, Flitner, Klafki (in den Anfängen).

Zwar hat die Hermeneutik bzw. die Geisteswissenschaftliche Pädagogik kein einheitliches System hervorgebracht, doch das hermeneutisch-pragmatische Verfahren, das die geschichtlich-edukative Reallage hermeneutisch aufhellt und aufklärt und ebenso die pädagogisch relevanten Fakten empirisch erforscht, hat besonders in den letzten Jahren in der Krise der Pädagogik (Selbstverständnis als Wissenschaft, Konfrontation mit Psychologie, Soziologie und anderen Gesellschaftswissenschaften) neuen Auftrieb erhalten.

Im Rahmen der geisteswissenschaftlichen Bildungstheorien sind einige Themen besonders intensiv diskutiert worden: die Autonomie der Pädagogik, der pädagogische Bezug, die geisteswissenschaftliche Didaktik, die Theorie der Bildsamkeit, das Normenproblem und die Theorie der Bildungsinhalte (Klafki, Weniger). Vor allem Klafki konstituierte Erziehungswissenschaft als kritisch-konstruktive Theorie, die Hermeneutik, Empirie und Ideologiekritik umfaßt. Grundgedanke der Hermeneutik ist die Unterscheidung zwischen elementarem und höherem Verstehen.

elementares Verstehen

höheres Verstehen

alltäglich, nicht bewußt
individuell
subjektiv

Sie richtet sich auf einzelne Lebensäußerungen.

baut auf elementarem Verstehen auf
allgemeingültige Zusammenhänge
objektiv (nicht mit absolut verwechseln)

Richtet sich auf Ganzheiten von miteinander in Beziehung stehenden Lebensäußerungen.

Der hermeneutische Zirkel


©opyright Werner Stangl, Linz 1997.
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