ARKTOS

Geschichten

Sigrid Heuck

Die Teddybär-Geschichte




In einem Wald, in dem die Bäume besonders dicht standen und es immer ein bißchen dämmrig war, wohnte einmal eine Bärenfamilie.
„Sei nicht so vorwitzig und bleib immer schön hinter mir!" sagte Mutter Bär zu ihrem Bärenkind, wenn sie zusammen durch den Wald streiften.
Zuerst war der kleine Bär auch ganz brav. Aber als er größer wurde, hörte er nur noch mit einem Ohr auf die Worte der Mutter, dann nur noch mit einem halben und schließlich mit keinem mehr. „Ich wüßte zu gern", brummte er zu sich selbst, „wie es hinter den Bäumen aussieht."
Und eines Tages, als Vater Bär und Mutter Bär nicht so gut aufpaßten, lief der kleine Bär davon. Er lief durch den Wald, über Wiesen und Felder. Weil er schon ein bißchen müde war, blieb er vor einem Haus stehen, das von einem kleinen Garten umgeben war. Auf einer Bank saß ein Mädchen und weinte. „Niemand spielt mit mir!" schluchzte es. Die Tränen liefen ihm dabei über die Wangen.
Das Bärenkind sah das kleine Mädchen an. 'Wie ger-ne würde ich mit ihm spielen', dachte es. „Wenn du möchtest", brummte es, „dann können wir uns ein bißchen schubsen."
„Wie geht das?" fragte das Mädchen neugierig.
„Du schubst mich mit dem kleinen Finger und ich dich mit meiner Nase, und wer dabei grob wird, der hat verloren." Damit war das Mädchen einverstanden.
Das Bärenkind kletterte über den Zaun, und sie spielten Schubsen, bis ihnen die Lust dazu verging.
Später zeigte das Mädchen dem kleinen Bären seine Schaukel. Sie schaukelten, spielten Ball und lachten zusammen. Am Abend, als es an der Zeit war, ins Bett zu gehen, durfte der kleine Bär im Puppenwagen schlafen. Die Mutter des Mädchens deckte ihn wie ihr eigenes Kind zu. In der Nacht träumte das Bärenkind vom Wald, von Vater Bär und Mutter Bär. Sie weinten, weil ihr Kind davongelaufen war.
Als der kleine Bär am nächsten Morgen aufwachte, war er krank. Er schlotterte an allen Tatzen. „Was fehlt dir?" fragte ihn das kleine Mädchen. „Mich friert's", brummte das Bärenkind unglücklich.
„Aber du hast doch einen dicken Pelz. Wie kannst du da frieren?"
„Mich friert's unter dem Pelz", jammerte der Bär. „Irgendwie inwendig."
Da rief das Mädchen seine Mutter, und die Mutter rief den Vater. Alle beratschlagten, was man für das Bärenkind tun könne. „Ich glaube, es ist Heimweh", sagte der Vater auf einmal. Und weil er ein kluger Mann war und wußte, wo die Bären wohnen, nahm er das kleine Bärenkind huckepack und trug es zurück in den großen Wald.
Er brachte es dorthin, wo die Bäume besonders dicht standen und wo es immer ein bißchen dämmrig war. Mutter Bär und Vater Bär freuten sich, als sie ihr Kind wiedersahen. Sie umarmten es, und der kleine Bär war gleich wieder gesund. Das Mädchen aber weinte, weil es das Bärenkind so gern behalten hätte.
Da setzte sich seine Mutter hin und nähte einen kleinen Stoffbären. Zuerst zerschnitt sie eine wuschelige Decke. Aus schwarzen Knöpfen machte sie Augen. Mund und Nase stickte sie mit braunem Garn.
„Er sieht genauso aus wie mein Bärenkind", sagte das kleine Mädchen und nahm den Teddy glücklich in die Arme. Am Abend legte es den Bären in den Puppenwagen und deckte ihn zu. Als die Nachbarskinder den Stoffbären sahen, wollten sie auch mit ihm spielen. Damit es keinen Streit gab, nähte die Mutter für jedes Kind einen eigenen Teddybär. Sie nähte und nähte. Vielleicht näht sie heute noch.



Aus: Mein Buch der Gutenachtgeschichten, Hrsg. von Sabine Scheuler, Ravensburger Buchverlag 1996

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