[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Psychotechnische "Schulen":
Familienaufstellung nach Hellinger

Bert Hellinger:
"Bei der Psychotherapie ist die Vorgehensweise ganz einfach. Es geht einem da wie einem guten Führer. Ein guter Führer sieht, was die Leute wollen, und das befiehlt er."
Weber, Guntram (1999). Zweierlei Glück. Die systemische Psychotherapie Bert Hellingers.
Pinkl, Gabriele (o.J.). Respekt statt Macht. Kritische Anmerkungen zur "Familienaufstellung nach Hellinger".
WWW: http://www.info.weltanschauungsfragen.de/
a-z/Hellinger.html (03-10-12)

Bei der Familienaufstellung nach Bert Hellinger - der keine anerkannte Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert hat - handelt es sich um ein systemisch-familientherapeutisch anmutendes Verfahren, das in der Gruppe durchgeführt wird. Theorie und Methodik der Familienaufstellung gehen zurück auf die Mehrgenerationen-Perspektive der systemischen Familientherapie, auf die Methoden der Familienrekonstruktionsarbeit und vor allem das Stellen von Familienskulpturen, die wichtiger Bestandteil der Systemischen Therapie sind. Innerhalb Systemischer Therapie und Beratung wird das Individuum u. a. als familiengeprägtes Wesen verstanden, dessen Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten durch die Geschichte der vorhergehenden Generationen, durch überkommene Regeln, Muster und Loyalitäten stark mitbestimmt werden. Techniken wie die Genogrammarbeit oder das Stellen von Familienskulpturen sollen dem Einzelnen neue Bewertungsmöglichkeiten der Familiengeschichte und damit zusätzliche eigene Verhaltensmöglichkeiten eröffnen. Dazu bedarf es eines Therapeuten, der weiß, dass er nicht die "wahre" Sicht kennen kann, der den KlientInnen und ihrer Sichtweise mit empathischer Sensibilität und Respekt begegnet, ihre Autonomie achtet sowie Vielfalt und eine Erweiterung von Handlungsoptionen auf Seiten der KlientInnen fördert. Simon und Retzer (1998) verwehren sich gegen einen Vergleich der Aufstellungen mit der Systemischen Therapie im eigentlichen Sinne, denn Hellingers Vorgehen hat mit der Systemischen Therapie praktisch nichts gemeinsam: "Bert Hellingers Methoden (haben, W.S.) mit der systemischen Therapie nichts gemeinsam. Wer beide in einem Atemzug nennt, betreibe Etikettenschwindel". Sie begründen ihre Behauptung folgendermaßen: ". . . da Bert Hellinger davon auszugehen scheint, einen direkten (phänomenologischen) Zugang zur Wahrheit zu haben, meint er die Ordnung oder Unordnung der Familie zu sehen. Deswegen macht er sich daran, Ordnung zu schaffen. Er stellt die "Lösung" für die Familie, das heißt, er verändert die Positionen der Stellvertreter der Familienmitglieder, so wie er es - nach deren Feedback - für richtig hält. Manchmal läßt er rituelle Sätze sprechen. Damit ist die Angelegenheit erledigt, die Protagonisten können sich wieder setzen, der nächste bitte".

Bert Hellingers Methode des "Familienstellens" erfreut sich besonders bei Anbietern auf dem Esoterikmarkt zunehmender Beliebtheit. In Bert Hellingers "Ordnungen der Liebe" findet sich die Kernthese: Es gebe "Ordnungen, die der Liebe in menschlichen Beziehungen vorgegeben sind. Daher gelingt uns diese Liebe nur, wenn wir um ihre Ordnungen wissen". Diese Ordnungen gelten als faktische Realitäten, die es anzuerkennen gilt. Wer sich nicht daran hält, gerät in dramatische schicksalhafte Verstrickung. Krisen und Krankheiten entstehen dort, wo jemand liebt, ohne die Ordnungen der Liebe zu kennen. Daher beginnt die Lösung und Heilung mit der Einsicht in diese Ordnungen, die durch die Aufstellung zu erlangen ist.

Beim Familienstellen - häufig in einem Seminar mit bis zu 500 KlientInnen, deren Probleme angegangen werden sollen - bekommen diese drei Fragen gestellt:

Daraufhin wählt der Klient aus den Anwesenden Stellvertreter für sich und seine Familienangehörigen aus und stellt diese so im Raum auf, wie die Familienstrukturen nach seinem Empfinden beschaffen sind. Hellinger gibt dabei vor, wer alles "gestellt" werden soll und die KlientInnen Klient korrigieren die Stellung und Blickrichtung zueinander, bis sie diese stimmig finden, und setzen sich wieder. Nun kommt der Therapeut ins Spiel. Er befragt die Stellvertreter nach ihren Gefühlen, was ihnen Angst macht, zu wem sie sich hingezogen oder abgestoßen fühlen. Daraufhin ändert er die Aufstellung, stellt Personen um, fragt eventuell den Klienten nach Einzelheiten oder nicht aufgestellten Familienmitgliedern. Wenn der Therapeut empfindet, dass die Aufstellung ausgewogen ist, stellt er den Klienten an die Stelle seines Stellvertreters und lässt die Situation wirken. Neben der Ordnung ist bei Hellinger die "Verstrickung" ein Schlüsselbegriff und meint damit "Zusammenhänge, die man nicht ableiten kann", bzw. Zusammenhänge, die nur Hellinger durch die Aufstellung "sieht" (vgl. Wiemann 2000).

Anmerkungen zum Original

Familienrekonstruktion bedeutet, dass Menschen unter qualifizierter Anleitung ihre eigenen Herkunftsfamilien rekonstruieren, dass sie Berichte über ihre Familien, die Familien ihrer Eltern und Großeltern, über wichtige Erlebnisse und Ereignisse sammeln und sich davon erzählen lassen. Dann arbeiten sie unter Anleitung von ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten jene Ereignisse heraus, die für sie in ihrem jetzigen Leben bedeutsam geworden sind, die positiv oder negativ auf sie wirken. Dabei ist davon auszugehen, dass das Verstehen der Entwicklungszusammenhänge von Familien dazu beitragen kann, Probleme aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen und dann zu bearbeiten. Die Arbeit mit Skulpturen wurde in den sechziger Jahren von Virginia Satir und anderen in den USA entwickelt.
Bei der Arbeit mit Skulpturen im Beratungskontext geht es darum, systemische Zusammenhänge, Entwicklungen in Familien und anderen Systemen quasi als Momentaufnahmen mit lebenden Personen darzustellen und zu verdeutlichen. Dabei kann gezeigt werden, wie Personen im System einer Familie zueinander in Beziehung stehen. Die Arbeit mit Skulpturen hat sich im Lauf der Zeit differenziert. Dabei ist bei einer seriösen Arbeit darauf zu achten, dass die Personen, die sich für eine Skulptur zur Verfügung stellen, respektvoll angeleitet, begleitet und auch wieder aus der Rolle entlassen werden. Sie schlüpfen dabei ja in eine "Rolle", von der sie sich wieder distanzieren können müssen, wenn sie aus der Skulptur heraustreten. Das macht die Faszination dieser Arbeit aus, deutet aber auch schon an, was für ein sensibles Instrument der Beratung dies sein kann.
Diese Arbeit wird in der Regel nur von erfahrenen und gut ausgebildeten TherapeutInnen übernommen, denn neben Verantwortungsbewusstsein ist auch die Fähigkeit nötig, mit ungewohnten Sichtweisen und eventuell auftauchenden Krisen kompetent umzugehen. Diese Arbeit erfordert Vorbereitung und ein relativ umfassendes Wissen.
Die Skulptur-Arbeit kann im beraterisch-therapeutischen Kontext geschehen, in dem versucht wird, die Familienstrukturen, einzelne Bilder aus der Familienbiographie, mit Hilfe von Akteuren darzustellen. Dabei suchen Klient oder Klientin Stellvertreter für seine beziehungsweise ihre Familienmitglieder aus, die dann in einem Bild (der Skulptur) das familiale System darstellen sollen. Oft geht es dabei um die Dimensionen Nähe und Distanz der Familienmitglieder untereinander oder um bestimmte schwierige und belastende Interaktionen. Diese Arbeit mit Skulpturen ermöglicht es, eine Momentaufnahme von Familie zu stellen, in der Strukturen ablesbar sein können.
Diese Arbeit weckt bei den meisten der Akteure Emotionen, die denen der "realen" Familienmitglieder sehr nahe kommen können. Es ist faszinierend, wie die Aussagen der fremden, in der Skulptur stehenden Akteure, denen der realen Familienmitglieder ähneln. Die Arbeit mit Skulpturen, dieses dichte und Emotionen freisetzende Instrument der Arbeit mit Familien und Gruppen, scheint der Schlüssel zur Faszination zu sein, die auch die Arbeit von Bert Hellinger auf Laien und sogar manche Fachleute ausübt (vgl. Pinkl o.J.).

Hellinger lässt dann nicht selten den Klienten an Eltern oder Ausgestoßene Worte wie "Ich gebe dir die Ehre" nachsprechen. Er geht von einer starken Verbindung der Familienmitglieder untereinander aus, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. Ein früher Tod eines Familienmitgliedes wirkt sich demnach tiefgreifend aus. Die Überlebenden stehen vor dem Schuldgefühl, warum sie leben dürfen und der Verstorbene sterben musste. Wenn jemand schwere Schuld verdrängt, kann ein anderes Familienmitglied diese Schuldgefühle übernehmen. Da dieses aber die Schuld nicht begangen hat, bleibt ihm die Sühne verwehrt und es muss darunter leiden. Auch Kinder würden sich aus Treue gegenüber ihren Eltern nicht getrauen, glücklicher als jene zu leben, was man z.B. daran ersehen könne, dass die Anzahl der Ehejahre bis zur Scheidung oft die gleiche wie bei den Eltern sei. Besonderes Augenmerk richtet Hellinger auf nicht vorhandene Familienmitglieder, Verstorbene oder Ausgestoßene, ehemalige Partner und ungeliebte Verwandte. Dabei gebe es feste Rangordnungen, die durch die Zeit bestimmt werden: wer zuerst da war, hat Vorrang vor dem, der später kommt. So habe in einer Partnerschaft die erste Beziehung immer Vorrang vor der zweiten, der Erstgeborene vor dem Zweitgeborenen usw. Für die Praxis des Familienstellens ist die Theorie des "wissenden Feldes" von grundlegender Bedeutung. Sie besagt, dass die Stellvertreter, die ja keinerlei weitergehende Informationen über die von ihnen repräsentierte Familie haben, dennoch geheimnisvollen Zugang zu dem Wissen der durch sie vertretenen Personen hätten. Sie stehen nicht nur stellvertretend, sondern fühlen und reagieren oft auch so. Die Stellvertreter bei Hellinger irren sich daher nie, denn sie sind identisch mit der wirklichen Familie. Die "Aufstellung" und das, was die Rollenspieler fühlen, was Hellinger den Rollenspielern suggeriert, wird zum Dogma und als absolut und wahr hingenommen, was im Gegensatz zu jeder seriösen Familientherapie steht. Hat sie Hellinger auf der Bühne umgruppiert, so meint er, wird sich auch die echte Familie draußen hierdurch ändern. Die KlientInnen äußern sich in ganz bestimmten immer wiederkehren Codes wie: "Hinter mir ist es warm", "Meine rechte Seite ist heiß", "Es ist gut", "Es ist ein gutes Gefühl so", manchmal auch: "Mein Herz klopft", "ich schwitze", meine Knie zittern", "Es ist jetzt viel besser so", "Ich habe schwere Arme", "einen Kloß im Bauch, groß und fest", oder: "Dort ist das Licht" (vgl. Wiemann 2000).

Hellinger hat diese Methode nach Angabe von Schäfer (2004) aus seiner Zeit als Leiter eines Waisenhauses für Jungen in Südafrika die Beobachtung mitgebracht, dass sich naturmedizinische Stammesrituale der Buschmänner mit dem Geist der Ahnen hilfreich befassen.

Emphatisch statt empathisch

Die Hellinger'sche Aufstellung, welche mit der Familientherapie nach Virginia Satir kaum mehr etwas gemein hat, erfüllt viele Kriterien einer stark an Sektenpraktiken erinnernden Manipulationstechnik: Hellinger, selbst ohne berufliche Therapiequalifikation, kommt im Kreis seiner Anhänger ein guruhafter Status zu, der sich u.a. in therapeutisch sehr fragwürdigen Massenveranstaltungen zeigt; seine Arbeit beruht auf einem reaktionären und autoritären Gesellschafts- und Familienbild, das Frauen und Kinder herabsetzt; das Bemühen um ein Verständnis des individuellen Schicksals tritt hinter das pseudoreligiöse Gebot einer natürlichen, quasi-göttlichen Ordnung zurück; das Ziel der Familienaufstellung ist nicht die Verwirklichung und Heilung des einzelnen, sondern die autoritäre Wiederherstellung einer vom Therapeuten willkürlich vorgegebenen Ordnung. Die Familienaufstellung nach Hellinger ist keinesfalls geeignet, irgendeine Form psychischer oder gar physischer Erkrankung bzw. deren Ursachen zu ermitteln. Hellinger verschreibt direktiv Lösungen, konfrontiert KlientInnen mit apodiktisch vorgetragenen Interpretationen und Anweisungen, und wer seinen "Lösungen" nicht folgt, wird wie ein Schulkind zurück auf seinen Platz verwiesen. Hellinger ignoriert das strukturell in jeder Therapeut-Klienten-Beziehung enthaltene Macht-Abhängigkeits-Verhältnis bzw. bedient sich dessen bewusst. Die Werte eines humanistischen Menschenbildes, die dem systemischen Ansatz innewohnnende Klientenzentriertheit, das Respektieren von Abwehr, das Berücksichtigen von Phasen im therapeutischen Prozess werden (bewusst?) ignoriert, wie man aus den zahlreichen Videos sehen kann, welche die Methode dokumentieren und verbreiten.

Richten manche Psychotechniken keinen großen Schaden an, solange sie nicht alternativ und in schädigender Absicht eingesetzt werden, ist vor den dilettantischen, jedoch psychisch destruktiven Folgen der pseudotherapeutischen Interventionen Bert Hellingers ausdrücklich zu warnen. Deshalb beurteilt die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) die publikumswirksame Praxis des Familienaufstellens nach Bert Hellinger als "ethisch nicht vertretbar" und "gefährlich für die Betroffenen". Die Kritik der DGSF (2003) richtet sich vor allem gegen "Ultra-Kurz-Events", die eine Gefährdung von Klienten darstellen, da Familien ohne ausreichende therapeutische Rahmung und persönliche Beziehung zum Therapeuten "aufgestellt" würden. Hellinger vertritt sein Vorgehen mit einer Absolutheit, die die Selbstbestimmung der Klienten enorm einschränkt, während er sich geichzeitig einer kritischen Diskussion seiner Vorgehensweisen entzieht. Obwohl Hellinger selbst keine Schüler ausbildet, gibt es mittlerweile einige Dutzend Therapeuten, die "Familienaufstellungen nach Hellinger" anbieten. Hellinger selbst fühlt sich für diese Epigonen nicht zuständig, unternimmt aber andererseits auch nichts, um seine Methode schützen zu lassen. Stöhr (1999) berichtet über ein Seminar im Berliner Dom, in dem die Technik der Familienaufstellung nach Hellinger geübt wurde. Ethisch nicht vertretbar und gefährlich sind auch die Verallgemeinerungen und Vereinfachungen von aus dem Kontext einer bestimmten Familienaufstellung herausgerissenen Aussagen, die "kleine Hellingers" zu bewertenden und normativen Leit- und Lebenssätzen umformulieren. Oft besteht die Lösung in der Wiederherstellung konservativer Strukturen, d.h. die Kinder müssen die Eltern respektieren, die Frau den Mann usw. Dies sollen sie oft auch durch einen Satz den Repräsentanten ihrer Familie gegenüber zum Ausdruck bringen. Es sind immer wieder dieselben Sätze, die Hellinger "verordnet": "Ich gebe Dir die Ehre" ist wohl Hellingers Lieblingssatz, gemessen an der Verwendung in den protokollierten Aufstellungen. In Verbindung mit einer Verneigung vor der Stellvertreterin der Mutter dient er z.B. als "Behandlung" gegen Rückenschmerzen (Hellinger 1996, S. 68). Hellinger selbst liefert im Interview mit "Psychologie heute" einige weitere erschreckende Beispiele für sein Vorgehen, z.B. bei sexuellem Mißbrauch: "Ich habe sie sagen lassen: ´Papa, ich habe es gerne für dich gemacht`" (Krüll & Nuber 1995, S.23).

StellvertreterInnen als Opfer psychologischer Manipulation

Die von manchen als verblüffend und doch so überzeugend erlebten Stellvertreterreaktionen sind bei näherer fachwissenschaftlicher Betrachtung einige seit langem in der Psychologie bekannte basale Mechanismen, die nichts mit der Wirksamkeit des Familienstellens zu tun haben, sondern diese als eine mehr oder minder subtile Form des Psychoterrors entlarven, den ein Kundiger auf seine Umgebung auszuüben im Stande ist. Zunächst ist hier das auch aus dem Alltag bekannte Resonanzphänomen zu erwähnen, das auf Grund eigener Erfahrungen und Erlebnisse zu Stande kommt. Vielfach handelt es sich dabie auch bloß um grundlegendes Rollenwissen von Menschen, auf das sie unbewusst zurückgreifen. Schließlich führt der soziale Druck der Situation die StellvertreterInnen auch zur Erfüllung von Rollenerwartungen, die dann noch mit einem gerüttelten Maß an Empathie erfüllt werden. Die von den StellvertreterInnen erlebten Spannungssituationen, die vom Aufsteller zu massiven Suggestionen genutzt werden, entladen sich schließlich in Evidenzillusionen, in denen Empfindung und Betroffenheit mit Wahrheit verwechselt werden. Nicht zuletzt wird der in der Psychologie lange bekannte Barnum-Effekt wirksam, der besagt, dass vage und nur in Andeutungen zugeschriebene Merkmale als äußerst zutreffend erlebt werden (vgl. Haas 2004).

Hellinger ist wegen seiner rigiden und häufig auch unerwarteten Urteile offensichtlich für viele attraktiv, befriedigt er mit seinen Massenveranstaltungen doch auch ein voyeuristisches Bedürfnis, indem er Gut und Böse bestimmt, beschuldigt und plötzliche Entlastung erteilt. Hellinger bietet mit der Familienaufstellung kein im Sinne einer wissenschaftlichen Psychologie seriöses Therapiekonzept an, sondern Wunderheilung und manchmal sogar ein die KlientInnen gefährdendes Wahnsystem. Das offensichtlich bei vielen vorhandene Bedürfnis, nicht selbst über sich bestimmen zu müssen oder zu können, sich lieber "höheren Mächten, höheren Gesetzmäßigkeiten" unterzuordnen, wird von Bert Hellinger und seinen Adepten in gefährlicher Weise befriedigt, wobei er dafür in kurzer Zeit einfache Lösungen bietet (vgl. Wiemann 2000).

Dabei ist diese Faszination Bert Hellingers nur schwer nachvollziehen. Sicherlich hängt sie auch damit zusammen, dass wir in einer zunehmend unübersichtlich werdenden Welt gerne jemand hätten, der sagt, was wirklich richtig ist. Eine Familientherapie dauert zwischen sechs bis 30 Stunden, während Hellinger für seine "Lösungen und Ordnungen" nur etwa 20 Minuten benötigt, wobei er damit eine Grundannahme der Systemischen Beratung missachtet, dass die Lösung die Familie, die Klienten selbst hat, und BeraterInnen nur bei der Suche danach helfen. Es gibt mittlerweile so viele selbsternannte Hellinger-Schüler, die ohne fundierte therapeutische Ausbildung in Schnellseminaren, die ein Wochenende oder eine Woche dauern, unverantwortlich mit Menschen oft in bedrohlichen Notsituationen "spielen". Aussagen von Anbietern, dass der Markt die Spreu vom Weizen trennen würde, sind nicht nur blauäugig sondern im Bereich von psychischen Problemen auch unverantwortlich. Der Markt hat seine eigenen Gesetze, und die sind nun einmal nicht vorwiegend ethisch motiviert. Man kann daher nicht solche Seminare anbieten, ohne sich dafür zu interessieren, welche Ausbildungen die ReferentInnen haben. Und in einer Zeit, in der auch "Pfusch" teuer verkauft wird, würde es sich wohl auch lohnen, wenn man nicht nur die Ausbildungen, sondern auch die Persönlichkeit und den ethischen Hintergrund von Referenten mehr in Frage stellen würde (vgl. Pinkl o.J.).


In der Newsgroup de.sci.psychologie schrieb am 11.8.2006 Ulrich Gresch (http://www.psychoprobleme.de/) im Thread "Komorbidität bei Alkoholismus" zur Bedeutung der empirischen Forschung:

"… die empirische Forschung ist im Kern antiautoritär. Letztlich zählen nur Logik und Fakten - die Meinungen von Autoritäten lässt man zwar gelten, betrachtet sie aber als Hypothesen, die es durch Logik und Fakten zu widerlegen gilt. Allerdings räume ich ein, das den Betrieb empirischer Wissenschaft auch außerwissenschaftliche, autoritäre und ökonomische Tendenzen mitbestimmen. Man muss lernen, das eine vom anderen zu unterscheiden. Die Wissenschaft an sich ist keine Diktatur und keine Demokratie, weil man die Wahrheit weder dekretieren, noch über sie abstimmen kann. Die Crux ist, dass viele Menschen fast süchtig sind nach Autoritäten, nach großen und starken Männern und dass sie Logik und Fakten wenig beeindrucken. Sie wollen sich die Welt von Koryphäen erklären lassen. Dieses Phänomen betrifft natürlich auch die Psychologie und Psychotherapie - und dies sogar in besonderem Maße. Darum haben wir hier soviele Gurus, meinst männlichen Geschlechts mit treu ergebenen Jüngern, oft weiblichen Geschlechts. Obwohl heute die überwiegende Mehrheit der Psychologinnen Frauen sind (kein Scherz), sind die tonangebenden Gestalten immer noch Männer, doppelgesichtige Männer: die eine Seite ist liebevoll väterlich, die andere zürnend, zwanghaft, intrigant. Demgegenüber hat die empirische Forschung kein Geschlecht, Logik und Fakten sind weder männlich, noch weiblich. Es ist offensichtlich so, dass nicht nur Politik, Kommerz und meist männliche Eitelkeiten den wissenschaftlichen Fortschritt in der Psychologie behindern, sondern auch die Mythen des großen Mannes, die leider auch in vielen weiblichen Köpfen fest verankert sind. Frauen, die den Geist der Zahlen, Daten und Fakten bekämpfen, um eine weibliche Sicht durchzusetzen, sollten sich also klar machen, dass sie damit männliche Autorität und Eitelkeit in der Wissenschaft nicht schwächen, sondern stärken. Denn sie bekämpfen damit jenen Mechanismus, der zuverlässig an jeder Autorität nagt und nagt und nagt …" (Hervorhebungen von mir; W.S.).

Hier einige Ausschnitte einer zusammenfassenden Kritik seiner Bücher "Anerkennen, was ist. Gespräche über Verstrickung und Lösung" und "Ordnungen der Liebe. Ein Kursbuch": Hellinger gibt seinen Klienten handfeste und nicht diskutierbare Anweisungen, erzeugt durch diese Absolutheit eine gewisse Faszination. Dahinter steht seine Theorie der "sippenweise wirkenden Verstrickungen" die er daher nicht Theorie sondern Erfahrung nennt. Typisch dafür ist seine einseitige Betrachtung von Inzest oder Adoption, die Ablehnung rücksichtsloser Selbstverwirklichung, die Positivbetonung der Familie im Gegensatz zu deren pathogenetisch einseitigen Sündenbock-Rolle, die Verurteilung selbstgerechter Moral. Vieles aus Hellingers Deutungen ist aber schlichter Unsinn, etwa Aussagen wie: „Rückenschmerzen haben psychologisch gesehen immer die gleiche Ursache, und sie werden ganz einfach geheilt durch eine tiefe Verneigung.“ - „Kopfschmerzen können die Folge von angestauter Liebe sein, angestaut, weil eine frühe Hingebung unterbrochen wurde. Sie geht in der Regel zur Mutter.“ Über die von ihm eingesetzten zeremoniellen Vollzüge wie das Niederknien, tiefe Verneigungen mit zusätzlicher vegetativer Stimulierung durch tiefes Atmen, Umarmen, etc.erreicht er auf suggestivem Weg durchaus manche positive Wirkung, denn so wirken ja auch Schamanen mit ihren Ritualen manchmal ebenfalls positiv, wodurch Hellinger ein gewisses mystisches Bedürfnis der KlientInnen befriedigt. Negativ, gefährlich und potentiell schädlich ist Hellingers Ablehnung, KlientInnen dann beizustehen, wenn schwere Probleme aufgedeckt und auch starke Emotionen geweckt wurden. Er verweigert in diesem Fall seine Therapeutenrolle und meint, der Klient oder die Klientin müsse damit selbst fertig werden, wodurch es aber zu einer Verschlimmerung der Symptomatik, zu neuen Krisen bis hin zum Suizid kommen kann. Er verletzt damit einen Grundgedanken auch jeder provokativen Therapie, die keinen Klienten mit aufgerissenem Bauch auf die Straße schickt.
Quelle: http://www.psychotherapeutische-medizin.at/pdf/Hellinger.pdf (08-08-12) - (Hervorhebungen von mir; W.S.).

Weiterführende Literatur

Bördlein, Christoph (2001). Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine. Eine Einführung ins skeptische Denken. Aschaffenburg: Alibri.

Fehlinger, Margarete (1998). Familien am Schachbrett Skulptur-Rekonstruktion-Aufstellung - Umstrittene Methoden in der Familientherapie. Wiener Zeitung vom 18.12.

Haas, Werner (2004). Familienstellen - Therapie oder Okkultismus. Asanger.

Schäfer, T. (2004). Was die Seele krank macht und was sie heilt. Die psychotherapeutische Arbeit Bert Hellingers. Knaur.

Wiemann, Irmela (2000). Die "systemische Familientherapie Therapie nach Bert Hellinger" - eine gefährliche Heilslehre.
WWW: http://www.sgipt.org/kritik/helling/Hellinge.pdf (02-07-21)

Siehe auch im Überblick die Arbeitsblätter zu den Psychotherapeutischen Schulen und Psychoanalytische Schulen bzw. die "Gebrauchsinformation" zu manchen eher randständigen Theorien aus dem Umkreis der Kommunikationspsychologie.

Quellen und Literatur zu Psychotechnischen Schulen



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