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Lehr-lerntheoretische oder unterrichtstheoretische Modelle

Die unterrichts- oder lehr-lern-theoretischen Ansätze gründen auf expliziten Definitionen von "Lernen", dessen Voraussetzungen, Bedingungen und Wirkungen sowie deren Zusammenhänge mit "Lehren". Lehr-Lern-Theoretiker wollen empirisch prüfbare Aussagen über Lehren und Lernen bzw. "Unterricht" entwickeln, und sich dazu auf erfahrungswissenschaftlich faßbare Fakten stützen. Dadurch signalisieren sie eine Abwendung von den Bildungstheoretikern, die ihre theoretischen Aussagen überwiegend mit nichtformalisierten ("geisteswissenschaftlichen") Methoden gewinnen und begründen (z. B. Phänomenologie, Interpretation, Auslegung).

Didaktik als Theorie und Lehre

Besonders HEIMANN (1962) war mit seinen Ausführungen zur "" richtungweisend für Forschungsarbeiten und Lehrerausbildung. HEIMANN identifiziert als didaktische Reflexionsstufen bei Unterrichtsanalyse und Unterrichtsplanung die "Struktur-Analyse" und die "Faktoren-Analyse".

Struktur-Analyse

In der "Struktur-Analyse" soll ein "Didaktiker" (Lehrer) die wichtigsten "Konstanten" von Lehr-Lern-Prozessen herausarbeiten. Damit einhergehen soll nach HEIMANN (1962, 415) die "Konstituierung eines geschärften Struktur- und Problembewußtseins" beim Lehrenden. Dessen Verhalten sollte "distanziert und emotional neutralisiert, ..., objektivierend" sein. HEIMANN postuliert als "formal konstante, inhaltlich variable Elementar-Strukturen" solche inhaltlicher, intentionaler, methodischer und medien- bedingter Art. Diese vier "Elementar-Strukturen" nennt er "unterrichtliche Entscheidungs- felder". Daneben postuliert er "unterrichtliche Bedingungsfelder" als Strukturen aus (angenommenen) Voraussetzungen personaler bzw. anthropologisch-psychologischer und situativer bzw. sozial-kultureller Art. "Strukturen" sind somit in diesem theoretischen Modell bestimmte Gefüge aus Konstanten und Variablen zur Beschreibung von (schulischem) Unterricht.

Faktoren-Analyse

Auf der Reflexionsstufe "Faktoren-Analyse" soll ein Lehrer spezielle Einflußfaktoren ermitteln. Dabei geht es letztlich um konkrete Maßnahmen, durch welche die postulierten didaktischen Bedingungen und Entscheidungen realisierbar sind. Die "Faktoren-Analyse" umfaßt die Suche und Explikation von Begründungen für konkret geplanten oder abgelaufenen Unterricht. Das Handeln (eines Lehrers) auf dieser Reflexionsstufe sollte nach HEIMANN (1962, 415) "konstruktiv, kombinatorisch, erfinderisch, entscheidungsbedacht, engagiert" sein.

 

SCHULZ (1965, 23) differenziert die von HEIMANN dargestellten Strukturelemente in

Anmerkung: Bereits HAUSMANN (1959, 98ff.) hat eine Erweiterung um ein Entscheidungsfeld "schulische Organisationsformen" vorgeschlagen, das unter anderem auch die (schul-) räumliche Gestaltung umfassen soll. Ebenso sollten "Methoden" nach HAUSMANN umfassender und variabler als "Strategien" definiert, und ein Entscheidungsfeld "Rolle" für das Verhalten von Lehrer und Schülern (in Anlehnung an die Dramaturgie in der Kunst) ausdifferenziert werden. Diese Vorschläge haben freilich keine nennenswerte Resonanz gefunden.

strukturale Didaktik

Die "strukturale Didaktik" von LENZEN (1973) beruht auf linguistischen und kognitiv-strukturpsychologischen Annahmen über "Lernen" (z. B. CHOMSKY 1969). Dementsprechend ist dieses Modell in erster Linie (nur) auf Sprachen- bzw. stark begriffsbezogenen Unterricht anwendbar.

LENZEN konzipiert im Rahmen seines didaktischen Modells (Sprachen-)"Lernen" als Transformation objektivierbarer "Oberflächenstrukturen" in subjektive "Tiefenstrukturen". Beide Strukturen sollen zusammen die kognitive Organisation eines (lernenden) Individuums bilden.

Die kognitiven Tiefenstrukturen sind für LENZEN veränderbar durch Lernen, die in der Umwelt gegebenen bzw. wahrgenommenen Oberflächenstrukturen durch Handeln. "Lernen" als in unserem Zusammenhang wichtigere Transformation zielt nach LENZEN auf den Aufbau individueller Regelsysteme, die er als "Kompetenzen" bezeichnet.

Grundlegend bedeutsam ist für LENZEN (1973, 73) die "operative Kompetenz". Er versteht darunter die "Fähigkeit zu erkennen, zu lernen, Transformationen vorzunehmen". Diese grundlegende Fähigkeit entspricht der "operativen Intelligenz" PIAGET´s (1972). Die operative Kompetenz soll im Gegensatz zu den beiden weiteren Regelsystemen für kommunikativ wertende Verständigung (= "moralische Kompetenz") und für soziale Interaktion (= "kommunikative Kompetenz") bereits allein durch Ausführen von Transformationen entwickelt werden können.

"Unterricht" zielt demnach allgemein auf Veränderungen von Oberflächenstrukturen sowie speziell auf eine pädagogisch begründete Verminderung von deren Komplexität. Dies soll mit Hilfe einer "didaktischen Transformation" möglich werden, im Zuge derer Lehrplan- und Material-Entwickler bzw. Lehrer die jeweils relevanten Eigenschaften von Oberflächenstrukturen akzentuieren (RAUFUSZ, 1979).

Leitkriterien dieser vom Didaktiker für die Lernenden vollzogenen "Vortransformation" sind nach LENZEN (1973, 152) die kognitive Struktur, die beim Lehrer "hypothetisch als existent angenommen wird", und die kognitive Struktur, die beim "erwachsenen Individuum, im vollen Besitz seiner operativen Intelligenz" angestrebt werden soll (a. a. O., 47).

Beim Planen und Durchführen von Unterricht (= "didaktische Transformation") muß ein Lehrer somit nicht nur die originale Oberflächenstruktur berücksichtigen, sondern auch die jeweils als vorhanden anzunehmenden sowie die anzustrebenden Kompetenzen von Lernenden. Im Unterricht sollen Oberflächenstrukturen nach dieser Auffassung so umgeformt werden, dass Lernenden die Transformation in Tiefenstrukturen und der Aufbau kognitiver Strukturen erleichtert wird (a. a. O., 157).

Im Gegensatz zu den Vertretern der "Berliner Didaktik" hat LENZEN (1973) "Medien" nicht explizit in seine Konzeption aufgenommen. Jedoch kann man mit dem theoretischen Inventar der strukturalen Didaktik herausarbeiten, welche Bedeutung Medien haben können: Allgemein wären Medien als Teilstrukturen der Lernerumwelt- bzw. Unterrichts-Strukturen aufzufassen. Die Planung und Gestaltung von Medien ist einerseits als didaktische Transformation von Oberflächenstrukturen beschreibbar. Andererseits können Medien selbst (wie auch andere Teilstrukturen von Unterricht) die subjektive Transformation ihrer strukturellen Eigenschaften in Tiefenstrukturen (= Lernen) beeinflussen. Variationen bestimmer Struktureigenschaften von Medien sollten daher grundsätzlich zu Variationen von Lernprozessen und Lernergebnissen führen.

Kritische Würdigung der lehr-lern-theoretischen Ansätze

Als Verdienst der Vertreter der "Berliner Didaktik" (besonders HEIMANN und SCHULZ) ist ihr Vorschlag zu werten, Unterricht systematisch zu erfassen und hermeneutisch zu analysieren. Das Konzept kann daher Hinweise auf beachtenswerte Faktoren und Interdependenzen beim Analysieren von Unterricht liefern. Das zugrundeliegende Analyse-Schema ist zudem so weit formalisiert, dass es für Unterricht beliebiger Thematik, Intentionalität, Methoden und Medien Geltung beanspruchen und möglicherweise auch für Fernunterricht Anwendung finden kann.

In seiner Fassung von "Bedingungs- und Entscheidungsfeldern" erlaubt das Modellschema jedoch primär nur relativ statische, analytisch rekonstruierende Unterrichtsbeschreibungen.

Diese Schwäche hat etwa SCHULZ (1969) zu beheben versucht, indem er die (anthropogenen und sozial-kulturellen) Folgen einer Unterrichtseinheit als Bedingungen bzw. Voraussetzungen des jeweils nachfolgenden Unterrichts interpretierte. Allerdings wird dadurch die statische Beschreibung nicht wirklich aufgegeben, weil die Theorie keine Aussagen über etwaige zeitbezogene Veränderungen der Wechselwirkungen zwischen den strukturellen Faktoren enthält (MENCK 1976).

Rekonstruktionen von Unterricht sind also mit den Modellen von HEIMANN und SCHULZ grundsätzlich nur im Hinblick auf Endprodukte der Prozesse bzw. hinsichtlich der Bedingungs- und Entscheidungsfaktoren möglich. Eine stärker prozeßbezogene Beschreibung wird möglich, indem man Unterricht als Abfolge kleinstmöglicher Faktorenkonstellationen bzw. kürzestmöglicher "Situationen" erfaßt und analysiert. Diese Möglichkeit deuten wir in der Abbildung 7 unten an.

Dadurch erhöht man jedoch lediglich die Präzision der Beschreibung, gewinnt aber keine besseren Grundlagen zur Unterrichtsplanung, weil die vorliegenden theoretischen Aussagen Zustandsänderungen zwischen den Unterrichtssituationen weder hinreichend logisch noch inhaltlich präzise beschreiben. Derartige Rekonstruktionen von Unterricht besitzen daher lediglich heuristischen Wert.

Die unzulängliche Präzisierung der postulierten "Interdependenzen" durch die Autoren des Berliner Modells wird hier besonders deutlich. Auf diese Problematik sind auch frühere Rezipienten des Modells gestoßen, die Verbesserungen seiner Praktikabilität für Unterrichtsplanung oder Medieneinsatz angestrebt haben (HEIDT, 1976; WITTERN, 1975).

Dynamisierung des didaktischen Modells

Methoden umfassen im Berliner Modell ursprünglich nicht nur die vom Lehrer geplante und realisierte Unterrichtsorganisation, sondern auch eine nach lernpsychologischen Erkenntnissen vorgenommene Gliederung des Unterrichts (z. B. gemäß dem "Artikulationsschema" nach ROTH) sowie eine "didaktische Dramaturgie" (HAUSMANN, 1969), nach der alle am Unterricht Beteiligten "zusammenspielen".

Medien verdienen als eine besondere Teilstruktur der Struktur "Unterricht" Beachtung. Die Autoren des Berliner Modells haben der Bedeutung technischer Medien Rechnung getragen und sie als eigenes "Entscheidungsfeld" ausgegliedert.

Technische Medien weisen aber durch die mit ihrer Herstellung einhergehende didaktische Transformation bzw. Akzentuierung von Inhalten auch Inhalts-Bezüge, durch ihre Konkretiosierung oder Objektivierung von Lehrer- und/oder Schüleraktivitäten auch Methoden-Bezüge auf. HEIMANN und HAUSMANN postulieren zwar Verflechtungen zwischen medien-, inhalts- und methodenbezogener Entscheidungen, explizieren sie jedoch nicht systematisch. SCHULZ behandelt Medienentscheidungen schließlich primär als "Auswahlfrage", womit er aber "Medien" faktisch den übrigen Entscheidungen nachordnet.

HEIMANN (1962) und teilweise auch HAUSMANN (1959) betonen in gewissem Gegensatz zum bildungstheoretischen "Primat der Didaktik i. e. S." das wechselseitige Zusammenwirken von Bedingungs- und Entscheidungsfeldern auf "Lernen".

Das postulierte Wechselwirkungsverhältnis wird aber etwa hinsichtlich der Medien von SCHULZ (1972) zur bloßen "Medienwahl" reduziert. Bei SCHULZ (1980) werden Medien zu "Vermittlungsvariablen" und Medienentscheidungen lediglich unter dem Aspekt der Auswahl aus bereits weitestgehend festgelegten Mediensammlungen gesehen. Deswegen empfiehlt SCHULZ auch die Vorbereitung möglichst vieler Medien, gibt aber dazu nur illustrative Beispiele, aber keine systematischen Gestaltungshinweise. Damit wird aber kein wesentlicher Fortschritt gegenüber den diesbezüglichen Auffassungen der Bildungstheoretiker erzielt.

Theoretische Schwierigkeiten bereitet das "Berliner Modell" auch, wenn man es zur Unterrichtsplanung, und nicht nur (wie ursprünglich bezweckt) zur Beobachtung und Analyse konkreten Unterrichts durch Lehrerstudenten einsetzt. Ausführungen über den Einsatz des Modells als Instrument der Unterrichtsanalyse nehmen denn auch in den ersten Veröffentlichungen den größten Raum ein. Dabei weist bereits HEIMANN (1962, 14) auf grundlegende Unterschiede zwischen Planung und Analyse hin. Diese Unterscheidung hat aber schon SCHULZ (1965, 43) mit der Annahme verwischt, man könne für Analyse und Planung die gleiche "Begriffsapparatur" verwenden, nur eben "umgekehrt" (siehe auch HEIDT, 1976; LOSER & TERHART, 1977).

"Analyse" und "Planung" gleichen einander jedoch bestenfalls darin, dass sie "Entscheidungen" (als Prozesse bzw. Ergebnisse) umfassen. Planung bezieht sich aber hauptsächlich auf die vorstellungsmäßige Vorwegnahme jeweils zukünftiger Realität, Analyse dagegen auf die Wahrnehmung und Reflexion (Perzeption und Kognition) gegenwärtiger Realität. Die somit pragmatisch bedeutsame Zeitkomponente wird aber in den bisherigen Theorien über didaktische "Entscheidungen" nicht explizit berücksichtigt (WIENOLD et al., 1976, 412).

Die eben angedeuteten Unschärfen haben übrigens zu der irrigen Interpretation geführt, die "Entscheidungsfelder" seien "Elemente des Systems Unterricht" und dieses "System" sei mit Begriffen und Annahmen der (mathematischen) Systemtheorie beschreibbar. Danach soll beispielsweise das Feld "Unterrichtsmethoden" mit "Zuordnungsvorschriften" im Sinne mathematischer Funktionen gleichzusetzten sein (FRITSCH, 1974). Bei solchen überzogenen Interpretationen wird aber vor allem übersehen: Didaktisch relevante Merkmale der modellgemäßen "Felder" sind nicht einfach mit mathematischen Eigenschaften von "Elementen eines Systems" gleichzusetzen. Selbst wenn Analogien zwischen "Feldern" und "Systemelementen" herstellbar wären, müssen deren Merkmale und Eigenschaften theoretisch klar von den funktionalen Beziehungen zwischen ihnen unterschieden werden.

LENZEN (1973) wollte mit seiner "strukturalen Didaktik" letztlich "Lernen erleichtern", wobei Lernen für ihn ein "Transformationsprozeß von Oberflächen- in subjektive Tiefenstrukturen" ist.

Im Hinblick darauf ist sllerdings zu fragen, wie bzw. durch Variation welcher Strukturqualitäten von Methoden und Medien jene Transformationsprozesse erleichtert werden können. Diese Frage nach der "struktural" didaktischen Gestaltung von Methoden und Medien für möglichst erfolgreiches Lernen bleibt innerhalb der Didaktik LENZENs unbeantwortet.

Offen läßt LENZEN ferner die besonders für das Lernen Erwachsener bedeutsame Möglichkeit der Transformation von Tiefenstrukturen Lernender in Medien- und Methodenstrukturen. Dies würde bedeuten, dass (auch) die Lernenden selbst bestimmte Strukturqualitäten von Medien und Methoden gestalterisch verändern können. LENZEN weist auf diese Möglichkeit lediglich allgemein hin, wenn er auf die Berücksichtigung kognitiver Strukturen beim Gestalten von Unterrichts-strukturen eingeht. Er expliziert aber nicht, wie sich kognitive Strukturen im Zuge aktiven Handelns von Lernenden auf Methoden und Medien auswirken können

Lerntheoretische Didaktik - Das Berliner Modell

 

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