[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Die sozial-kognitive Entwicklung

Niveaus und Stufen sozial-kognitiver Entwicklung nach R. L. Selman

Das Modell der sozial-kognitiven Entwicklung von R.L. Selman orientiert sich an den Stufen Kohlbergs. Sein Begriff der sozialen Perspektivenübernahme umfasst nicht nur die Art, in der soziales oder psychologisches Wissen einer Person vom Standpunkt einer anderen gesehen wird, wie dies der Begriff der Rollenübernahme impliziert, sondern umfasst zentral das sich entwickelnde Verständnis dafür, wie verschiedene Blickwinkel zueinander in Beziehung stehen und miteinander koordiniert werden können (vgl. Selman, 1984, S. 30). Ursprünglich war das Konzept der Rollenübernahme von G. H. Mead entwickelt worden, der darunter die Fähigkeit eines Individuums verstand, den anderen im Selbst abzubilden. Rollenübernahme ist bei Mead vor allem ein Erkenntnisprozess und beinhaltet weniger affektive Teilnahme bzw. empathisches Verständnis.

Übrigens: Die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung und –beobachtung kann sich nach neuesten Forschungen auch in der Struktur des Gehirns manifestieren, wobei ein kleines Gebiet grauer Hirnsubstanz im präfrontalen Cortex bei Probanden mit guter Selbstbeobachtung etwas größer ausgeprägt ist als bei anderen. Möglicherweise ist dieser Gehirnbereich direkt hinter den Augen ein Indikator für die Fähigkeit zu Introspektion.

Bei Selman geht es darum, wie ein Kind die Beziehungen zwischen den sozialen Perspektiven des Selbst und der eines anderen konzipiert. Die Fähigkeit zur sozialen Perspektivenübernahme entwickelt sich dabei in einer Stufenabfolge. Jede Stufe erfasst ein spezifisches Niveau, auf dem das Kind andere Kinder und deren Absichten wahrnimmt, deren Gefühle wahrnimmt und deren Handlungsrollen interpretiert. Die Entwicklung dieser sozialen Dimension wird durch die Beziehungen mit anderen, etwa den Eltern, gefördert. Die Stufen der Perspektivenübernahme fand Selman, indem er Kindern und Jugendlichen ähnlich wie Kohlberg Geschichten präsentierte, in denen sich die Perspektiven als Konflikte zwischen Handlungszielen und Handlungswegen darstellten, z.B. die Katze eines kleinen Mädchens  ist auf einen Baum geklettert, traut sich aber nicht mehr herunter. Das Mädchen kann gut klettern, jedoch hat der Vater es verboten. Der Vater weiß nichts von der Katze. Was soll das Mädchen tun?


Perspektiven-
übernahme

Freundschaft

Niveau 0

Undifferenzierte und egozentrische Perspektivenübernahme

Enge Freundschaft als momentane physische Interaktion, Freundschaft wird noch nicht als überdauernd Beziehung mit psychischer Qualität begriffen, sondern als objektorientierte, augenblickgebundene Interaktion

Niveau 1
 (4-9 Jahre)

Differenzierte und subjektive Perspektivenübernahme - Bewußtwerden der Subjektivität von Perspektiven - Menschen unterscheiden sich im Denken, weil sie sich in unterschiedlichen Situationen befinden

Enge Freundschaft als einseitige Hilfestellung, aber mit der Differenzierung von Perspektiven entsteht auch ein Verständnis für die spezifisch-subjektive Lage anderer Personen; da diese Perspektiven noch nicht miteinander kombiniert werden können, bleibt in der Konzeption von Freundschaft jeweils eine Perspektive dominant; einseitige Orientierung, in der die Perspektive des Selbst vorherrschend ist, d.h., ein Freund ist jemand, der den Bedürfnissen und Interessen des Selbst gerecht wird und sie befriedigen kann

Niveau 2
(6-12 Jahre)

Selbstreflexive/Zweite Person- und reziproke Perspektivenübernahme - es entwickelt sich ein reflexives Verständnis der Subjektivität - das eigene Handeln wird aus dem Blickwinkel des anderen reflektiert und umgekehrt dessen Reaktion auf das eigene Handeln vorweggenommen 

Enge Freundschaft als Schönwetter-Kooperation ("fairweather-cooperation"), d.h., die Reziprozität in der Beziehung wird begriffen. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit zur Koordination von Perspektiven und die Fähigkeit zur Selbstreflexion, was bedeutet, die Möglichkeit das Selbst mit den Augen eines anderen zu sehen. Erst auf diesem Entwicklungsniveau entsteht die Einsicht, dass in einer Beziehung die Bedürfnisse beider Partner koordiniert werden müssen, um Ziele zu erreichen. Auf diesem Niveau bleiben Interessen und Bedürfnisse des Selbst jedoch dominant

Niveau 3
(9-15 Jahre)

Dritte Person- und gegenseitige Perspektivenübernahme - wechselseitige Perspektivenkoordination - das Kind erkennt, dass sowohl es selbst, als auch der andere die Perspektive des jeweils anderen gleichzeitig berücksichtigen kann

Enge Freundschaft als intimer gegenseitiger Austausch, d.h. Ausdifferenzierung der Beobachterperspektive, wodurch eine Orientierung an der Freundschaftsbeziehung möglich ist. Freundschaft auf diesem Niveau ist eine stabile, zeitlich überdauernde, intime Gefühlsbeziehung der wechselseitigen Fürsorge und des Vertrauens, die Beziehung gilt exklusiv und ihre Erhaltung wird zu einem zentralen Handlungsimperativ.

Niveau 4
(ab 12 Jahren)

Tiefenpsychologische und gesellschaftlich-symbolische Perspektivenübernahme- Perspektive der sozialen Bezugsgruppe kann übernommen werden - Einbezug des sozialen Systemes und seiner Normen - Fähigkeit zu angemessener Kommunikation

Enge Freundschaft als Autonomie und Interdependenz, d.h., die Exklusivität der Freundschaftsbeziehung wird zugunsten eines offenen Interaktionssystems gelockert, das den sich wandelnden Bedürfnissen und Interessen von Freunden gerecht werden kann. Die Beziehung auf diesem Niveau ist von autonomer Interdependenz, d.h., das Selbst und andere werden in einem größeren sozialen Zusammenhang wahrgenommen.

 

Entwicklungsspezifische Transformation des Freundschaftskonzepts nach Damon

1. Niveau (5-7 Jahre)

  • Freunde sind Personen, mit denen man spielt und gern zusammen ist
  • Beziehungen werden noch nicht nach dem Grad der Nähe unterschieden
  • keine Unterscheidung zwischen guten und besten Freunden

2. Niveau (7-12 Jahre)

  • Freunde werden durch spezifische psychische Merkmale charakterisiert (Interessen, Einstellungen …)
  • Kernstück: gegenseitige Hilfeleistung und Vertrauen

3. Niveau (frühe Adoleszenz)

  • Freundschaft ist eine intime Beziehung, d.h., innerste Gefühle und Gedanken werden geteilt
  • Beistand bei Konflikten und vollständige Verlässlichkeit
  • zentrale Rolle: Kommunikation

 

Gerechtigkeitssinn bei Kindern

Menschliche Gesellschaften basieren im wesentlichen auf Arbeitsteilung und Kooperation in grossen Gruppen. Die menschliche Kooperation unterscheidet sich vom Kooperationsverhalten anderer Arten, gerade auch weil Menschen ausgeprägte Präferenzen für das Wohlergehen der anderen haben. Die Fähigkeit zur Kooperation mit anderen ist beim Menschen im Vergleich zu Tieren besonders ausgeprägt, wobei Menschen unfaire Situationen ablehnen, und zwar besonders dann, wenn sie selbst dabei benachteiligt werden. Um solche Situationen zu vermeiden, sind Menschen manchmal sogar bereit, auf für sie wünschenswerte Dinge zu verzichten, damit andere nicht davon profitieren. Man vermutet, dass diese Abneigung phylogenetische Wurzeln hat, denn auch einige Tiere lehnen eine weniger wertvolle Ressource ab, wenn sie sehen, dass ein Artgenosse eine bessere Belohnung erhalten hat. Bei Tieren wird davon ausgegangen, dass Frustration die Hauptursache für dieses Verhalten ist, während man beim Menschen dagegen vermutet, dass Trotz diese Ablehnung auslöst, denn indem Individuen benachteiligende Ungerechtigkeit ablehnen, korrigieren sie ihren Rang im Hinblick auf das bevorteilte Individuum. Mit anderen Worten: Es ist besser für mich, wenn wir beide nichts haben, als wenn du mehr hast als ich. Erwachsene und ältere Kinder geben sich aber in Teilungssituationen oft mit weniger zufrieden und gönnen ihrem Gegenüber mehr, was damit zusammenhängt, dass niemand als missgünstig gelten möchte und seine Verhalten an geltende soziale Normen anpasst. In einer Studie mit Schimpansen, die mit unfairen Situationen konfrontiert worden waren, zeigte sich, dass sie ihre Artgenossen nur dann bestrafen, wenn ihnen selbst etwas weggenommen wird, denn wurde ein anderes Tier geschädigt, war ihnen das meist gleichgültig, auch wenn es Verwandte waren oder das Opfer heftig protestierte.

Ein Mensch, dem das Wohl der anderen am Herzen liegt, betätigt sich weniger als Trittbrettfahrer in gemeinsamen Aktivitäten und ist eher geneigt, soziale Normverletzungen zu ahnden, damit diese zukünftig weniger häufig auftreten. Schon die Jäger-und-Sammler-Kulturen waren darauf angewiesen, ihre Beute miteinander zu teilen. Zumindest zum Teil sei die Entstehung solcher Verhaltensweisen genetisch festgelegt, aber andererseits fördern Kultur und Erziehung ihr Entstehen. So lernen kleine Kinder vom Kindergarten bis zur Schule, dass Verhaltensweisen wie Gleichbehandlung und Gerechtigkeit in der Gesellschaft gewünscht sind. Fehr, Bernhard & Rockenbach (2008) untersuchte Kinder zwischen drei und acht Jahren in einer Reihe spielerischer Experimente, bei dem als Spieleinsatz Süßigkeiten verwendet wurden. Jeweils ein Kind sollte entscheiden, wie es eine festgelegte Menge von Süßigkeiten mit einem anderen (nicht anwesenden) Kind teilte. Dabei ging es also weder um die Maximierung der Auszahlung des anderen noch um die Maximierung der gemeinsamen Auszahlung, sondern um die Herstellung von Auszahlungsgleichheit: das andere Kind soll weder mehr noch weniger als das aufteilende erhalten. So stand etwa zur Wahl, zwei Schokolinsen für sich zu behalten und dem anderen Kind keines abzugeben oder die beiden Schokoladestückchen eins zu eins untereinander zu teilen. Drei- bis vierjährige Kinder verhielten sich fast ausnahmslos egoistisch und behielten die Schokolinsen für sich. Im Alter von fünf bis sechs Jahren teilten immerhin schon rund ein Fünftel der kleinen Probanden ihre Süßigkeiten. Aber erst mit sieben, acht Jahren teilte fast die Hälfte der Kinder gerecht. Diese Gruppe begann mehr und mehr, an andere zu denken und entwickelten einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und sorgten dafür, dass ihr Spielpartner nicht mehr, aber auch nicht weniger bekam als sie selber.

Jedoch sind auch Kleinkinder keine reinen Egoisten, denn eine Studie des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Universität Manchester ergab, dass bereits dreijährige Kinder einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben. In spielerischen Versuchen mit Handpuppen, die sich gegenseitig Gegenstände wegzunehmen schienen oder sie auf unfaire Weise verteilten, gaben Kinder, obgleich es sich um emotionslose Puppen handelte, Gegenstände an den richtigen Besitzer zurück und reagierten eindeutig, wenn im Rollenspiel ein zwischenzeitlich versteckter Gegenstand später dem falschen Besitzer zurückgegeben wurde. Die Kinder setzten sich für das Opfer, also die bestohlene Handpuppe, ebenso ein, als wären sie selber davon betroffen. Es scheint daher, dass sich der Gerechtigkeitssinn im Zusammenhang mit dem einem Opfer entstandenen Schaden bereits in der frühen Kindheit entwickelt. Schon Vorschulkinder reagieren daher feinfühlig, wenn anderen ein Schaden entsteht, denn vor die Wahl gestellt, helfen sie lieber dem Opfer, den Schaden zu beseitigen, als den Täter zu bestrafen. Eltern können den Gerechtigkeitssinn daher fördern, wenn sie neben Bestrafung vor allem auf wiederherstellende Gerechtigkeit setzen, denn die Wiedergutmachung ist offensichtlich viel eindrücklicher als reine Bestrafung. Daraus folgt für die Erziehung, dass man Kinder weniger für ein Fehlverhalten bestrafen, sondern eher für die Schadensbehebung als Lösung motivieren sollte, da diese für Kinder in diesem Alter besser nachvollziehbar ist.

Selbstlos an andere zu denken und mit Freunden oder Familienmitgliedern zu teilen sind Verhaltensweisen, die für den Menschen kennzeichnend sind. Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn lassen sich also schon bei kleinen Kindern finden, d. h., der Mensch ist nicht von Natur aus egoistisch, wie manche Wirtschaftstheoretiker postulieren, sondern viele Lebewesen, also nicht nur der Mensch, verhalten sich im richtigen Moment solidarisch und kooperativ, was vermutlich einen evolutionären Vorteil verschafft. Der Mensch neigt auch etwa dazu, Ungerechtigkeit begangen von Freunden oder Gleichgesinnten, nicht so stark zu verurteilen wie das unfaire Verhalten Fremder, wobei diese Parteilichkeit altersabhängig ist, denn während Sechsjährige Ungerechtigkeiten in der eigenen Gruppe noch milder bewerten als die von anderen, ist ihr Gerechtigkeitssinn mit acht Jahren mit wesentlich mehr Objektivität versehen, d. h., sie gehen auch dann gegen Unfairness vor, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Verhaltenspsychologisch betrachtet ist es daher notwendig, genau zu untersuchen, ab welchem Alter Kinder in der Lage sind, ohne Trotz auf mangelnde Gerechtigkeit zu reagieren. Diese Fähigkeit hat tief reichende entwicklungsgeschichtliche Wurzeln, die letztlich das äußerst komplexe menschliche Verhalten von Kooperation und Wettbewerb begründen.

In Familien nehmen Moralerziehung und die Entwicklung einer moralbezogenen Identität biographisch meist ihren Ausgang, sodass Prozesse der innerfamiliären Vermittlung und Aneignung des Erziehungsgegenstands Moral auch von großer Relevanz für Moralerziehung und -bildung in allen anderen Feldern wie Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz, Familie etc. sind. 

Die Dichte des Netzwerks ist entscheidend

Studien legen auch nahe, dass die Menschen glauben, sie hätten mehr soziale Unterstützung von jener Gruppe von Freunden oder Familienmitgliedern, die sich alle untereinander kennen und freundschaftlich miteinander verbunden sind, als von einer gleich großen Anzahl von anderen Freunden, die nicht miteinander freundschaftlich eng verbunden sind. Offenbar ist ein Netzwerk von Menschen allein, an das man sich anlehnen kann, nur ein Teil dessen, was soziale Unterstützung für einen Menschen vorteilhaft macht, vielmehr je mehr Zusammenhalt unter diesen besteht, also je dichter dieses Netzwerk ist, desto mehr hat man das Gefühl, dass man sich auf ihre Unterstützung verlassen kann. Es ist also auch wichtig, dass die eigenen Freunde sich aufeinander verlassen können, so wie man sich auf sie verlässt. Auch spielt die Dichte eines sozialen Netzwerks in einer bestimmten Situation, in der Menschen Hilfe brauchen, eine wichtige Rolle. Offenbar ist nicht nur die Anzahl der Freunde und der Familie, die man in seinem Netzwerk hat, wichtig, sondern auch wie stark diese Freunde untereinander verbunden sind. (Stangl, 2020).

Moralerziehung in der Familie

Die Aneignung moralischen Wissens sowie des Willens und der Fähigkeit, dieses auch umzusetzen, erfolgt bei Kindern zunächst in der Familie. Welche Prozesse dort genau stattfinden, wurde bislang jedoch nur unzureichend untersucht. Witzke (2020) beschäftigte sich in ihrer Forschung dabei mit dem Lösen von Problemen in Familien im Kontext von Verstößen gegen Regeln, die aus Sicht der Akteure für alle Menschen gelten sollten. Ihre Studie zeigt, dass der Spagat zwischen Erziehung und Beruf für junge Familien oft nur schwer zu bewältigen ist. Im Zentrum ihrer umfangreichen Analyse stand dabei die Frage, auf welche Weise Kinder und Eltern Moralvorstellungen in ihr Selbstbild integrieren und welche Rolle dabei innerfamiliäre Prozesse spielen. Dazu hat sie insgesamt 24 Familien aus Bayern und Baden-Württemberg mit zwei Elternteilen und mindestens einem Kind in der vierten Klasse untersucht, wobei jede dieser Familien besucht wurde und dabei mit allen Familienmitgliedern separat gesprochen wurde. Unter anderem fragte sie dabei nach moralischen Regeln, die aus Sicht der Teilnehmenden für alle Menschen gelten, etwa, niemanden zu verletzen oder nicht zu lügen. Insbesondere hat interessiert, wie die Befragten mit diesen Regeln umgehen, also ob Familienmitglieder moralische Regeln verhandeln oder ob diese Regeln als gesetzt gelten, unter welchen Umständen sie solche Regeln brechen und der jeweilige Regelbruch gegebenenfalls für erlaubt erachtet wird, aber auch wie Verstöße in der Familie geahndet werden und wovon das abhängt.

Die Auswertung der Daten zeigte, dass beim Umgang mit moralischen Regeln die Eltern eine moralische Vorbildrolle vor den Kindern oft nur zu spielen versuchen. Etwa wenn sie vor den Kindern immer den Fahrradhelm aufsetzten, nicht lügen und nicht fluchen, in Abwesenheit der Kinder aber gegenteilig handeln. Dies bleibt Kindern aber in der Regel nicht verborgen, d. h., die Eltern erziehen ihre Kinder auf diese Weise tendenziell dazu, eine Rolle zu spielen, nicht aber, eine moralische Identität zu entwickeln. Werden Verstöße gegen moralische Regeln in der Familie nicht als solche diskutiert, besteht das Risiko, dass die Kinder diese als richtiges Verhalten akzeptieren lernen. Wenn etwa der Vater sein Kind ohrfeigt, kann es sein, dass das Kind dieses Verhalten danach entschuldigt, denn es sagt sich dann etwa, das Schlagen sei legitim gewesen, schließlich habe es sich selbst zuvor falsch verhalten. Für die Entwicklung einer moralischen Identität ist ein solch unkritischer Umgang mit Regelverstößen allerdings nicht förderlich. In der Studie zeigte sich auch, wie sehr der Spagat zwischen Beruf und Erziehung die Beteiligten fordert, denn bei den befragten Familien waren meist die Männer die Hauptverdiener. Nach einer anstrengenden Arbeitswoche zogen sich manche von ihnen auch an den Wochenenden aus gemeinsamen Unternehmungen heraus und waren so insgesamt wenig über das Familienleben informiert. Das Resultat dieses Verhaltens waren Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu verstehen und anzuerkennen. Gleichzeitig empfanden manche Väter dieses Verhalten zum Teil selbst als Versagen in ihrer Erzieherrolle und versuchten, dieses Defizit durch Strenge in anderen Zusammenhängen zu kompensieren. Mitunter wurden sie von ihren Kindern jedoch gar nicht mehr als moralische Instanz und Erzieher ernst genommen. Die Vorstellung, sowohl bei der Arbeit als auch als Eltern perfekt sein zu müssen, überfordert aus ihrer Sicht viele Väter und Mütter. Die Studie zeigt zudem, wie sehr Moralerziehung ein bidirektionaler Prozess ist, denn indem Kinder die moralischen Maßstäbe im Handeln ihrer Eltern hinterfragen, wirken sie ihrerseits erziehend, doch sitzen sie dabei in aller Regel am kürzeren Hebel. Viele Eltern sehen in solchen Momenten ihre Vorbild- und Erzieherrolle infrage gestellt und reagieren daher mit Druck und Repression.


Motiv für Freiwilligenarbeit

In Studien zu den Motiven von Freiwilligenarbeit zeigte sich, dass wer sich ehrenamtlich engagiert, mit seiner unbezahlten Arbeit vor allem einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten und etwas tun möchte, was im Einklang mit seinen eigenen Werten steht. Für das Projekt befragten die WissenschaftlerInnen über 2000 Versuchspersonen in Deutschland und in der Schweiz, wobei die unterschiedlichen Felder des freiwilligen Engagements beleuchtet wurden (Politik, Umwelt, Sport, Bildung etc.).

Generell sind zwar viele Menschen zu einem freiwilligen Engagement bereit, aber ob sich jemand tatsächlich engagiert oder nicht, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Dabei geht es nicht nur um ein kühles Abwägen verschiedener Gerechtigkeitsargumente, sondern vor allem um die erlebten Gefühle, denn an erster Stelle steht dabei das Erleben von Empörung angesichts wahrgenommener Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, aber auch neue Erfahrungen durch das eigene Engagement, Abwechslung, neue Kontakte oder auch Vorteile für die eigene Karriere werden dabei genannt. Am wichtigsten ist das Bestreben, soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen und Gerechtigkeit im jeweiligen Bereich zu fördern. Um Menschen zu motivieren, sich freiwillig zu engagieren, sollte daher der Blick auf bestehende Ungerechtigkeiten gerichtet und ein Nachdenken darüber gefördert werden, welche Werte im eigenen Leben zählen.

Emotionale und soziale Entwicklung

Winterhoff (2013) diagnostiziert den Verlust emotionaler und sozialer Intelligenz bei einem großen Teil der Heranwachsenden und sieht die Grundlagen des sozialen Miteinanders als bedroht, denn bei immer mehr Kindern ist ein fundamentaler Mangel an emotionaler und sozialer Intelligenz zu diagnostizieren. Er warnt vor den dramatischen Folgen, denn die Hälfte aller Schulabgänger ist heute nicht in der Lage, die Anforderungen des Berufslebens zu erfüllen. Ihnen fehlen nicht nur die schulischen Grundkenntnisse sondern auch Arbeitshaltung, Sinn für Pünktlichkeit, Erkennen von Strukturen und Abläufen sowie eine angemessene Frustrationstoleranz. Winterhoff sieht die Ursachen nicht so sehr im Schulsystem bzw. bei den LehrerInnen, sondern eher bei den Eltern, denn diese behandeln ihre Kinder wie kleine Erwachsene und suchen in ihnen Liebe und Anerkennung, viele gehen mit diesen eine symbiotische Beziehung ein, wobei diese Kombination eine heillose Überforderung von Kindern darstellt, denn Kinder sind zunächst vollkommen auf sich selbst bezogen und verlieren die Fähigkeit, tragfähige Beziehungen einzugehen. Kinder drohen damit nicht nur zu Tyrannen zu werden, sondern es wird ihnen von ihren Eltern aber auch von professionellen ErzieherInnen eine ausgewogene, altersgemäße emotionale Entwicklung verwehrt. Dabei greifen falsche Strukturen und Bildungskonzepte in der Familie, im pädagogischem System und und in der Politik gefährlich ineinander. Nach Winterhoffs Ansicht sollten alle, die Kinder auf ihrem Weg begleiten, eine Erziehungsaufgabe annehmen, die dem jeweiligen entwicklungspsychologischen Stand der Kinder gerecht wird. Wenn diese sich nämlich nicht den jeweils adäquaten Erziehungsaufgaben stellen können, drohen später schwere Beziehungsstörungen und eine verzögerte seelische Reifung, da keine altersgemäße Entwicklung der emotionalen und sozialen Psyche stattfinden konnte, vielmehr verharren Kinder entwicklungspsychologisch auf der Stufe eines Kleinkinds.

Hier die häufigsten Fehler, die Eltern beim Erziehen machen:

Literatur

Fehr, Ernst, Bernhard, Helen & Rockenbach, Bettina (2008). Egalitarianism in young children. Nature, 454, Number 7208

Neufeind, M., Jiranek, P. & Wehner, T. (Hrsg.) (2012). Freiwilliges Arbeitsengagement in Organisation und Gesellschaft: Für eine psychologische Differenzierung freiwilligen Tätigseins. Wirtschaftspsychologie. Papst.

Selman, R. L. (1984). Die Entwicklung des sozialen Verstehens. Frankfurt: Suhrkamp.

Stangl, W. (2020). Stichwort: 'Reziprokes Handeln'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/21837/reziprokes-handeln/ (2020-10-10)

Winterhoff, Michael (2013). SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - und was wir dagegen tun können. Bertelsmann.

Witzke, Monika (2020). Moralerziehung in der Familie. Eine empirische Studie über reziproke Vermittlungs- und Aneignungstätigkeiten in Eltern-Kind-Beziehungen mit Fokus auf moralbezogene Regelbrüche sowie Leit-, Selbst- und Fremdbilder. Klinkhardt.

 

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