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Formen des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen

Sexueller Missbrauch von Kindern bedeutet, dass eine Person mit einem Kind sexuelle Handlungen vollzieht, ein Kind dazu bestimmt, solche Handlungen an sich oder einem Dritten zu vollziehen oder ihm pornografische Darstellungen vorführt. Unter sexuellem Missbrauch werden insbesondere folgende Handlungen verstanden:

Unter den weit gefassten Definitionen werden folgende Handlungen mit eingeschlossen:

Heute wird dem subjektiven Erleben der Opfer eine wichtige Bedeutung beigemessen, d.h., das individuell Erleben der Opfer spielt eine zentrale Rolle bei der Definition von sexuellem Missbrauch. Die Gefahr, die hierbei besteht ist, dass zum Beispiel harmlose Verstöße, wie etwa anzügliche Blicke, schon als sexuelle Übergriffe verstanden werden (vgl. Engfer 1998, S. 1007).

Saller (1987, S. 29ff) unterscheidet drei Bereiche sexueller Ausbeutung:

Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs

Es gibt eine Vielzahl von Studien zur Häufigkeit und den Arten sexuellen Missbrauchs, die je nach Definition des Begriffes "Sexueller Missbrauch" und der Methode der Datenerhebung (Ausgangsstichproben, zugrunde gelegte Altersgrenzen) zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen (vgl. Engfer 1998, S. 1009). Es ist daher nicht möglich, das tatsächliche Ausmaß des sexuellen Missbrauchs anzugeben. Meist wird auf Zahlen aus der Anzeigenstatistik zurückgerechnet und mit der von Experten errechneten Dunkelziffer von 1:18 bis 1:20 hochgerechnet. 1995 gab es in Österreich 602 Anzeigen wegen Sexualdelikten (Beischlaf und Unzucht mit Unmündigen) an unter 14 Jährigen. 198 Sexualdelikte (Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung) an Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren wurden zur Anzeige gebracht.

Kinzl & Biebl (1993) führten 1990 eine Fragebogenerhebung bei Studentinnen und Studenten der Universität Innsbruck durch mit dem Ziel, Prävalenzraten sexueller Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und Jugend bei einer nicht klinischen Gruppe zu erfassen, sowie psychosoziale und familiäre Risikofaktoren zu erheben. Die Autoren schickten insgesamt 2.000 Fragebögen aus, von denen 1.125 verwertbar zurückgeschickt wurden. Die deutlich geringere Anzahl an retournierten Fragebogen durch männliche Studenten (367) spricht dafür, dass beim männlichen Geschlecht eine geringere Sensibilität und Betroffenheit für dieses Thema besteht als bei den Frauen (758 zurückgesandte Fragebogen). 35,9% der Studentinnen und 18,5% der Studenten berichten Missbrauchserfahrungen Von den 758 Studentinnen, die den Fragebogen ausgefüllt zurücksandten, erlebten 35,9% sexuelle Missbrauchserfahrungen. Davon waren 18,3% einmalige und 17,6% wiederholte weniger schwere oder schwere sexuelle Missbrauchserfahrungen. 18,5% der 367 männlichen Studenten, die den Fragebogen zurücksandten, berichteten von sexuellen Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und Jugend, davon waren 11,4% einmalige und 7,1% mehrmalige weniger schwere oder schwergradige Missbrauchserfahrungen. Aufgrund der Selektivität der untersuchten Population können die Daten nicht ohne weiteres auf die Allgemeinbevölkerung übertragen werden. So können, bedingt durch die völlige Anonymität der Datenerhebungen, auch keine Aussagen über Personen gemacht werden, die den Fragebogen nicht ausgefüllt haben. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch mit Viktimisationsstudien nicht das wahre Ausmaß des sexuellen Missbrauchs erfasst werden kann, sondern es ist eher mit einer Unterschätzung des Ausmaßes zu rechnen.

Männliche Missbrauchsopfer

Die Zahlen zum sexuellen Missbrauch an Buben stammen zumeist aus dem angloamerikanischen Raum, wobei nach diesen Angaben zwischen 10 und 20 Prozent der Buben betroffen sind. Täter bei sexuellem Missbrauch an Buben sind Männer. Der Prozentsatz der Frauen, die sich an Jungen vergehen, liegt unter einem Prozent. Frauen missbrauchen Kinder meist nur in Tateinheit mit einem Mann. Sexueller Missbrauch an Buben geschieht in der Regel nicht durch Männer, die die Vaterrolle für den jeweiligen Buben innehaben, sondern durch andere männliche Verwandte, gute Bekannte der Familie bzw. Freunde oder Fremdtäter (Beispiele: Nachbarn, Pfarrer, Lehrer, Jugendgruppenleiter, Fußballtrainer, Heimerzieher, etc.). Das bedeutet, Jungen werden im sozialen Nahfeld sexuell missbraucht. Ist tatsächlich einmal der Vater des Buben der Täter, sind auch die Mädchen in dieser Familie betroffen.

Wenn Buben mehrheitlich außerhalb der Familie sexuellen Missbrauch ertragen müssen, so ergeben sich für Buben andere Konsequenzen als für Mädchen, was aber nicht bedeutet, dass die Folgen weniger schlimm sind. Der Bub, der sexuelle Übergriffe erdulden mußte, erhält in der Regel sowohl emotionale Unterstützung durch seine Familie als auch Verständnis für seine Situation in der Öffentlichkeit. Weil der Täter kein Familienmitglied ist, hat ein Bub eher die Möglichkeit Situationen zu meiden, in denen die Übergriffe wieder auftreten können. Die Beziehung zum Täter kann in der Regel jederzeit abgebrochen werden. Dadurch liegt der Schritt nahe, eine Anzeige gegen den Täter zu erstatten. Selten sind in einem solchen Fall andere Familienmitglieder involviert. Die Familie des Buben ist durch das, was ihm angetan wurde, nicht in ihrer Existenz bedroht. Es stellt sich weder die Frage nach einer Heimunterbringung noch die nach Zerstörung der Familie. Der sexuelle Missbrauch eines Jungen durch einen außerfamiliären Täter stellt kaum den Zusammenhalt des gesamten Familiensystems in Frage. Buben lernen schon sehr früh, dass Männlichsein bedeutet, überlegen zu sein, über Schwächere zu dominieren und diese zu besiegen. Deshalb haben sie Schwierigkeiten damit, sich als Opfer zu fühlen, wenn ihnen sexuelle Übergriffe widerfahren. Zudem gelten in unserer Gesellschaft homosexuelle Handlungen als pervers und werden sozial geächtet. Das macht es auch dem Buben oftmals schwer, sich jemanden anzuvertrauen. Sexuelle Übergriffe mitzuteilen heißt für sie, die Opferrolle annehmen, dagegen wehren sie sich. Sie möchten nicht schwach sein und verfügbar sein wie Mädchen, weshalb sie es oft vorziehen, zu schweigen. Sie identifizieren sich deshalb eher mit dem Täter, sie möchten ihre Männlichkeit beweisen, was bedeutet, vermeintlich Schwächere zu unterwerfen. Jungen wenden die erfahrene sexuelle Gewalt weniger gegen sich, sondern in der Regel nach außen. Sie werden selbst zum Täter, indem sie kleinere Buben und Mädchen demütigen und missbrauchen, z.B. durch Stimulation sexueller Aktivitäten. Sexueller Missbrauch dient immer dazu, dem Unterlegenen die eigene Macht und Stärke zu demonstrieren und durch die Unterwerfung beides wieder neu zu sichern.

Auch die Arbeit mit sexuell Missbrauchten Buben wird in erster Linie von Frauen geleistet, aber die Buben brauchen geschlechtsspezifische Hilfe. Sie brauchen männliche Identifikationsfiguren, die ihnen beim Aufbau eines neuen Selbstbildes helfen, die ihnen vorleben, dass auch Männer Gefühle zeigen, Hilfe annehmen und Konflikte ohne (sexuelle) Gewalt lösen können.

Sexueller Missbrauch von Behinderten

Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sind MachtMissbrauch und Machtausübung oftmals gewohnt, sodass die sexuelle Gewalt meist nur zu einem zusätzlichen Aspekt ihres Daseins wird. Die strukturelle Macht von Einrichtungen, die Entmündigung in vielen Fragen des Alltags, die Reglementierung ihres Lebens bis hin zu intimsten Bereichen wie Körperpflege und Sexualität macht es für sie schwer, "nein" zu sagen, sich zu wehren oder Gewalt überhaupt noch als solche zu erkennen und zu benennen. Sexuelle Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen ist ein Tabuthema und ein gut gehütetes Geheimnis von Betroffenen, BetreuerInnen und der Öffentlichkeit. Es liegen nur wenige Untersuchungen über das Ausmaß an sexueller Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen vor und in den Institutionen werden Fragen von sexueller Gewalt meist nur im Anlassfall, am Rande oder gar nicht problematisiert. Ein Grund für die zögernde Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt liegt vermutlich in der allgemeinen Tabuisierung von Sexualität im Leben von Behinderten, sie dürfte aber kaum von den Zahlen der übrigen Bevölkerung abweichen. Das Risiko, Opfer sexueller Gewalt zu werden, ist dort hoch, wo Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen BetreuerInnen und zu betreuenden Jugendlichen vorliegen. Die TäterInnen, die aus dem alltäglichen Nahraum kommen, nutzen dabei ihre Macht-, Abhängigkeits- und Vertrauensbeziehung aus, nicht nur um die Gefügigkeit des Opfers zu erreichen, sondern auch um die Geheimhaltung zu erzwingen. Behinderte Kinder und Jugendliche stehen in einem noch größeren Abhängigkeitsverhältnis zu Erwachsenen, sind noch rechtloser und ohnmächtiger als nicht behinderte. Vor allem geistig behinderte Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer nicht altersgemäßen intellektuellen Entwicklung noch viel weniger als ihre Altersgenossen in der Lage, die Inanspruchnahme ihrer Person für sexuelle Handlungen zu erkennen. Die Praxis der Sterilisation behinderter Mädchen im Jugendalter bietet diese zudem als Opfer für ein "Verbrechen ohne Folgen" an. Auch wird Behinderten, wenn sie über den Missbrauch berichten oder nonverbale Zeichen geben, noch weniger geglaubt als nichtbehinderten Mädchen und Jungen. "Und wenn schon, sie soll doch froh sein, dass sich überhaupt einer für sie interessiert" - so die weitverbreitete Meinung" (Enders, 1990, S. 52).

Täter

Die bei sexuellem Missbrauch in Erscheinung tretenden Täter werden nach folgenden Typen klassifiziert:

Nach vorsichtigen Schätzungen sind die regressiven Täter mit etwa 90 Prozent am häufigsten anzutreffen. Der fixierte Typ folgt mit etwa zwei bis zehn Prozent an zweiter Stelle. Der soziopathische Typ tritt nur in wenigen Einzelfällen auf.

Es gibt einen Mangel an empirisch fundierter Täterforschung, da es schwierig ist, für Untersuchungen Täter zu finden, die sich zu ihrem Missbrauch bekennen (vgl. Engfer 1998, S. 1011). Nach derzeitiger Sachlage bilden Männer etwa 85 bis 90 Prozent der Täter, welche überwiegend aus dem sozialen Nahraum von Kindern kommen. Zwar treten vermehrt Frauen als Täterinnen ins Interesse der Öffentlichkeit, doch steht zu vermuten, dass dies medial überzeichnet ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse widersprechen dem.

Eine Untersuchung missbrauchter Studentinnen ergab folgendes Zahlenverhältnis: Die Hälfte der Täter waren Bekannte, ein Viertel Verwandte und Angehörige und nur ein Fünftel Fremdtäter. Der leibliche Vater ist nur bei rund 2-3% der missbrauchten Mädchen der Täter (vgl. Engfer 1998, S. 1010f). Bei den Knaben kommen die Täter mit 10 bis 20% etwas seltener aus der Familie als bei Mädchen (vgl. Bange & Deegener 1996, S. 49). Täter sind oft Männer mit einem geringen Selbstwertgefühl, "die sich gezielt Kinder suchen, um ihre eigenen Ohmachts- und Hilflosigkeitsgefühle, ihre eigenen Ängste und Minderwertigkeitsgefühle, ihren Hass und ihre Wut auf Kosten der Kinder zu befriedigen", wobei ein großer Teil der Täter nicht nur ein Kind sexuell missbraucht, sondern sich immer wieder neue Opfer sucht (Bange & Deegener 1996, S. 56,S. 132 ).

Die Oberösterreichische Kinder- und Jugendanwaltschaft (Streicher-Pehböck & Winkler-Kirchberger 2000) geht davon aus, dass 90% der sexuell missbrauchten Kinder den Täter kennen und zu ihm in einem Vertrauensverhältnis stehen. Rund ein Drittel der Täter sind selbst noch Kinder oder Jugendliche und nur ein Zehntel sind über 50 Jahre alt, d.h., die Kinder und Jugendliche werden am häufigsten von Gleichaltrigen oder nur geringfügig Älteren sexuell missbraucht (vgl. Bange & Deegener 1996, S. 50).

Die häufigste Täterstrategie, vor allem im Kreis der Verwandten ist die emotionale Zuwendung, bei weniger nahestehenden Personen kommt es auch zur Androhung bzw. Ausübung körperlicher oder psychischer Gewalt (vgl. Engfer 1998, S. 1011). Bange & Deegener (1996, S. 49) zitieren Studien, die davon ausgehen, dass körperliche Gewalt oder Drohungen in mehr als 50% der Missbrauchsfälle vorkommen, während andere Täter manipulative Strategien wie beispielsweise Geldgeschenke benutzen. Oftmals kommt es auch zu subtilen Vermischungen von Gewalt(androhungen) und emotionalen Abhängigkeiten, eine statistische Trennung in unterschiedliche Täterstrategien kann dadurch erschwert sein.

Die sexuelle Ausbeutung beginnt, abgesehen von Ausnahmefällen (z.B. Fremdtäter) nicht mit der Vergewaltigung des Opfers, sondern fast immer mit der besonderen "Zuwendung" von seiten des Missbrauchers, z.B. der Opa erklärt die Vierjährige zu seiner Lieblingsenkelin. Das Mädchen genießt die Aufmerksamkeit und Liebkosungen des alten Herrn, doch dann rutscht Opas Hand wie zufällig in das Höschen der Kleinen; niemand bemerkt dies. Das Kind wehrt sich, dreht sich weg und macht sich steif. Auch stört es sie, dass Opas "Pipimännchen" immer so hart wird, wenn er sich gegen sie presst. Niemand versteht, dass sie den Großvater nicht mehr besuchen möchte.

Häufig wird die sexuelle Ausbeutung in der Anfangsphase als Spiel getarnt. Täter aus dem sozialen Nahbereich wenden bei älteren Kindern (ab dem Grundschulalter) die Masche des "Hofierens" an. Das Kind wird wie eine Erwachsene behandelt, darf z.B. rauchen, wird zum Essen eingeladen, bekommt Alkohol zu trinken. Kinder haben ein tiefes Empfinden für die Sorgen und Nöte anderer Menschen. Es ist für Erwachsene häufig ein leichtes Spiel, das kindliche Mitgefühl zum eigenen Vorteil zu missbrauchen: "Ich bin so einsam, ich habe keine Familie. Es ist gut, dass du so lieb bist." Mit Hilfe von Geschenken wird das Opfer zusätzlich gekauft und erpresst.

Die Oberösterreichische Kinder- und Jugendanwaltschaft (Streicher-Pehböck & Winkler-Kirchberger 2000, S. 8) nennt folgende drei wesentliche Täterstrategien:


Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen

Bei sexuellem Missbrauch bzw. Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen sind die meisten Täter selbst Kinder oder Jugendliche, wobei Mädchen überwiegend als Opfer wahrgenommen werden, jedoch als Täterinnen meist übersehen werden. Ingrid Wolff-Dietz (2007) warnt davor, das Täterpotenzial bei Mädchen zu unterschätzen. Jugendliche Sexualstraftäter sind häufig selbst zuvor missbraucht worde, wobei man vermutet, dass die Täter und Täterinnen versuchen, durch Reinszenierungen die eigenen Missbrauchserfahrungen zu bewältigen. Sichtbar wird das vor allem dann, wenn Täter ihre Opfer in der gleichen Art missbrauchen, wie sie selbst missbraucht worden waren. Schon Sigmund Freud berichtet von einem Fall, in dem ein Dreijähriger von seiner fünfjährigen Schwester zu sexuellen Taten genötigt wurde. Seine Schwester hatte den Altersunterschied und ihre größere Intelligenz genutzt, um ihren Bruder zu dominieren, zu erniedrigen und mit einem Bild von einem Wolf zu foltern. In der Pubertät versuchte dieser die Kindheitssituation umzudrehen, und bedrängte seine Schwester sexuell, die ihn zurückwies, doch er fand andere weibliche Opfer, die ihm geistig unterlegen waren und deren Missbrauch sollte seine eigene Erniedrigung kompensieren sollte. Nach Ansicht der Psychoanalyse stellt eine Vergewaltigung die Verlagerung eines intrapsychischen Konflikts nach außen dar, d. h., der Täter kann das eigene Gefühl von Wertlosigkeit, Unzulänglichkeit, Verletzbarkeit durch ein triumphales Erleben von Mächtigkeit, Stärke und Potenz momentan verleugnen. Sexualstraftäter, die selbst missbraucht wurden, zeigen sexualisiertes Verhalten bereits in der Kindheit, erleben einen höheren Erregungslevel, sind emotional instabiler, haben häufiger Suizidgedanken, sind häufiger aggressiv und depressiv. Auch wenn solche kompensatorischen Tendenzen meist greifbar und auffällig sind, bleiben Ursachen und Folgen von sexuellem Missbrauch dennoch vielgesichtig und komplex.

Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch eigene Geschwister

Klees & Kettritz (2018) zeigen in ihrem Sammelband, dass häufiger als angenommen Kinder und Jugendliche ihre Geschwister sexuell missbrauchen, oft gewalttätig und über Jahre hinweg, wobei diese Vergehen meist zu einem streng gehüteten Familiengeheimnis werden und diese nur ausnahmsweise bekannt werden. Sexualisierte Gewalt durch Geschwister kann nur im Kontext des Familiensystems verstanden werden, wobei neben individuellen Risikofaktoren der übergriffigen Kinder und Jugendlichen vorwiegend familiendynamische Risikofaktoren als Ursachen für die sexualisierte Gewalt gelten, etwa eine patriarchalische Rollenverteilung, psychische und/oder emotionale Abwesenheit und Unerreichbarkeit der Eltern, dysfunktionale Grenzen des Familiensystems, elterliche Bevorzugung eines Kindes, hohe Geschwisteranzahl, sexuell stimulierendes und/oder puritanisches Familienmilieu, Opfererfahrungen der Geschwister und eine multigenerationale Weitergabe von Misshandlungs- und Missbrauchsmustern. Bei einer Tätertherapie muss daher neben der Aufarbeitung des Deliktes das Ziel verfolgt werden, Sexualität als Mittel der Machtausübung zu diskreditieren. Sexualisierte Übergriffigkeit bedeutet, dass Sexualität ihre eigentliche Funktion verloren hat und zum Mittel der Machtausübung geworden ist. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sexualisierte Übergriffigkeit keine Befriedigung sexueller Bedürfnisse mit unzulässigen Mitteln darstellt, sondern in der Therapiearbeit mit betroffenen Tätern muss dazu führen, die Gründe für den Wunsch nach Machtausübung herauszufinden, diese zu bearbeiten und Hilfe dafür zu schaffen. Ziel ist es zu vermitteln, wie die Täter ihre sexuellen, emotionalen und sozialen Bedürfnissen ohne Gewalt und Manipulation leben können, denn häufig sind nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter traumatisiert, und beide benötigen eine differenzierte Traumatherapie. Aus der Erfahrung weiß man, dass manche Opfer fast übergangslos zu Tätern werden können und umgekehrt.

Sexueller Missbrauch durch Frauen

Weiblicher Missbrauch ist ein absolutes Tabuthema, es gibt kaum Untersuchungen und passiert eher selten, jedoch für die Opfer sind die Übergriffe häufig folgenreicher als sexueller Missbrauch durch Männer. Wenn Buben von einer Frau missbraucht werden, sind sie meist jünger als Mädchen, die ein Mann missbraucht, was massive Bindungsstörungen auslöst, die viele Betroffene ein Leben lang nicht überwinden, denn wenn Kinder sich bei der eigenen Mutter nicht geborgen fühlen, wird das Urvertrauen zerstört. Es entspricht dem landläufigen Glauben, dass Frauen „so etwas“ nicht tun, denn die Fakten entsprechen nicht dem Bild von Weiblichkeit und Mütterlichkeit, das die Gesellschaft von Frauen hat. Die Gesellschaft betrachtet Frauen, und besonders Mütter, im Bezug auf Kinder als asexuelle Wesen, wobei die Grenzen zwischen zärtlicher Mutterliebe und Missbrauch fließend oft sind. Intensiver Körperkontakt, der einen Vater längst in Verdacht bringen würde, gilt im Fall der Mutter als harmlos und normal. Diese unterschwellig sexuell-erotischen Handlungen befinden sich allerdings in der totalen Grauzone des Tabuthemas weiblicher Missbrauch.

Nach einer Untersuchung in der BRD gingen 3,9 Prozent der rund 12 000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern auf Frauen zurück, davon waren 6,9 Prozent der Besitzer kinderpornografischen Materials weiblich. Experten schätzen den Anteil weiblicher Täter in Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern deutlich höher ein, man vermutet, dass der Wert zwischen zehn und zwanzig Prozent liegt.

Frauen werden dennoch viel seltener zum Kinderschänder, da die weibliche Erziehung kein dominantes Rollenverhalten vermittelt, sondern eher Fürsorglichkeit und Empathie betont. Daneben verbinden Frauen Sexualität wesentlich stärker mit einer emotionalen Beziehung als Männer und trennen auch weniger scharf zwischen Körper und Persönlichkeit. Insgesamt unterdrücken Frauen Impulse des Missbrauchs eher, als sie auszuleben. Jedoch mach das beziehungsbetonte Verhalten mache Frauen häufig zu Mittäterinnen von sexuellem Missbrauch in der Familie, denn in 40 Prozent aller Fälle wissen die Mütter von den Übergriffen auf ihre Kinder und versuchen aktiv, die Aufdeckung zu verhindern. Motiv ist meistens, dass sie die Familie erhalten oder ihre Beziehung zum Partner retten wollen, auch wenn sie dabei dafür ihr Kind opfern. Frauen missbrauchen häufiger die eigenen als fremde Kinder, d.h., sie nutzen dabei die besonders enge Bindung, die sich seit der Geburt zwischen Mutter und Kind entwickelt hat. Wenn eine Frau ihrem pubertierenden Sohn erotische Avancen macht, steckt meist Verlustangst dahinter und der Versuch, das geliebte Kind mit allen Mitteln an sich zu binden. Dieses physische Nicht-Loslassen-Können beginnt schon damit, wenn Frauen das Stillen bis weit ins Kindergartenalter ausdehnen.

Quelle: Apfel Petra (2011). Wenn Frauen Täter werden. Online Focus vom Mittwoch 02.02.2011.

Geschwisterinzest

Jede Kultur, jede Gesellschaft, jede Religion und jeder Stamm hat andere Vorstellungen davon, was verbotener Inzest ist bzw. welcher Inzest von den Mitgliedern gewünscht oder sogar gefordert wird. Das Inzesttabu richtet sich in allen Kulturen nach der verwandtschaftlichen Nähe. Jedoch unterscheidet es sich von Kultur zu Kultur, wer als nah gilt.

Studien belegen, dass Bruder-Schwester-Inzest fünfmal häufiger ist als Vater-Tochter-Inzest. In den Familien, Schulen und der Öffentlichkeit wird die Problematik meist tabuisiert und geleugnet. Im Hintergrund der Inzest-Delinquenz stehen häufig dysfunktionale Familienstrukturen:

Häufig sind die Täter zuvor physisch oder psychisch viktimisiert worden. Grundsätzlich neigen diese Jungen dazu, ihre traumatischen Erfahrungen in Form von gewalttätigen Übergriffen auszuagieren und ihre eigene Missbrauchsproblematik zu reinszenieren. Im Gegensatz zu Jungen reagieren Mädchen zum Großteil mit internalisierten Verhaltensweisen auf Traumata, indem sie ihre Aggressionen gegen sich selbst richten. Die Traumafolgen wirken meist lebenslang und führen zu gestörter Beziehungsfähigkeit, negativem Selbstkonzept, Auffälligkeiten im Sexualverhalten (Orgasmusstörungen, Promiskuität u.a.), Flashbacks, Essstörungen und Suizidgedanken.

Inzest wird von manchen Wissenschaftlern als der Bruch eines instinktiven Tabus angesehen, wobei er immer etwas mit nicht intakten sozialen Verhältnissen oder mit pathologischen Persönlichkeiten zu tun hat. Nach Ansicht von Verhaltensbiologen hat dieses Tabu evolutionsbiologisch einen tieferen Sinn. Bei Vater-Tochter- oder bei Geschwisterehen ergibt sich wegen der unausweichlichen Rekombination gleicher Gene bei den Nachkommen eine hohe Rate an "Primärausfällen". Biologisch gesehen ist die absolute Inzestvermeidung aber nicht idealer als der "absolute Inzest": Optimal lebenstauglich sind nach Studien die Nachkommen bei Verbindungen von Vettern zweiten und dritten Grades, denn diese zeichnen sich durch eine hohe Vitalität aus. Inzucht in der Natur bewahrt nämlich auch bewährte Gene, die Fruchtbarkeit ist daher meist hoch. Die durchgängige Verbindung nicht verwandter Individuen bringt oft Gene zusammen, die einander allzu unähnlich sind, was für den Nachwuchs negative Folgen haben kann. Generell gilt aber bei engeren Verwandten ein instinktives Inzest-Tabu, wobei auch in manchen Kulturen die Jungfräulichkeit als materieller Wert einen Tabubruch verhindert.

Quellen:
Klees, Esther (2007). Geschwisterinzest. Kindesmisshandlung und - vernachlässigung, 9/Heft 2, 62-80.
OÖnachrichten vom 03.05.2008
http://de.wikipedia.org/wiki/Inzest (08-04-04)

Quellen und verwendete Literatur



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