[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Die Chemie des Lernens

Literatur

Dinse, H.R., Ragert, P, Pleger, B., Schwenkreis P., Tegenthoff, M. (2003). Pharmacological modulation of perceptual learning and associated cortical reorganization. Science 301, S. 91-94.

Gulmez Karaca, Kubra, Kupke, Janina, Brito, David V. C., Zeuch, Benjamin, Thome, Christian, Weichenhan, Dieter, Lutsik, Pavlo, Plass, Christoph & Oliveira, Ana M. M. (2020). Neuronal ensemble-specific DNA methylation strengthens engram stability. Nature Communications, 11, doi:10.1038/s41467-020-14498-4.

Heba, S., Puts, N. A. J., Kalisch, T., Glaubitz, B., Haag, L. M., Lenz, M., Dinse, H. R., Edden, R. A. E., Tegenthoff, M. & Schmidt-Wilcke, T. (2015). Local GABA Concentration Predicts Perceptual Improvements After Repetitive Sensory Stimulation in Humans Cerebral Cortex. doi: 10.1093/cercor/bhv296.

https://www.dasgehirn.info/grundlagen/struktur-und-funktion/erfolgsgeheimnis-kommunikation (20-12-01)

Lernen im Vorübergehen!

Lernposter

Bereits vor etwa fünfzig Jahren postulierte der kanadische Psychologe Hebb, dass "Gleichzeitigkeit" bzw. "Simultanität" von Ereignissen die synaptische Übertragung und damit Lernprozesse verbessert. Perzeptuelles Lernen erfolgt bekanntlich durch stete Wiederholung, sodass sich für Menschen z.B. Objekte, die in ihrer Oberflächenbeschaffenheit sehr ähnlich sind, mit einiger Übung schon durch Berühren unterscheidenl lassen. Diese Fähigkeit zur "taktilen Auflösung" maßen Dinse et al. (2003) psychophysisch bei Versuchspersonen, indem diese zwei dünne Drahtstifte tasten mussten, deren Abstand voneinander im Laufe der Übungen stetig vermindert wird. Der kleinste Abstand, bei dem die Versuchsperson noch zwei Drahtstifte wahrnimmt, ist die Zweipunktdiskriminationsfähigkeit, die für jeden Menschen sehr individuell ist und sich nur durch langandauerndes Training herabsetzen lässt.

Diese Bedingungen setzten Dinse et al. (2003) in einen Stimulationsversuch um, der die natürliche Tastwahrnehmung nachvollzieht: Mit schwachen elektrischen Impulsen reizten sie gleichzeitig mit einer Rate von einem Reiz pro Sekunde kleine Bereiche der Zeigefingerspitzen von Versuchspersonen. Die Reize übertrug eine bewegliche Membran auf dem Zeigefinger der Versuchsperson, wobei die "Coaktivierung" mobil über ein kleines tragbares Kästchen erfolgte. Gleichzeitig wurden mit 32 Elektroden über der gesamten Hirnrinde die beim perzeptuellen Lernen ablaufenden Vorgänge im Gehirn (somatosensorisch evozierte Potenziale) erfasst. Mit diesem "neurophysiologischen Mapping" können Lage und Ausdehnung des sensiblen Repräsentationsgebietes der Fingerspitze auf der Hirnoberfläche genau bestimmt werden.

Nach etwa drei Stunden hatte sich die taktile Diskriminationsfähigkeit vorübergehend für einen Zeitraum von 24 Stunden verbessert, wobei das Ausmaß des Lernerfolgs von Person zu Person unterschiedlich war. Die Hirnstrommessungen zeigten parallel eine Verschiebung und Vergrößerung der Repräsentation des Zeigefingers auf der Hirnoberfläche.

Nun stellte sich die Frage, ob Substanzen, die auf der Ebene der Synapsen das Lernen ermöglichen und verbessern, auch bei Einnahme durch die Versuchspersonen einen solchen positiven Effekt auf das perzeptuelle Lernen haben würden. Wie man weiß, kontrollieren nur wenige grundlegende chemische Mechanismen die Effizienz von Synapsen, etwa die Gruppe der NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat). Ihre Aktivierung führt über eine Kette komplexer molekularer Vorgänge zu langanhaltenden Veränderungen der Synapseneffizienz (Langzeitpotenzierung - long-term-potentiation). Die Langzeitpotenzierung ist aber auch durch andere Substanzen modulierbar und lässt sich z. B. durch die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin steigern. Amphetamine, die im Gehirn Substanzen wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin freisetzten, verstärken somit auch die synaptische Plastizität.

Mithilfe einer einmaligen Applikation der Substanz Memantine, die den NMDA-Kanal blockiert, eliminierten die Forscher den Lernerfolg zunächst vollständig. Durch Messung der Tastschwellen des linken, nicht-coaktivierten Zeigefingers konnten sie unspezifische Nebenwirkungen des Medikaments ausschließen. Dann erhielten die Testpersonen eine einmalige Gabe Amphetamin (Psychopharmaka), was tatsächlich zu einer Verdoppelung des Lernerfolges führte, ohne Nebenwirkungen auf die Empfindung des nicht-coaktiverten linken Fingers zu verursachen. Die Hirnstrommessungen zeigten entsprechende Veränderungen: Die Blockade des Lernens unter Memantine schränkte die Hirnveränderungen ein, während der doppelte Lernerfolg durch Amphetamin zu einer Ausdehnung der Hirnrepräsentation führte.

Die Ergebnisse zeigten, dass Gehirnfunktionen und damit das Verhalten durch eine Kombination von Training, Stimulation und medikamentöser Therapie aktiv und gezielt verändert werden kann. Das entwickelte Coaktivierungsprotokoll beruht auf einer passiven Stimulation über mehrere Stunden, die zu massiven Änderungen von Gehirnorganisation und Verhalten führte. Dieses passive Training ermöglich u.U. neue Therapieansätze etwa für ältere Menschen oder Patienten mit neurologischen Störungen.

Erinnerungen werden durch Gedächtnisspuren - Engramme - codiert, die innerhalb von Teilmengen von Neuronen dargestellt werden, die während des Lernens synchron aktiviert werden. Im Laufe des Lebens eines Menschen aber auch eines Tiers wird eine Vielzahl von Erinnerungen gespeichert, wobei jede Erinnerung eine individuelle Repräsentation im Gehirn aufweist, vergleichbar einem Puzzle, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt, in diesem Fall aus dem Muster der Nervenzellen, die Informationen codieren. Um später eine Erinnerung abrufen zu können, müssen ausreichend viele der für ein bestimmtes Muster entscheidenden Neuronen im Gehirn wieder aktiviert werden, damit sich die einzelnen Teile dieses Musters zu einem Ganzen zusammenfügen. Bisher sind die molekularen Mechanismen, die diese Stabilisierung der Engramme in den Neuronen während der Konsolidierung vorantreiben und damit die Möglichkeit ihrer Reaktivierung durch Gedächtnisabruf sicherstellen, noch nicht vollständig erforscht. Gulmez et al. (2020) haben bei Mäusen in einer Studie während der Gedächtniskonsolidierung den Level der De-novo-DNA-Methyltransferase 3a2 (Dnmt3a2) selektiv innerhalb der Gyrus dentatus-Neuronen manipuliert, die während einer Angstkonditionierung aktiviert werden. Sie fanden heraus, dass eine Dnmt3a2-Hochregulierung die Gedächtnisleistung von Mäusen steigert und die Qualität der Rekonstitution des ursprünglichen neuronalen Ensembles bei der Gedächtnisabfrage deutlich verbessert. Dabei ist das dafür verantwortliche Protein Dnmt3a2 ein epigenetischer Faktor, der das Erbgut chemisch modifiziert und damit auf Erinnerungsprozesse Einfluss nimmt. Schon eine geringe Steigerung führte bei den Tieren zu einer verbesserten Gedächtnisleistung, wobei die für die Erinnerung entscheidenden Neuronen besser reaktiviert wurden, sodass man experimentell diese Reaktivierung der Angst sogar präzise modulieren konnte.

In einer neueren Studie (Heba et al., 2015) wurde im Detail untersucht, wie die Konzentration des Neurotransmitters GABA im Gehirn Lernprozesse beeinflusst. Bekanntlich kommunizieren bei der Informationsverarbeitung im Gehirn die meisten Nervenzellen über Neurotransmitter, die von den Synapsen der Nervenzellen entsendet werden und wie ein Schlüssel ins Schloss eines Rezeptors an der empfangenden Nervenzelle passen. Dort erzeugen die Botenstoffe ein erregendes oder hemmendes Signal, das anschließend weiterverarbeitet wird, wobei der bedeutendste hemmende Neurotransmitter im zentralen Nervensystem die γ-Aminobuttersäure (GABA) ist. Frühere Studien zur synaptischen Plastizität, also zur Anpassungs- und Lernfähigkeit des Gehirns, haben ja gezeigt, dass GABA eine entscheidende Rolle bei der Regulierung neuronaler Erregung spielt. Man weiß, dass die passive Stimulation, ähnlich wie aktives Training, Lernprozesse im Gehirn auslöst, sodass man etwa durch passive Stimulation der Fingerspitzen mit elektrischen Impulsen eine Verbesserung des Tastsinnes erreichen kann. Durch die Passivität dieses Vorgangs konnten nun Lernprozesse im Gehirn und ihr Zusammenhang mit dem Botenstoff GABA unter Laborbedingungen beobachtet werden, wobei sich zeigte, dass sich die Konzentration von GABA im Laufe des Lernprozesses nicht ändert. Vielmehr ist das Basisniveau des Neurotransmitters entscheidend dafür, wie erfolgreich der Lernprozess sein wird, sodass die Basiskonzentration dieses Neurotransmitters eine Vorhersage ermöglicht wird, wie erfolgreich jemand lernen wird.


Wie der Informationsaustausch zwischen Neuronen funktioniert

Grundsätzliches: Als Synapse bezeichnet man den Ort, wo das Axon eines Neurons auf die Dendriten eines weiteren Neurons trifft, wodurch die Übertragung von Signalen stattfinden kann. Eine Synapse ist quasi das WhatsApp der Nervenzellen, wobei ihr Text aus chemischen Botenstoffen wie Dopamin oder Serotonin besteht. Synapsen bilden daher die Grundlage für eine Kommunikation zwischen den einzelnen Neuronen und damit auch Grundlage für neuronale Netzwerke. Synapsen bestehen aus einem synaptischen Spalt, einer Lücke zwischen dem Axon des einen Neurons und einem Dendriten eines anderen Neurons, der Präsynapse, also jener Teil vor dem synaptischen Spalt, wo kleine Bläschen bereit liegen, die mit dem jeweiligen Botenstoff der Nervenzelle gefüllt sind, und der Postsynapse, die hinter dem synaptischen Spalt liegt.

Schnittstelle für den Informationsaustausch von Neuronen sind die Synapsen, wobei manche Nervenzellen an bis zu zehntausend solcher Kontaktstrukturen beteiligt sind. Dabei gibt es einen präsynaptischen Abschnitt, der Signale aussendet, einen synaptischen Spalt, den die Signale überqueren müssen und einen postsynaptischen Abschnitt, der sie empfängt. Den präsynaptischen Abschnitt bilden die Endknöpfchen der Axone im Wurzelbereich einer Nervenzelle, den postsynaptischen Abschnitt die Dendriten und der Zellkörper. Neuronen vernetzen und trennen meist strikt zwischen der Informationsaufnahme über Dendriten und den Zellkörper und die Informationsweitergabe über das Axon. In einer typischen Synapse schüttet das Endknöpfchen eines Axons chemische Signale in Form von Neurotransmittern aus, die an spezialisierte Rezeptorproteine an der postsynaptischen Membran andocken und dort eine Reaktion auslösen. Die Reizübertragung findet daher chemisch auf Grund einer elektrischen Auslösung statt. Daneben gibt es auch einige elektrischen Synapsen, bei denen die prä- und postsynaptischen Zellen über gemeinsam gebildete Ionenkanäle miteinander verknüpft sind (gap junctions), über die sie elektrisch geladene Teilchen (Ionen) austauschen. Die Informationen an einer chemischen Synapse wandelt die Empfängerzelle in bioelektrische Signale um und transportiert diese über ihr Axon bis in die eigenen präsynaptischen Regionen. Die Übersetzungsarbeit leisten dabei Ionenkanäle in der Zellmembran, die direkt oder indirekt an die Neurotransmitterrezeptoren gekoppelt sind. Dockt ein Transmittermolekül an den Rezeptor an, öffnet oder schließt sich der Ionenkanal und lässt je nach Konfiguration der Transmitter und Kanäle mehr oder weniger positiv geladene Natrium-, Calzium- oder Kaliumionen oder negativ geladene Chlorionen die Zellmembran überqueren. Dadurch verändern sich die elektrischen Ladungen im Zellinnern sowie in der Umgebungsflüssigkeit und damit auch die elektrische Spannung zwischen diesen beiden Bereichen (Membranpotential). Die so entstehende Spannungsänderung bezeichnet man als postsynaptisches Potential. Je nachdem, welche Neurotransmitter und welche Kanäle an einer Synapse beteiligt sind und wie die Ionen in einem Neuron verteilt sind, kann ein postsynaptisches Potential erregend oder hemmend sein und unterschiedlich stark ausfallen. Mit seiner individuellen qualitativen und quantitativen Signatur funktioniert jedes postsynaptische Potential wie ein Informationsbeitrag in der bioelektrischen Kommunikation der Nervenzellen. Da ein typisches Neuron über viele Orte an den Dendriten Signale von anderen Zellen empfängt, muss es diese Signalfülle mit ihren zeitlichen und räumlichen Mustern zu einer sinnvollen Gesamtbotschaft integrieren. Das Ergebnis dieser Analyse beeinflusst, wie das Neuron sich im nächsten Schritt verhalten wird: Sendet es über ein Aktionspotential in die eigenen präsynaptischen Regionen und damit Signale an andere Zellen oder nicht? Im Ruhezustand herrscht ein negatives Membranpotential von ca. -70 mV vor, bei dem im Zellinneren weniger positiv geladene Teilchen vorhanden sind als außerhalb. Steigt das Membranpotential infolge der Gesamtschau der empfangenen Signale über einen bestimmten Schwellenwert, öffnen sich weitere spannungsgesteuerte Ionenkanäle, die schlagartig viele positiv geladene Natriumionen in das Zellinnere strömen lassen. Dadurch schnellt das Membranpotential in diesem Bereich weiter nach oben, sodass ein Aktionspotential entsteht, das sich nun in einer Kettenreaktion entlang des Axons fortpflanzt, bis es die präsynaptischen Endungen und das Signal über die dort liegenden Synapsen an die nächsten Neuronen im neuronalen Netzwerk erreicht.

Lernen findet an den Synapsen statt

Neurone sind ausgesprochen uneinheitliche Gebilde und bestehen aus dem Zellkörper, das Soma, in dem sich unter anderem der Kern mit dem Erbmaterial befindet. Vom Soma aus erstrecken sich Fortsätze in alle Richtungen, zum einen das auf die Weiterleitung von Signalen ausgelegte Axon, zum anderen die oft bäumchenartig verzweigten Empfangsstrukturen, die Dendriten. In den Dendriten, insbesondere in deren dornförmigen Enden, finden sich Synapsen in Hülle und Fülle, wobei eine einzelne Nervenzelle des Gehirns durchaus über 10 000 solcher Kontaktstellen verfügen kann. Bei den Synapsen handelt es sich um extrem spezialisierte Gebilde, die meist sehr weit vom eigentlichen Zellkörper entfernt liegen. Neurowissenschaftler interessieren sich daher sehr dafür, wie die bei Lernvorgängen zu beobachtende Umprogrammierung und Neubildung von Synapsen gesteuert wird. Neuronale Netzwerke bilden bekanntlich die Grundlage aller Hirnleistungen und haben sich als erstaunlich wandlungsfähig erwiesen, denn in weit größerem Ausmaß als bisher angenommen werden laufend neue Kontakte zwischen Nervenzellen geknüpft. Daher sind diese Kontaktstellen, die Synapsen, als elementare Funktionsträger aller Hirnleistungen immer mehr in das Blickfeld der Forscher gerückt. Zwar weiß man, dass das Lernen über das Umprogrammieren oder Neuverbinden von Synapsen stattfindet, der zugrunde liegende Mechanismus ist jedoch noch weitgehend ungeklärt. Derzeit vermutet man, dass an den sich verändernden Synapsen bestimmte Eiweiße hergestellt werden, die die Veränderungen in den Synapsen bewirken. Wissenschaftler um Michael Kiebler in der Abteilung für Neuronale Zellbiologie am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien haben nun das Molekül Septin7, das ursprünglich in der Hefe identifiziert wurde und dort an der Teilung der Zellen beteiligt ist, auch an Synapsen nachgewiesen, wo es eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der dieser Kontaktstellen spielt.

Mithilfe von Molekülen werden beim Lernen die Synapsen gezielt modifiziert, wobei die Baupläne für diese Moleküle von Boten-RNAs zu den Synapsen transportiert werden, wobei ein Schlüsselfaktor für diesen Transport spezifisch an einen nicht-codierenden Bereich der Boten-RNA bindet und dass der Transport in Abhängigkeit von der Aktivität der Synapse erfolgt. Die in der DNA gespeicherten Baupläne für Proteine werden im Zellkern zunächst in Boten-RNA (mRNA) übersetzt und dann an die Ribosomen übermittelt, wob in Nervenzellen sich die Ribosomen nicht nur wie in allen anderen Zellen im Zellkörper, sondern an den Synapsen befinden. Dadurch können lokal Proteine produziert und die betroffenen Synapsen umgebaut werden, ohne dass benachbarte Synapsen davon beeinflusst werden. Früheren Studien haben gezeigt, dass das hirnspezifische Bindeprotein Staufen beim mRNA-Transport eine wichtige Rolle spielt, doch bisher war nicht bekannt, wie Staufen die zu transportierenden Botenmoleküle erkennt und wie diese tatsächlich lernabhängig in Proteine umgesetzt werden. Sharangdhar et al. (2017) haben nun entdeckt, dass Staufen spezifisch an bestimmte Sequenzen (Introne) bindet, die in einem Bereich der Boten-RNA liegen, der keine Baupläne für Proteine enthält, sondern vor allem regulatorische Funktionen erfüllt. Bisher wurden Introne fast immer in Protein-codierenden Bereichen gefunden, die dort dafür sorgen, dass nach einer Boten-RNA-Vorlage verschiedene Proteine hergestellt werden. Dabei werden diese Introne im regulatorischen Bereich nicht wie beim Kopiergang üblich herausgeschnitten, sondern bleiben erhalten und gelangen mit der Boten-RNA ins Zytoplasma der Nervenzelle. An die gleiche Boten-RNA ohne Intron bindet Staufen nicht, und transportiert sie dementsprechend auch nicht weiter. Das Intron stellt damit offensichtlich ein zusätzliches Markiersignal dar, das an der Regulation der an die Synapse geschickten Informationen beteiligt ist. Dieser Transport wird in Abhängigkeit von der Aktivität der Synapse gesteuert wird, indem die Boten-RNA unablässig von Synapse zu Synapse transportiert wird und nur dort gestoppt und in Proteine umgesetzt, wo eine Synapse aktiv ist und dadurch lernt. Synaptische Aktivität stimuliert also das Andocken der Boten-RNA an eine Synapse. Auch dabei spielt Staufen eine Rolle, denn die Anlieferung funktioniert nicht mehr, wenn das Protein ausgeschaltet ist.

Vierunddreißig Jahre, nachdem das Nervensystem des Fadenwurms Caenorhabditis elegans im Elektronenmikroskop rekonstruiert worden war, ermöglichen nun neue elektronenmikroskopische Techniken mit hohem Durchsatz die dichte Rekonstruktion neuronaler Schaltkreise in immer größeren Gehirnvolumina mit genauer synaptischer Auflösung. Wie bei bei dem Fadenwurm besteht jedoch eine wesentliche Einschränkung für den Rückschluss auf die Gehirnfunktionen aus neuronalen Schaltplänen darin, dass nicht bekannt ist, wie die Struktur einer Synapse, die gerade untersucht wird, mit der physiologischen Übertragungsstärke zusammenhängt. Holler-Rickauer et al. (2019) haben nun Struktur und Funktion derselben Synapsen miteinander in Beziehung gesetzt, indem sie gepaarte Ganzzellaufnahmen von synaptisch verbundenen pyramidalen Neuronen in Schnitten des somatosensorischen Cortex der Maus mit korrelierter Lichtmikroskopie und hochauflösender Elektronenmikroskopie aller vermuteten synaptischen Kontakte zwischen den Neuronen kombinierten. Sie entdeckten dabei eine lineare Beziehung zwischen der Synapsengröße (Fläche der postsynaptischen Dichte) und der Synapsenstärke (Amplitude des exzitatorischen postsynaptischen Potentials), was eine experimentelle Grundlage für die Zuordnung der tatsächlichen physiologischen Gewichte zu den synaptischen Verbindungen, die in der Elektronenmikroskopie sichtbar werden, bietet. Dieser Zusammenhang kann nun genutzt werden, um an Hand der gemessenen Synapsengrößen abzuschätzen, wie stark die Informationsübertragung tatsächlich ist. Damit können etwa die Schaltkreise der Großhirnrinde mithilfe der Elektronenmikroskopie exakt kartografiert und deren Informationsfluss am Computer simuliert und interpretiert werden. Damit wurde auch die Ansicht widerlegt, dass Synapsen der Großhirnrinde pro Aktivierungsvorgang nur ein einziges Vesikel mit Botenstoffen ausschütten, sondern dass Synapsen an verschiedenen Stellen mehrere Vesikel gleichzeitig ausschütten können, also dass neocortikale Synapsen wie hippocampale Synapsen mit multivesikulärer Freisetzung arbeiten. Synapsen sind somit wesentlich komplexer und können ihre Signalstärke dynamischer regulieren als bislang vermutet, d. h., die Rechenleistung und die Speicherkapazität der gesamten Großhirnrinde ist daher wesentlich größer als bisher angenommen.

Neue Erkenntnisse zu stummen bzw. stillen Synapsen

Als man vor Jahrzehnten erstmals stumme Synapsen entdeckte, wurden sie vor allem in den Gehirnen junger Mäuse und anderer Tiere beobachtet, wobei angenommen wurde, dass diese Synapsen dem Gehirn während der frühen Entwicklung helfen, die riesigen Mengen an Informationen aufzunehmen, die Babys benötigen, um ihre Umwelt kennenzulernen und mit ihr zu interagieren. Man nahm auch an, dass diese Synapsen bei Mäusen im Alter von etwa 12 Tagen – das entspricht den ersten Monaten des menschlichen Lebens – verschwinden. Vardalaki et al. (2022) haben nun aber entdeckt, dass auch das erwachsene Gehirn Millionen von stillen Synapsen enthält, also unreifen Verbindungen zwischen Neuronen, die inaktiv bleiben, bis sie zur Bildung neuer Erinnerungen herangezogen werden. Bisher ging man davon aus, dass stille Synapsen nur während der frühen Entwicklung vorhanden sind, wenn sie dem Gehirn helfen, die neuen Informationen zu lernen, denen es in den ersten Lebensjahren ausgesetzt ist. Advertisement Die am Mausmodell durchgeführten Studien könnten nun auch erklären, wie das erwachsene Gehirn in der Lage ist, ständig neue Erinnerungen zu bilden und neue Dinge zu lernen, ohne bestehende konventionelle Synapsen verändern zu müssen. Diese stillen Synapsen suchen nach neuen Verbindungen, und wenn wichtige neue Informationen präsentiert werden, werden die Verbindungen zwischen den entsprechenden Neuronen verstärkt, sodass das Gehirn neue Erinnerungen schaffen kann, ohne die wichtigen Erinnerungen zu überschreiben, die in den reifen Synapsen gespeichert sind, die schwieriger zu verändern sind. Das MIT-Team war übrigens gar nicht speziell auf die Suche nach stummen Synapsen ausgerichtet, sondern man versuchte, die Neurotransmitterrezeptoren in verschiedenen dendritischen Verzweigungen zu messen, um herauszufinden, ob dies dazu beitragen würde, die Unterschiede in ihrem Verhalten zu erklären. Dabei fand man zahlreiche Filopodien, also dünne Membranausstülpungen, die von Dendriten ausgehen, die normalerweise mit herkömmlichen bildgebenden Verfahren schwer zu erkennen sind.

Literatur

Gulmez Karaca, Kubra, Kupke, Janina, Brito, David V. C., Zeuch, Benjamin, Thome, Christian, Weichenhan, Dieter, Lutsik, Pavlo, Plass, Christoph & Oliveira, Ana M. M. (2020). Neuronal ensemble-specific DNA methylation strengthens engram stability. Nature Communications, 11, doi:10.1038/s41467-020-14498-4.

Holler-Rickauer, Simone, Köstinger, German, Martin, Kevan A. C., Schuhknecht, Gregor F. P. & Stratford, Ken J. (2019). Structure and function of a neocortical synapse. BioRxiv, doi:10.1101/2019.12.13.875971.
Ohne Autor (2010). Den Lernprozessen im Gehirn auf der Spur.
WWW: http://www.meduniwien.ac.at/kieblerlab/news/news/wiener-forscher-entdeckten-septin7/ (10-03-18)

Sharangdhar, Tejaswini, Sugimoto, Yoichiro, Heraud-Farlow, Jacqueline, Fernández-Moya, Sandra M., Ehses, Janina, Ruiz de los Mozos, Igor, Ule, Jernej, Kiebler, Michael A. (2017). A retained intron in the 3′-UTR of Calm3 mRNA mediates its Staufen2- and activity-dependent localization to neuronal dendrites. EMBO rep, e201744334. doi:10.15252/embr.201744334.

Stangl, W. (2022, 10. Dezember). Stumme Synapsen auch im erwachsenen Gehirn. arbeitsblätter news.
https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/stumme-synapsen-auch-im-erwachsenen-gehirn/
Vardalaki, Dimitra, Chung, Kwanghun & Harnett, Mark T. (2022). Filopodia are a structural substrate for silent synapses in adult neocortex. Nature, 612, 323-327.

Wandtner, Reinhard (2003). An den kleinsten Orten des Bewusstseins. Welche Veränderungen laufen in den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen im Gehirn ab? Artikel vom 13. September in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".


Lernt der Cortex langsam?

Literatur

http://www.wissenschaft.de/ sixcms/detail.php?id=89914 (01-05-30)

Lernen im Vorübergehen!

Lernposter

Von der Gehirnchemie aus betrachtet, gibt es mindestens zwei Arten von Gedächtnis, die auch auf unterschiedliche Weise zustande kommen. Für die Ausbildung des Kurzzeitgedächtnisses werden in den Neuronen des Gehirns bereits vorhandene Proteine chemisch verändert. Gehen Inhalte ins aber Langzeitgedächtnis über, so müssen die Zellen neue Eiweißmoleküle bilden. Wie sich die neu gebildeten Eiweißstoffe Gedächtnisinhalte festigen, ist noch nicht im Detail geklärt, man vermutet aber, dass sie sowohl bereits vorhandene Synapsen zwischen Nervenzellen verstärken als auch neue Synapsen bilden können, wobei beide Prozesse zusammen die Grundlage des Langzeitgedächtnisses bilden. Da bei der Fixierung von Gedächtnisinhalten jedoch immer nur ein Teil der Synapsen verändert wird, müssen die Zellen die Proteinsynthese lokal eingrenzen können. Gedächtnisforscher postulierten dabei eine Art molekulares Etikett, das die Produktion von Eiweißmolekülen nur in bestimmten Synapsen zulässt.

Eine Studie von Wissenschaftlern um Alcino J. Silva von der University of California, Los Angeles, weist darauf hin, dass der Hippocampus, auch "Ammonshorn" genannt, beim Lernen selbst Informationen speichert, die erst später der langsamer lernenden Großhirnrinde (Cortex) zur Langzeitspeicherung übermittelt werden. Weiter fanden die Forscher heraus, dass für die dauerhafte Festigung des Gelernten das synaptische Protein alpha-CaMKII benötigt wird. Diese in Nature vorgestellten Ergebnisse stellen einen ersten Schritt zur Enthüllung der molekularen und zellularen Mechanismen der permanenten Gedächtnisbildung dar.

Die Wissenschaftler untersuchten an genmanipulierten Mäusen den Zusammenhang zwischen dem Protein alpha-CaMKII und Lernen. Die Mäuse besaßen nur eine von zwei Kopien des Gens für das Protein und verfügten deshalb nur über die Hälfte der üblichen Menge des Proteins. In zwei "Hippocampus"-Lernaufgaben lernten die Mäuse zuerst normal, vergaßen das Gelernte aber wieder schneller als normale Mäuse, auch wenn die Wissenschaftler intensiver mit ihnen trainierten. Daraus folgern die Forscher, dass der Aufnahmeweg beim Lernen selbst und das Festigen der gelernten Inhalte zwei verschiedene Aspekte der Gedächtnisbildung sind, die in verschiedenen Gebieten - dem Hippocampus und dem Cortex - ablaufen.    

Weiter untersuchten die Wissenschaftler bei den genmanipulierten Mäusen die sogenannte Langzeitpotenzierung (LTP) beim Lernen. LTP ist ein molekularer Mechanismus, der neuronale Verbindungen stärkt und der wahrscheinlich die Basis der Bildung von Erinnerungen und Lernen ist. Die Autoren beobachteten, dass in den normalen und genetisch veränderten Mäusen beim Lernen LPT im Hippocampus wie im Cortex induziert wird. Jedoch verschwand bei den manipulierten Mäusen LTP im Cortex unerwartet schnell, während es im Hippocampus normal weiter bestand. Dies scheint durch das Fehlen des Proteins erklärbar zu sein. Da LTP die Grundlage für Lernen ist, lernen die genmanipulierten Mäuse normal, können sich aber schlecht an das Erlernte erinnern.  

Diese Ergebnisse stimmen mit der sogenannten "Consolidation"-Theorie der Gedächtnisbildung überein. Danach lernt nur der Hippocampus zu dem Zeitpunkt der Informationsaufnahme, also "online". Später, wenn der Hippocampus "offline" ist, wahrscheinlich während des Schlafens, werden die gespeicherten Informationen wieder abgespielt und so in den Cortex überführt.

Was passiert im Gehirn, wenn wir lernen?

Literatur

Brickwedde, Marion, Schmidt, Marie D., Krüger, Marie C. & Dinse Hubert R. (2020). 20 Hz steady-state response in somatosensory cortex during induction of tactile perceptual learning through LTP-like sensory stimulation. Frontiers in Human Neuroscience, 14, doi:10.3389/fnhum.2020.0025.

idw vom 5.4.2004

Johannes Schröder (Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg) konnte mittels Kernspintomographie darstellen, welche Hirnaktivitäten nach vier Wochen Lernen eintreten. Neun jungen Männer wurden zweimal täglich drei Aufgaben mit wachsendem Schwierigkeitsgrad gestellt: Zahlen in einem Versuchsfeld mussten erkannt und erinnert werden. Die Gehirnvorgänge wurden mit dem Kernspintomographen vor Studienbeginn, nach zwei Wochen und nach vier Wochen Training gemessen. Demnach gewöhnt sich das Gehirn an das Training, die anfängliche erhöhte Aktivität der Nervenzellen normalisiert sich bei gesteigerter intellektueller Leistung. Vor allem der rechte "Gyrus frontalis inferior" im Stirnbereich und der rechte "Intraparietale Sulcus" im Schläfenlappen werden beim Lernprozess aktiviert. Schon zwei Wochen Training verbesserten die Gedächtnisleistung deutlich, ein Effekt, der auch nach vier Wochen noch bestand. Je schwieriger die Aufgabe war, desto größer war die Aktivität im Gehirn. Die Lernvorgänge zeigten in den ersten beiden Wochen eine verstärkte Gehirnaktivität im Stirn- und Schläfenlappen, nach vier Wochen kehrte sie wieder auf ihr Ausgangsniveau zurück. Die Leistungen der Probanden hatten sich verbessert und blieben auch nach dem Rückgang der Aktivierung stabil. Der anfänglichen Anstrengung beim Lernen folgte vermutlich eine Konsolidierung und eine Ökonomisierung der Hirnleistungen.

Die Auslösung von synaptischer Plastizität erfordert das Vorhandensein zeitlich neuronaler Aktivitätsmuster, wobei zahlreiche Studien schon gezeigt haben, dass die Langzeitpotenzierung, also die Fähigkeit der Gehirnzellen die Kommunikationsstärke zwischen einzelnen Nervenzellen zu verändern, durch hochfrequente intermittierende Stimulation hervorgerufen werden kann. Beim Menschen können Plastizitätsprozesse, die dem Wahrnehmungslernen durch Übung und Wiederholung zugrunde liegen, durch wiederholte ähnliche sensorische Stimulation zuverlässig induziert werden. Das führt in der Folge zu einer Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeiten parallel zur weit verbreiteten Remodellierung der cortikalen Verarbeitung. Reizt man beispielsweise über längere Zeit die Fingerspitze mit einem wiederholten Tastimpuls, verbessert sich der Tastsinn nachweislich. Brickwedde et al. (2020) haben nun vermutlich auch gezeigt, was dabei im Gehirn passiert. Dabei registrierte man mithilfe eines Enzephalogramms die Aktivität der Nervenzellen in den für die Verarbeitung solcher Impulse zuständigen Hirnbereiche (somatosensorischer Cortex) und konnte darstellen, dass sich die Aktivität der dortigen Nervenzellen vermutlich als Abbildung dieses Lernprozesses verändert. Durch die elektrophysiologischen Messungen der Gehirnaktivität konnte man demnach zeigen, dass sich in aktiven Stimulationsphasen große Zellensembles in ihrer Aktivität an die Frequenz der Stimulation anpassen, wobei diese Reaktion über zwanzig Minuten hinweg ohne Zeichen von Gewöhnung konstant blieb, ganz ähnlich wie bei zellulärer Langzeitpotenzierung. Danach war die ereigniskorrelierte Desynchronisierung dieses Alpha-Rhythmus, eine typische Reaktion auf Tastreize, nach 20 Minuten wieder verringert..

 

Lernen auf molekularer Ebene

Literatur

Kretz, Robert (1993). Lernen auf molekularer Ebene.

http://www.unifr.ch/spc/UF/93mai/ kretz/lernen.html (04-11-14)

http://www.ruhr-uni-bochum.de/ biopsyseminare/data/studentenprojekte/s eminar-lernen_ws0102/Habituation_2910/ habituation.htm (04-12-07)

Lernen ist ein komplexer Vorgang im Zentralnervensystem, wobei Menschen von der Geburt bis zum Tode auf Lernen angewiesen sind, denn der Erwerb neuen Wissens ist jener fundamentale Vorgang, mit welchem sich der Organismus mit seiner Umwelt auseinandersetzt und darin behauptet. Lernen ist kausal mit dem Nervensystem, im speziellen mit dem Gehirn, verbunden. Der Baustein des Gehirns ist das Neuron (Nervenzelle). Die Leistung des Gehirns kann aber nicht einfach als Summe aller Einzelleistungen seiner Neurone erklärt werden, sondern durch die speziellen Interaktionen, die zwischen einzelnen Nervenzellen oder ganzen Nervenzellpopulationen vorkommen. Durch elektrische Messungen oder Stimulationen während neurochirurgischer Eingriffe bei Epileptikern oder bei Patienten mit einem Hirntumor, oder durch moderne bildgebende Verfahren wie CT, NMR und PET (vgl. Moderne bildgebende Verfahren) konnten erstmals diese Prozesse untersucht werden. Das niedrigste Niveau stellt das Einzelneuron mit seinen physiologischen und biochemischen Eigenschaften dar. Dem zweiten Niveau entsprechen einfache Schaltkreise und Netzwerke, d.h. einzelne Kontakte zwischen verschiedenen Neuronen. Das dritte Niveau bezieht sich auf größere Strukturen, wie Hippocampus, Inferotemporalcortex usw.

In unserem Gehirn haben wir im Durchschnitt ungefähr 100 Milliarden Neurone und ebensoviele und noch mehr Stütz- oder Gliazellen. Jede Nervenzelle im Gehirn kann bis zu 1000-10000 verschiedene Kontaktstellen, sogenannte Synapsen, mit anderen Nervenzellen bilden. Aus diesen Daten ist ersichtlich, dass wir momentan nur ganz einfache Systeme, wenn überhaupt quantitativ, als Netzwerke erfassen und eventuell verstehen können. Zusätzlich wird die Analyse noch dadurch erschwert, dass einzelne Kontaktstellen nicht immer die gleichen Übertragungseigenschaften aufweisen. Es ist nicht ein Alles-oder-Nichts Phänomen wie bei einem elektrischen Schalter, sondern die einzelnen Synapsen gehen, je nach ihrer Vorgeschichte eine stärkere oder eine schwächere Verbindung, lies Informationsübertragung, mit einer Nachbarzelle ein. Ist das aber nicht schon eine einfache Form von Lernen, wenn sich die Eigenschaften einer synaptischen Verbindung aufgrund ihrer Aktivität verändern? Diese Lernformen werden als einfachste Verhaltensänderungen, die meist auf der Übertragung und der Aktivitätsveränderung von Molekülen beruhen, als molekulare Grundlagen des Lernens bezeichnet. Weil diese Übertragung der Information nicht stur über Zellkontakte geleitet wird, spricht man auch von synaptischer Plastizität. Während in gesunden Synapsen die Signale über Botenstoffe (Transmitter) weitergeleitet werden, rauscht die Übertragungsverbindung in kranken Zellen so stark, dass ein Signal, das einen Lernprozess in Gang setzen soll, nicht im Rauschen wahrgenommen werden kann, sodass Lernen dann nicht mehr möglich ist. Auch die Signalleitungen zum Abrufen von Gedächtnisinhalten werden durch ein Rauschen gestört.

Bisher nahm man an, dass nur Empfängerelemente die Umbauprozesse in den synaptischen Verbindungen steuern, doch seit Studien am Max-Planck-Institut für Neurobiologie (Martinsried) an Mäusegehirnen weiß man, dass nicht nur die Empfängerstation der Synapse an den Veränderungen beteiligt ist, sondern auch die Sendestationen arbeiten am Umbau der Synapsen aktiv mit und bauen sich selbst ab, wenn die Zelle keine Informationen mehr weiterleiten muss. Zwar verläuft der Informationsfluss nur in eine Richtung, doch der Umbau der Synapsen geschieht durchaus in einer Art Wechselwirkung, an der Empfänger und Sender gleichermaßen beteiligt sind. Bereits codierte Informationen werden dabei überschrieben, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, womit die Anzahl der Synapsen etwa gleich bleibt, während sich jedoch deren Qualität verändert. In diesem Auf- und Abbau der Synapsen ist die Fähigkeit des Gehirns grundgelegt, etwas zu lernen, sich zu erinnern oder zu vergessen.

Quelle: http://www.neuro.mpg.de (08-12-03)

Neue Studien haben im Tierversuch bestätigt, dass die Entstehung von Erinnerungen mit einer veränderten Aktivität spezieller Gene einhergeht, wobei chemische Markierungen am Rückgrat der DNA (DNA-Methylierung) möglicherweise die molekulare Grundlage des Langzeitgedächtnisses bilden. Grundsätzlich geht man davon aus, dass es Erlebnisse abspeichert, indem Verbindungen zwischen Hirnzellen verändert werden, wobei auf dieser Plastizität das Gedächtnis und die Gabe zum Lernen beruht. Man stimulierte das Langzeitgedächtnis von Mäusen, indem man die Tiere darauf trainierte, eine bestimmte Versuchsumgebung wiederzuerkennen, wobei anhand von Gewebeproben gezeigt werden konnte, wie sich durch diese Lernaufgabe die Aktivität der Gene in den Hirnzellen der Tiere veränderte, also wie es zu epigenetischeb Modifikationen kam. Eine Zelle nutzt bekanntlich verschiedene Mechanismen, um Gene an- oder auszuschalten, ohne dass sich die DNA-Sequenz dabei verändert. Prinzipiell kann die Genregulation sowohl über eine Methylierung geschehen, wodurch das Rückgrat der DNA an spezifischen Stellen chemisch markiert wird, aber es sind auch Veränderungen an den Histonen möglich, als jenen Proteinen, die die DNA verpacken. Bei dieser Studie an Mäusen konnte man sowohl Modifikationen an den Histonen als auch an der Methylierung der DNA feststellen, wobei die Veränderungen der Histone jedoch nur geringe Auswirkung auf die Aktivität für die Neuroplastizität wichtiger Gene hatten. Allerdings kam es zu epigenetische Modifikationen nicht nur an Nervenzellen, sondern auch in nicht-neuronalen Zellen des Gehirns. Demnach ist die Methylierung möglicherweise ein wichtiger molekularer Baustein des Langzeitgedächtnisses, wobei diese eine Art Code für Gedächtnisinhalte darstellt.

Literatur

Rashi Halder, Magali Hennion, Ramon O. Vidal, Orr Shomroni, Raza-Ur Rahman, Ashish Rajput, Tonatiuh Pena Centeno, Frauke van Bebber, Vincenzo Capece, Julio C. Garcia Vizcaino, Anna-Lena Schuetz, Susanne Burkhardt, Eva Benito, Magdalena Navarro Sala, Sanaz Bahari Javan, Christian Haass, Bettina Schmid, Andre Fischer, Stefan Bonn (2015). DNA methylation changes in plasticity genes accompany the formation and maintenance of memory. Nature Neuroscience, DOI: 10.1038/nn.4194


Eric Kandel, einer der bedeutendsten Hirnforscher, wurde 1929 in Wien geboren, emigrierte mit 9 Jahren nach Amerika. In New York studierte er Literatur, wurde später Psychoanalytiker und Mediziner. Seit 50 Jahren hat er sich auf die Hirnforschung spezialisiert. Sein Forschungsthema hängt eng mit seinen traumatischen Kindheitserlebnissen in Wien während des Nationalsozialismus zusammen: Die Suche nach dem Gedächtnis. Nach Eric Kandel sind Gehirn und Geist eins. Dieser Satz kennzeichnet den radikal reduktionistischen Ansatz der neuen Wissenschaft des Geistes. Jedes Neuron ist funktionell eindeutig und steuert ein ganz bestimmtes Verhalten. Die neuronale Architektur eines konkreten Verhaltens ist also invariant, wobei Lernen stets nur eine Auswahl aus einem großen Repertoire von präexistierenden Verbindungen trifft und damit die Stärke einer Teilmenge dieser Verbindungen verändert. Das gilt vor allem für das Kurzzeitgedächtnis. Das Langzeitgedächtnis knüpft in der Folge auch neue Verbindungen. Der Übergang ist genetisch bedingt, sitzt also im Zellkern. Was die Frage aufwirft, wie er dann nur ganz bestimmte Synapsen des Neurons betreffen kann. Offenbar wandert die entsprechende Messenger-RNA zu allen Synapsen, wird aber nur dort, wo es erwünscht ist, aktiviert. Das dafür verantwortliche Protein CPEB (Cytoplasmic polyadenylation element binding protein) ähnelt in seiner Aminosäuresequenz den Prionen, die den Rinderwahn und verwandte Krankheiten bewirken. Prionen können also vermutlich eine normale und eine krankmachende Form annehmen, wobei die krankmachende Form ansteckend wirkt, weil sie Moleküle in der normalen Form dazu bringt, sich auch umzulagern. Ganz ähnlich könnten CPEB-Proteine in einer aktiven Form ihresgleichen dazu bringen, sich auch in die aktive Form zu begeben. So könnte es sich selbst aktiv erhalten - und damit die entsprechende Erinnerung.

Die Analyse der synaptischen Plastizität oder die Erforschung der Veränderungen auf dem Niveau der Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen kann nicht an Menschen vorgenommen werden. Der Neurobiologe untersucht entsprechende, dazu speziell geeignete Nervensysteme, wie beispielsweise dezentralisierte Neuronpopulationen bei der kalifornischen Meeresschnecke Aplysia californica, auch "Seehase" genannt, eine bis zu 500 g schwere und bis zu 40 cm lange Meeresnacktschnecke. Ihr Nervensystem besteht aus 20 000 überschaubaren Neuronen, die in 9 Ganglien zusammengefasst sind. Ihre Riesenneurone sind teilweise mit bloßem Auge erkennbar. Die Vorteile der Nervenzellen von Aplysia liegen somit in ihrer Größe mit einem Durchmesser von 0,03-1,0 Millimeter. Einzelne Neurone können mit feinen Elektroden angestochen werden, um die elektrische Aktivität zu registrieren oder um sie elektrisch zu stimulieren. Mit feinen Pipetten können bestimmte Moleküle in die Zelle injiziert oder die Konzentrationen von bestimmten Ionen mit speziellen Elektroden gemessen werden usw. Ferner zeigt diese Meeresschnecke Verhaltensweisen, die mit den einfachen Verhaltensänderungen wie Gewöhnung oder Sensibilisierung umschrieben werden können und die auch beim Menschen als einfachste Verhaltensformen vorkommen.

Bei der Habituation, einem der einfachsten Lernvorgänge, schwächt sich eine Reaktion auf einen wiederholt präsentierten und sich als unbedeutend erweisenden Reiz allmählich ab. Man spricht auch von einer erlernten Verhaltensunterdrückung. Berührt man die Atemröhre von Aplysia, den Siphon, so zieht sie ihre Kiemen in die Mantelhöhle zurück. Neurophysiologisch betrachtet löst die Berührung ein Aktionspotential am afferenten oder auch sensorischen Neuron aus, das zu einem Interneuron weitergeleitet wird. Hier wird das Aktionspotential an ein Motoneuron oder efferentes Neuron weitergeleitet, durch das der Rückziehmuskel aktiviert wird. Bei wiederholter Reizung der Atemröhre wird die Reaktion immer schwächer und hört nach 10-15 Berührungsreizen ganz auf. Die Dauer des Effektes hängt von der Häufigkeit der Reizung ab. Nach der Theorie von Kandel setzt der Vorgang der Habituation bei der Erregungsweiterleitung an der Synapse an. Man unterscheidet zwischen Kurz- und Langzeithabituation.

Kurzzeithabituation Bei wiederholter Reizung werden einige Ca2+- Kanäle inaktiviert. Dadurch gelangen weniger Transmitter zu den Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Die Calciumausschüttung wird im Verlauf der Reizungen immer geringer. Dieser Vorgang wird auch synaptische Depression genannt und scheint ein weit verbreiteter Habituationsmechanismus zu  sein. Gedächtnisleistung wäre demnach eine Veränderung der Synapseneigenschaften.

Langzeithabituation Die Inaktivierung der synaptischen Übertragung wird von Strukturveränderungen der sensorischen Neuronen begleitet. Diesen Vorgang nennt man Pruning, das Zurechtstutzen von synaptischen Verbindungen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt regenerieren sich diese synaptischen Verbindungen.

Auch die Erforschung der klassischen Konditionierung bedient sich des Kiemenrückziehreflexes der Aplysia, der somit einer der am besten analysierten neurobiologischen Schaltkreise darstellt und sogar auf dem Niveau der Moleküle untersucht werden kann. Dieser Lerntyp gehört zur Kategorie des assoziativen Lernens: Ein Reiz (bedingter Reiz), der eine spezifische Reaktion nicht oder nur schwach auslöst, wird mit einem anderen Reiz (unbedingter Stimulus), der die Reaktion immer auslöst, assoziiert. Nach erfolgreicher Konditionierung führt der bedingte Reiz allein auch immer zu einer Reaktion. Bei der Konditionierung des Kiemenrückziehreflexes wird bei einer leichten Berührung des Siphons oder des Mantelrandes die Kieme leicht eingezogen. Der Mantel überdeckt die Kieme und der Siphon stellt eine Verbindung zwischen der Kiemenhöhle und dem Meerwasser dar. Die Berührung des Siphons kann als bedingter oder zu konditionierender Stimulus gebraucht werden, während die Berührung des Mantelrandes als Kontrollstimulus dient. Der unbedingte Reiz wird über einen Schmerzreiz durch Klemmen des hinteren Fußteils bewerkstelligt. Je nach Reizsituation kann der bedingte Reiz schon nach wenigen Darbietungen (z.B. fünf Wiederholungen) die Reaktion zuverlässig auslösen: ein Lernprozess, im speziellen klassische Konditionierung hat stattgefunden.

Die Grundlage für die Wahrnehmung der verschiedenen Stimuli mit entsprechender Reaktion basiert auf einer relativ einfachen Verschaltung zwischen Sinnesnervenzellen und ihren Zielzellen, den Motoneuronen und einzelnen Zwischenneuronen. Ein Zwischenneuron, welches zwischen die Sinnesnervenzelle des hinteren Fußteils und der Sinnesnervenzelle des Mantels oder des Siphons verschaltet ist, wird als modulatorisches Neuron bezeichnet. Bei seiner Aktivierung wird an der Synapse zu den Sinnesnervenzellen von Siphon und Mantel eine Überträgersubstanz, das Serotonin, ausgeschüttet. Das Serotonin bewirkt nun, dass die Sinnesnervenzelle des Siphons unter der Bedingung der klassischen Konditionierung ihren eigenen Überträgerstoff vermehrt ausschüttet. Diese Zunahme von Überträgerstoff führt nun seinerseits zu einer größeren Aktivität des Motoneurons und deshalb zu heftigeren Abwehrreaktionen der Schnecke. Das Serotonin bindet sich an die Empfängermoleküle auf der Sinnesnervenzelle. Diese aktivieren ihrerseits das Enzym Adenylatcyclase und setzen dadurch eine molekulare Kaskade in Gang, die letztlich bewirkt, dass die Sinnesnervenzellen an ihrer Synapse zum Motoneuron mehr Überträgerstoff freisetzen. Die aktivierte Adenylatcyclase wandelt nun ATP (Adenosintriphosphat) in cyclisches AMP (Adenosinmonophosphat) um. Das cyclische AMP wirkt in der Zelle als sekundärer Botenstoff und aktiviert seinerseits eine Proteinkinase, ein Enzym, das anderen Proteinen eine Phosphatgruppe überträgt und sie dadurch aktiviert oder inaktiviert. Im Falle des Kiemenrückziehreflexes phosphoryliert die Proteinkinase die Kaliumkanäle in der Zellmembran oder Proteine, die mit diesen Kanälen in enger Wechselwirkung stehen. Dadurch werden die Kanaleigenschaften verändert, d.h. es erfolgt eine Reduktion von normalerweise aus der Zelle ausströmenden Kalium-Ionen. Dadurch wird aber die Länge eines elektrischen Zellsignals, des Aktionspotentials, das bei der Aktivität der Zelle generiert wird größer was wiederum zur Folge hat, dass jetzt Kalziumkanäle länger geöffnet bleiben. Ein erhöhter Einstrom von Kalzium-Ionen hat verschiedene Funktionen:

Die Adenylatcyclase ist also für die aktivitätsabhängige Bahnung beim Kiemenrückziehreflex der Meeresschnecke Aplysia ein Schlüsselmolekül, weil sich an diesem Enzym zwei unterschiedliche Signale - Kalzium-Ionen und Serotonin - auswirken. Dadurch laufen die vom bedingten und vom unbedingten Reiz ausgelösten molekularen Reaktionen dank einem spezifischen Timing in der Zelle zusammen. Die so aktivitätsabhängige Verstärkung des cyclischen AMP mit seinen Folgereaktionen ist nicht nur für Aplysia Nervenzellen spezifisch. Einen ähnlichen molekularen Mechanismus für die Konditionierung ist auch bei der Taufliege Drosophila, dem klassischen Untersuchungsobjekt der Genetik, nachgewiesen worden. Eine Gruppe von Wissenschaftlern ist der Ansicht, dass Nervenzellen gewissermaßen über ein Alphabet zum Lernen verfügen dürften, d.h. über einfache Mechanismen, aus denen sich durch Kombination oder Weiterentwicklung komplexere Lernformen ergeben könnten. Diese reduktionistische Perspektive basiert auf der Feststellung, dass assoziative synaptische Veränderungen anscheinend keine komplexen neuronalen Netzwerke erfordern, und deshalb solche Lernformen eine direkte Entsprechung in den Eigenschaften von Nervenzellen haben könnten. Natürlich dürfen wir komplexere Mechanismen für bestimmte Lernformen nicht ausschließen und die Plastizität der Nervenzellen nicht unterschätzen, die sich in der dauernden Wechselwirkung mit der Umwelt ergeben. Durch die verschiedenen Erregungen aus den Sinnesorganen werden die Nervenzellen nicht nur molekularbiologisch verändert, sondern auch das Auswachsen und Reduzieren ihrer Fortsätze und der Auf- und Abbau von Kontaktstellen, den Synapsen, können die funktionellen Eigenschaften wesentlich mitbestimmen.

 



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