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Grundbegriffe der Piagetschen Theorie

Die kognitive Entwicklung ist laut Piaget gekennzeichnet durch veränderliche und unveränderliche Komponenten:

Eine kognitive Struktur (Schema) besteht bei Piaget aus Elementen, die bestimmten Aufbaugesetzmäßigkeiten unterworfen sind. Eine solche Struktur regelt sich weitgehend selbst, d.h., sie stellt eine ursprüngliche Ganzheit dar und besteht aus einem System von Beziehungen und Transformationen. Die kognitiven Strukturen bestehen aus Gruppen von Schemata, die sich nach gewissen Entwicklungsgesetzen verändern.

Das Schema wird hier als typische Weise des Menschen verstanden, bestimmte Klassen von Umweltgegebenheiten zu handhaben. Ein solches Schema existiert als kognitives Schema, das sich in gewissen Handlungsschema ausdrückt (z.B. dem Schema des Werfens, Klopfens, Multiplizierens u.ä). Schemata machen verschiedenartige Gegenständen zu gleichartigen (z.B. zu solchen, die man werfen, mit denen man klopfen, die man multiplizieren kann usw.), erleichtern somit kognitiv den Umgang mit der Umwelt. Schemata werden zur Erinnerung in das Gedächtnis aufgenommen und zur Wiedererkennung von Gegenständen als die wesentlichen Züge reaktiviert bzw. abgerufen. Das "retrieval"-Problem des Gedächtnisses bzw. der internen gespeicherten Repräsentationen ist eines der Schema(wieder)aktivierungen. 

David Rumelhart entwickelte in "Schemata - the Building Block of Cognition" (1978) eine allgemeine Theorie zur Verwendung der Schemakonzeption in der Psychologie und versuchte diese anhand von Alltagserkenntnissen zu illustrieren. Seine Hauptthese ist, dass Schemata zur Strukturierung unseres Wissens dienen - und zwar sowohl zur Abspeicherung, bei der Erinnerung als auch bei jeglicher Einbettung des Wissens in Zusammenhänge oder jeglicher Formierung und Repräsentation des Wissens. Alle Kognitionen, also alle Erkenntnisse, Wahrnehmungen, Deutungen haben mit der Auslösung, Auswahl oder Anwendung sowie Überprüfung von Schemata zu tun, also mit der Etablierung, der Bildung von Schemata und deren Anwendung. Der Prozess des Interpretierens und Deutens generell besteht für Rumelhart darin, dass, mögliche Konfigurationen von Schemata ausgewählt und daraufhin geprüft, angewendet, instantiiert werden, dass sie mit bestimmten Daten eines Gedächtnisfragments oder Gedächtnisdaten selektiv merkmalsgesteuerter Art oder eben mit entsprechenden äußeren Sinnesdaten zusammenstimmen. Ein ist Organismus immer aktiv und er tastet seine Umgebung danach ab, ob bestimmte Auslösereize oder bestimmte Informationen für ihn interessant sind bzw. seinen präferierten Zielen entsprechen.

Kant verwendete den Begriff des Schemas - der letztlich aus der Philosophie kommt - in seiner "Kritik der reinen Vernunft" in anderen Weise. Für ihn ist ein Schema das "Produkt der Einbildungskraft" a priori, das die Einheit der Anschauungen und der (Vorstellungs-) "Bilder" bedingt (ermöglicht), sei es der äußeren Sinnesanschauungen, sei es der inneren. Die Funktion des Schemas bzw. Schematismus ist die "Bestimmung der Sinnlichkeit", also der veranschaulichten Gehalte dessen, was wahrnehmend erkannt wird. Es handelt sich nach Kant um "die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemäß einer Menge (...) in einem Bilde vorzustellen" - und zwar um ein "Verfahren", einen Prozess eher als um ein solches "Bild selbst". "Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe".

Die Inhalte sind konkrete Gegenstände, auf die die Schemata angewendet werden können (Bälle, Steine, aber auch Zahlen, Emotionen usw.). Für Piaget sind die Inhalte nur sekundär von Interesse, da sie sich ständig ändern und zu wenig Regelmäßigkeit zeigen. Hier zeigt sich wiederum die Einstellung, dass es weniger wichtig sei, an welchen Gegenständen das Individuum seine kognitiven Strukturen ausbildet, da an gleichen Gegenständen Verschiedenes und andererseits auch an verschiedenen Gegenständen Gleiches gelernt werden könne.

Siehe dazu die grafische Darstellung des Modells auf der Eingangsseite!

Piaget stellt den kognitiven Strukturen die kognitiven Funktionen gegenüber. Unter den Funktionen versteht er grundlegende Möglichkeiten des Menschen, die Umwelt zu bewältigen, die die Anpassung des Menschen an die Umwelt leisten. Die wesentliche Funktion, die zur Formung einer Struktur führt, ist hierbei die Assimilation. Diese bildet mit der zweiten Funktion, der Akkommodation, einen kognitiven Gesamtprozeß (Adaptation).

Assimilation meint im wesentlichen ein aktives Interpretieren, Einordnen oder Deuten von Objekten und Ereignissen der Außenwelt in Begriffen der eigenen, gerade verfügbaren und bevorzugten Art, über diese Dinge zu denken. In den Anfängen ist die Assimilation im wesentlichen die Nutzung der Außenwelt durch das Subjekt, um die ihm angeborenen oder erworbenen Schemata zu stärken und zu vertiefen. Beispiel: Wenn für das Kind ein Holzstück zum Schiff wird, so assimiliert es das Holzstück an sein kognitives Konzept von Schiff. Es lassen sich mehrere Formen der Assimilation unterscheiden:

Die stärker reaktive Funktion der Akkommodation bedeutet, der Struktur äußerer Daten Rechnung zu tragen. Die Akkommodation tritt nur dann auf, wenn es eine Diskrepanz oder Störung gibt, für die der Organismus noch kein bewährtes Schema besitzt.

Beispiel: Hat ein Säugling irgend ein visuelles Element in das invariante Muster einer Rassel assimiliert (Schütteln ergibt Lärm) und ergreift nun gerade ein ähnlich geformtes Holzstück, dann bleibt z.B. das auditive Element des Rasselns aus. Dann wird sich die Aufmerksamkeit auf vorhandene taktile oder visuelle Schemata richten, die eine Unterscheidung ermöglichen. Ist diese Unterscheidung getroffen, dann werden die neuen Elemente mit den alten in der Akkommodation zu einem neuen Schema verknüpft, das dann seinerseits Ausgangspunkt für weitere Assimilationen zukünftiger Erfahrungen darstellt.

Da auch die einfachste menschliche Handlung grundsätzlich vielschichtig und ihr deshalb selten einer der beiden Funktionen eindeutig zuzuordnen ist, begegnen uns in jeder Handlung Akkommodation und Assimilation gleichzeitig in unterschiedlichen Gewichtungen.

Das Wachstum menschlichen Bewußtseins besteht zu einem großen Teil in der sukzessiven Bildung von kognitiven Invarianten. Nur durch die Identifizierung solcher konstanter Merkmale ist es dem Individuum inmitten ständiger Bewegung und Veränderung möglich, selber einen Standpunkt für seine Adaptationen zu finden (Identität).

Ein Schema erlaubt auch das Wiedererkennen einer bestimmten Situation, indem über gewisse Unterschiede zwischen gespeicherten Schema und aktuellem Kontext abstrahiert wird. Dieser Vorgang der Assimilation erlaubt also nur die Wahrnehmung dessen, was in bestehende Schemata paßt. Ein Schema assoziiert eine spezifische Aktivität mit der momentanen Situation, und führt daher zu der Erwartung, daßs gleiche Aktivitäten gleiche Resultate zeitigen. Das menschliche kognitive System ist daher nicht durch den Sensorinput determiniert, sondern durch interne (unbeobachtbare) Erwartungen, welche die kognitive Aktivität kanalisieren. Dadurch, dass vertraute Situationen nur mehr erkannt, aber nicht immer wieder neue Reaktionen gelernt werden müssen, wird Kognition so weit beschleunigt, dass es in der Lage ist, in Echtzeit zu agieren. Wir leben in einer Welt der Antizipation, in der unser internes Gerüst an Vermutungen und Hypothesen uns zu Erwartungen führt. Wird eine Erwartung bestätigt, so können wir den eingeschlagenen "Denkweg" fortsetzen. Schlägt die Bestätigung fehl, so ändern wir entweder Abfolge der Vermutungen, oder modifizieren die Hypothesen selbst. Ernst von Glasersfeld hat später diese Schematheorie in psychologischer Perspektive in seinem konstruktivistischen Ansatz weiterentwickelt.

Thesen

Schemata sind Ergebnisse von Versuchen, die Umwelt durch Akkommodation und Assimilation zu bewältigen.

Mittels der Funktionen Akkommodation und Assimilation werden während der Beschäftigung mit den Inhalten die kognitiven Strukturen (Schemata) ausgebildet. Paßt ein Schema gut auf einen neuen Inhalt, ist der Anteil der Assimilation an der Adaptation größer. Wenn sich ein Schema nicht auf einen neuen Gegenstand anwenden läßt, muß das Schema mittels Akkommodation an neue Gegebenheiten angepasst werden, der Anteil der Assimilation ist gering.

Die Stufen der kognitiven Entwicklung sind gekennzeichnet durch die Qualität der Schemata, die dem Individuum zur Bewältigung der Umwelt zur Verfügung stehen.

Auf der 1. Stufe sind dies sensu-motorische Schemata, auf der 2. werden diese sensu-motorischen Schemata verinnerlicht (interiorisiert), müssen also nicht mehr motorisch ausgeführt werden, sondern können auch im Geiste vollzogen werden (Abschreiten einer Hauswand). Sie sind aber noch immer an konkret vorgestellte Inhalte gebunden - daher der Name konkrete Stufe. Auf der 3. Stufe nun wird Unabhängigkeit von konkreten Inhalten, ja von Inhalten überhaupt erreicht: Zeichen stehen für abstrakte, formale geistige Operationen (z. B. 33=27).

Die Tendenz der Schemata zu assimilieren, wann immer sie können, hält die Entwicklung in Gang (Neugier).

Es liegt für Piaget in der Natur aller Schemata, dass sie bestrebt sind, auf andere, neue Inhalte angewendet zu werden. Dies findet ihren Ausdruck in den von Piaget beschriebenen Kreisreaktionen. Die primäre Kreisreaktion findet statt, wenn eine Handlung (sprich ein Schema), die zu einem angenehmen Ergebnis geführt hat, wiederholt wird (beispielsweise, wenn der Säugling das Strampeln aufrecht erhält, um die am Bett hängenden Glöckchen weiterhin klingeln zu hören).
Eine sekundäre Kreisreaktion ist gegeben, wenn die Handlung später bei gleicher Gelegenheit wiederholt wird. Dadurch wird dieses Handlungsschema eingeübt.
Von tertiärer Kreisreaktion wird gesprochen, wenn das aktivierte Schema spontan variiert wird, quasi "um zu sehen, was dann passiert". So entdeckt das Kind - und auch noch der Erwachsene - neue Möglichkeiten.

Die Herstellung eines Gleichgewichts (Äquilibration) ist eine Grundtendenz des Lebens und Motor der Entwicklung.

Wenn der Mensch ständig versucht, seine Handlungsschemata auf neue Gegenstände (Inhalte) anzuwenden, dann deshalb, um Angemessenheit und Ausgewogenheit zu erreichen. Denn der Zielzustand ist ein Gleichgewicht - z.B. zwischen Schema und Inhalt, aber auch zwischen Individuum und Welt, Oberschema und Unterschema u.s.w. Da der Mensch ohne dieses Gleichgewicht nicht leben kann, das gerade erst errungene Gleichgewicht aber durch immer neue Umweltgegebenheiten immer wieder in Frage gestellt wird, wird die Adaptation der Schemata und Strukturen immer wieder erneut angestoßen. Hierin sieht Piaget den Motor der menschlichen Entwicklung.

Keine kognitive Struktur ist endgültig: der Mensch konstruiert immer neue Schemata, differenziert alte und integriert sie zu neuen.

Die Strukturen sind nach Piaget also vorläufige Konzepte bzw. Bewältigungsversuche, deren Zweckmäßigkeit sich erst erweisen muß: ob man mit ihnen "mit der Welt zu Rande kommt". Daher kann es auch keine endgültige kognitive Struktur geben, auch wenn das Individuum die höchste Stufe der Intelligenzentwicklung bereits erreicht hat. Entwicklung findet also auch noch in fortgeschrittenem Lebensalter statt, auch wenn Piaget diese Lebensphasen nicht empirisch untersucht hat. Was nun für das einzelne Individuum gilt, gilt nun aber genauso für die Wissenschaft als solche. Auch hier werden ja Konzepte und Modelle entwickelt, die ihre Angemessenheit erst erweisen müssen, was allzu oft eben nicht der Fall ist. Es ist das Schicksal der menschlichen Erkenntnistätigkeit, beständig auf der Suche zu sein: Alle Erkenntnis ist relativ.

 



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