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Gütekriterien qualitativer Forschung

Quelle:
http://www.dieterherbst.de (02-12-13)
Qualitative Forschungsmethoden gelten aufgrund ihres offenen Charakters als subjektiv, sodass Validitäts- und Reliabilitätsüberprüfungen nach dem üblichen Muster der empirischen Sozialforschung als eher schwierig oder gar unmöglich eingeschätzt werden. Die mit Objektivität und Reliabilität verbundenen Zielvorstellungen von quantifizierender Vergleichbarkeit und Standardisierung stehen im Gegensatz zur qualitativen Forschungslogik, denn hier wird eine Transformation der zu erfassenden Informationen ebenso abgelehnt wie ihre Reduktion zu statistischen Analysezwecken. Die Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit von Untersuchungen setzt aber nicht nur die Konstanz des Untersuchungsablaufes voraus, sondern impliziert gleichzeitig eine Konstanz des Untersuchungsobjektes. Damit wird jedoch auch die natürliche Veränderlichkeit der Realität und ihr prozesshafter Charakter mit ihren situativen Einflüssen nicht als Datum akzeptiert, sondern eher als Problem bzw. Störfaktor angesehen, die eliminiert oder zumindest kontrolliert werden müssen. Eine einfache Übertragung dieser Anforderungen an Gütekriterien qualitativer Methoden kommt im Grunde einer Negation qualitativer Zielvorstellungen gleich. Daraus ergibt sich die Frage, ob die üblichen Gütekriterien überhaupt zur Beurteilung qualitativer Methoden herangezogen werden können oder ob neue entwickelt werden müssen. Allerdings muss bedacht werden, dass jede wissenschaftliche Untersuchung einen gewissen Grad an Zuverlässigkeit und Gültigkeit aufweisen sollte, um als Grundlage für zukünftige Entscheidungen dienen zu können.

Die Operationalisierung von Merkmalen betrifft grundsätzlich die Notwendigkeit, operative Anweisungen zur Gestaltung einer Untersuchung zu formulieren. Dazu gehören die Auswahl der Indikatoren sowie die Angabe der Datenerhebungsinstrumente. Insbesondere können viele psychologische Konstrukte letztlich nur über Indikatoren einer Messung zugänglich gemacht werden, also durch die Entwicklung von Merkmalskatalogen und Skalen, die in der Lage sind, das Konstrukt zu erfassen bzw. abzubilden. Von der Operationalisierung dieser Merkmale hängt schließlich die Validität dieser Forschung ab. Qualitative Methoden bedürfen zwar ebenfalls hinsichtlich der Methodenauswahl und -durchführung (z.B. bei der Erstellung von Leitfäden) gewisser Forschungsoperationen, sie bedienen sich jedoch bei der Erhebung nicht solcher- meist vorab festgelegter - Merkmalskataloge.

Die Objektivität wird im quantitativen Ansatz vor allem auf die Unabhängigkeit der Untersuchung von subjektiven Einflüssen seitens der Forscher bezogen. Als Konsequenz hieraus ergibt sich die Forderung nach einer möglichst weitreichenden Kontrolle solcher Störeinflüsse, die die "Neutralität" der Untersuchung gefährden könnten. Objektivität in der quantitativen Forschungslogik ist somit untrennbar verbunden mit einer weitgehenden Kontrolle und Standardisierung des Untersuchungsablaufs. Aus qualitativer Sicht besteht durch die Standardisierung einer Untersuchung und die bewusst herbeigeführte Neutralität des Forschers unter Ausschluss aller situativen Kontextfaktoren allerdings die Gefahr, eine Künstlichkeit zu erzeugen, die sich verzerrend auf den Untersuchungsinhalt auswirken kann. Der qualitative Forschungsansatz versucht aus diesem Grund, der Forderung nach Objektivität gerade durch eine gezielte Berücksichtigung der spezifischen Untersuchungssituation gerecht zu werden. Er möchte bewusst all jene untersuchungsrelevanten Kontextfaktoren aktiv erfassen, die im quantitativen Ansatz durch Standardisierung konstant gehalten werden sollen. Der qualitative Forschungsansatz versucht, jede Vorselektion von untersuchten Merkmalen möglichst zu vermeiden. Ziel qualitativer Forschung sollte es deshalb sein, die verschiedenen Problemdimensionen möglichst umfassend zu erforschen und zu analysieren. Die Objektivität lässt sich daher auch ausdrücken als Grad der Umfassendheit, mit der die relevanten Inhalte unter Berücksichtigung der einfließenden situativen Kontextfaktoren erhoben werden. Verbunden ist hiermit die Forderung nach einer entsprechenden Angemessenheit der Methoden, die relevanten Untersuchungsinhalte auch wirklich umfassend erheben zu können. Der Weg dahin ist allerdings nicht zwingend festgelegt, sondern kann je nach Erhebungsinstrument und Untersuchungssituation variieren.

Die Offenheit qualitativer Methoden soll den individuellen Ausdrucksmöglichkeiten viel Spielraum geben und erzeugt so ein Datenmaterial, das sich nur schwerlich exakt wiederholen lässt. Eine mangelnde Reliabilität muss somit weniger als "Unvollkommenheit" qualitativer Methoden verstanden werden, sondern liegt in den Charakteristika der Methoden und der Vielschichtigkeit sozialer Realitäten, d.h. im Untersuchungsgegenstand selbst, begründet.

Daher ist die Forderung nach Reliabilität, die die Reproduzierbarkeit der erhobenen Informationen nicht nur gedanklich miteinschließt, sondern durch verschiedene Überprüfungsverfahren konkret nachweisen will, nach den üblichen Verfahren obsolet, denn die Zuverlässigkeitsüberprüfungen beziehen sich meist auf konkrete statistische Messwerte, die unter bestimmten Bedingungen miteinander korreliert werden. Da die Daten aber keiner messtechnischen Transformation unterzogen werden und eindeutig quantifizierbare Ergebnisse nicht vorliegen, ist eine Reproduzierbarkeit des Datenmaterials, wie sie durch die üblichen Reliabilitätskoeffizienten geprüft werden soll, also nicht möglich. Der weitere Spielraum der qualitativen Forschung macht eine Reproduktion des Erhebungsablaufes wenig wahrscheinlich. Reliabilitätskontrollen wie im quantitativen Ansatz spielen daher nur eine untergeordnete Rolle. An ihre Stelle tritt die Forderung nach einer ausreichenden Transparenz des Erhebungsablaufes, so dass die Bedingungen von Aufbau und Ablauf der Untersuchung offengelegt werden. So ist es für die Überprüfung, inwieweit eine wirklich umfassende Erfassung des Problembereichs gelungen ist, vor allem von Bedeutung, dass der gesamte Ablauf entsprechend aufgezeichnet und seine Entstehungsbedingungen festgehalten werden. Die Forderung nach Zuverlässigkeit im Sinne einer Reproduzierbarkeit des Datenmaterials wird demnach durch die Forderung nach Transparenz der Erhebung ersetzt.

Aufgabe der Datenauswertung im qualitativen Ansatz ist es, anhand einer typisierenden Analyse alle problemrelevanten Inhalte zu kategorisieren und sie einer anschließenden Interpretation zugänglich zu machen. Da sich qualitative Untersuchungen stets darum bemühen, nahe am Datenursprung zu bleiben und dabei nicht auf statistische Auswertungs- und Analyseverfahren zurückgreifen, ist die Errechnung von irgendwelchen Koeffizienten meist nicht möglich. Im Gegensatz zur quantitativen Forschung bestehen bei qualitativen Untersuchungen keine vorab festgelegten Zuordnungsregeln. Zuverlässigkeit und Objektivität der Auswertung hängen in hohem Maße von der Sorgfalt und fachlichen Kompetenz des Forschers ab. Die Zuverlässigkeit der Ergebnisse kann aber auch hier durch eine entsprechende Offenlegung und Begründung aller Auswertungsschritte derart unterstützt werden, dass sie für einen anderen Forscher zumindest nachvollziehbar sind.

Die Interpretation von Untersuchungsergebnissen besitzt immer einen gewissen subjektiven Spielraum, allerdings basieren Interpretationen quantitativ erhobener Daten zu einem Großteil auf den vorab gemachten Annahmen, was den Interpretationsspielraum deutlich einengt. Im Rahmen qualitativer Forschung werden die Interpretationsansätze erst auf Basis der erhobenen Informationen gebildet. Je nach Eindeutigkeit oder Heterogenität der Daten kann sich hier ein weiteres Spektrum an möglichen Interpretationen eröffnen. Die Objektivität und Zuverlässigkeit einer Auswertung qualitativer Untersuchungen steigt mit der Möglichkeit, mit der die vorgenommene Interpretation nachvollzogen werden kann. Auch hier gilt es demnach, alle Überlegungen und Interpretationsschritte transparent zu machen. Eine weitere Möglichkeit, die Objektivität und Zuverlässigkeit einer Interpretation zu steigern, besteht darin, mehrere Forscher anhand des gleichen Informationsmaterials eine Interpretation vornehmen zu lassen und somit einen multipersonalen Diskurs anzustreben. Dabei kann z.B. eine Interpretation in der Gruppe vorgenommen werden, was den Vorteil besitzt, dass die individuelle Meinung des einzelnen Interpreten in der Gruppe jeweils argumentativ begründet werden muss. Zumindest aber sollten die voneinander unabhängig angefertigten Ergebnisse wenigstens zweier Interpreten miteinander verglichen werden. 


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