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o. Univ. Prof. Dr. Max H. Friedrich
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50 Jahre
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Dr. med. Max H. Friedrich, geboren 1945 im österreichischen Klosterneuburg, ist ordentlicher Professor und Vorstand der Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters in Wien. Professor Friedrich ist seit 1977 Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, seit 1980 auch für Kinder- und Jugendneuropsychiatrie. 1984 wurde er zum ständigen gerichtlich beeideten Sachverständigen für Psychiatrie sowie Kinder- und Neuropsychiatrie bestellt. Er war Berater verschiedener Bundesministerien in Sekten-, Familien und Mißbrauchsfragen und ist Mitglied nationaler und internationaler Gremien. Neben zahllosen Fachpublikationen veröffentlichte Friedrich 1998 den populärwissenschaftlichen Bestseller Tatort Kinderseele".
"Tatort Kinderseele - Sexueller Mißbrauch und die Folgen"
15 bis 20 Prozent aller Kinder unter 14 Jahren werden Opfer sexueller Gewalt, berichtete Univ.-Prof. Max H. Friedrich, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters bei der Präsentation seines neuen Buches "Tatort Kinderseele - Sexueller Mißbrauch und die Folgen". Sexueller Mißbrauch findet überwiegend im engeren sozialen Umfeld des Kindes statt. In der Familie - dem "gefährlichsten Tatort" - kommt es nicht nur zu den häufigsten, sondern auch zu den aggressivsten und am öftesten wiederholten Kindesmißhandlungen. Friedrich unterscheidet zwischen acht Tätertypen. Die Rückfallquote von 40 bis 60 Prozent sei "katastrophal". Kastration nützt nichts, weder die hormonelle noch die operative, denn "Pädophilie entsteht im Kopf". Auch Psychiatrie und Psychotherapie könnte das Problem nicht restlos aus der Welt schaffen. Prinzipiell sei jedes Kind verführbar. Je weniger seine Bedürfnisse daheim Befriedigung finden, desto gefährdeter ist es. "Lebensumstände, in denen eine Kind emotional oder sozial vernachlässigt wird, machen ein Nachgeben gegenüber den sexuellen Wünschen eines erwachsenen Partners häufig zum Ersatz für vermißte Zärtlichkeit und Zuwendung".
Wie kommen Eltern mit der Pubertät ihrer Kinder zurecht
Was tun, wenn alle Erziehungsbemühungen an ihre Grenzen zu stoßen scheinen? Wenn Jugendliche ihre Konflikte mit Eltern und Gesellschaft provozierend und aggressiv austragen?
Jedes Kind reagiert anders auf das Einsetzen der hormonellen Umstellung. Unerwartet und unvorhersehbar treten Veränderungen auf, wenn Jugendliche ihre Körperlichkeit, wenn sie Liebe und Sexualität entdecken, wenn sie auf dem Weg zur Reife die Suche nach ihrem eigenen Ich als Konfrontation mit der Welt der Erwachsenen erleben.
Wie reagiert man, wenn jugendliche in Berührung mit Sekten oder Kriminalität kommen, wenn emotionale und soziale Abhängigkeiten, wenn Alkohol und Drogensucht, ja sogar Gefahren für Leib und Leben drohen? Auch wohlmeinende Eltern sehen ihr Kind plötzlich auf dem Weg in die Verwahrlosung.
Der Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Max H. Friedrich, der selbst in der Jugendpsychotherapie tätig und als Buchautor bekannt geworden ist, versucht, den Eltern wie der Gesellschaft ein besseres Verständnis für die Probleme von Kinder und jugendlichen zu vermitteln und so den jugendlichen diese schwierige Lebensphase, die auch für gehörige Verwirrung bei Erwachsenen sorgt, zu erleichtern.
Scheidungsrecht auf Abwegen
Der renommierte Kinderpsychiater Max Friedrich hat in der Debatte um die gemeinsame Obsorge mehrfach seine Bedenken auf politischer Ebene geltend gemacht. Vergeblich: Am Dienstag passierte der Entwurf den Ministerrat. Hier sein Befund - der darauf zielt, dass das viel zitierte "Wohl des Kindes" auch zu seinem Recht kommt. Jetzt wird sie also wohl beschlossen werden, die gemeinsame Obsorge. Ein jahrzehntelanger Streit wird damit, wie ich meine, zum Nachteil der betroffenen Kinder gelöst - und zur Freude jener Eltern, denen es im Umgang mit Rechten und Pflichten an der nötigen Trennschärfe mangelt. Das Scheidungskind hat ein Recht auf beide Eltern - nicht der anwaltlich jeweils besser vertretene Elternteil auf das Kind.
Das viel zitierte "Kindeswohl" ist, wenn man sich pflegschaftsrechtlich darum bemühen will, wohl definiert. Dazu ist es nötig, das Kind ganzheitlich und seiner jeweiligen Entwicklungsphase entsprechend zu betrachten:
Was das körperliche Wohl betrifft, steht wohl außer Streit, dass lebensalterspezifische, gesundheitliche Prävention ebenso garantiert sein muss wie der Zugang zu allen Formen medizinischer Behandlung. Schon beim intellektuellen Kindeswohl scheiden sich jedoch die Geister - wenn man davon ausgeht, dass bestmögliche Förderung nicht nur auf schulische Fertigkeiten zielt, sondern auf die generelle Unterstützung des kreativen Potenzials. Letzteres bedarf der behutsamen Pflege auf der Grundlage von Interesse; Überforderung steht einer optimalen Förderung entgegen. Das emotionale Kindeswohl basiert auf Harmonie und einem vielfältigen Werteangebot, das gegenwärtig zwar politisch beschworen, de facto allerdings zunehmend eingeengt wird. Emotionale Ausgeglichenheit setzt seitens der Eltern ein Mindestmaß an Verlässlichkeit voraus, die das Urvertrauen des Kindes in die Eltern stärkt. Gesetzlich oktroyierte Gemeinsamkeit wird diese Forderung sicher nicht erfüllen, da das Seelenleben grundsätzlich kein Exerzierfeld für Anordnungen und Befehle ist.
Wer vermeint, Generalprävention im Pflegschaftsrecht durch Auflagen an die Eltern signalisieren zu wollen, geht an der Realität vorbei. Prävention ist ein gesellschaftspolitischer Auftrag über Legislaturperioden hinweg, also ein Generationenauftrag.
Dazu bedarf es der Aufklärung, der intensiven Diskussion, des Überdenkens von Rahmenbedingungen - hinsichtlich der Situation alleinerziehender Mütter, der ökonomischen Machtdominanz der Väter und dergleichen mehr. Das soziale Kindeswohl ist unter anderem durch die Erziehung zu Gemeinschaftsgefühl, moralischer Urteilsfähigkeit sowie zu sozialer Ein-und Weitsicht bestimmt. Wie soll dieses hoch komplizierte Erziehungskonstrukt aber gelingen, wenn der Konflikt der Eltern genau in diesem Bereich gesetzlich vorprogrammiert wird? Kränkung und Trotz, Verärgerung und verbale wie auch manchmal körperliche Aggression stehen der Entwicklung von Gemeinschaftsgefühl entgegen. Das Kind empfindet sich als Auslöser wie auch als Opfer dieser Blockaden.
Trickreiche Anwaltsfinten und ökonomische Übervorteilung des "Gegners" lassen das Kind an der moralischen Urteilsfähigkeit der Erwachsenenwelt zweifeln. Und an deren soziale Einsicht glaubt ein Scheidungskind ohnehin kaum. Aufgrund seines Vertrauen und seiner Liebe zu beiden Eltern gerät es zwangsläufig in einen Loyalitäts-, zugleich aber auch in einen Rollenkonflikt, indem es als Spion/Ersatzpartner/Seelentröster fungieren muss.
Und jetzt kommen die Politiker und Legisten! Die wissen schließlich ganz genau - wie sich ja in der Vielzahl von Scheidungsverfahren zeigt -, was Kinder wirklich brauchen: "Kind versus Ökonomie" steht auf ihrer Agenda, der Wettkampf um die Aufteilung der Winterreifen des Autos und des Hochglanz-Stahlgeschirrs hochgerechnet auf die Verlängerung der Besuchsrechtzeiten.
Was will die gemeinsame Obsorge eigentlich, was derzeit nicht möglich wäre? Schulwahl, Reisepass, Genehmigung von Auslandsreisen ... dieser Katalog ist rasch erschöpft - wienerisch ausgedruckt: Wenn's geht, geht's - wenn nicht, nicht.
Anders gefragt: Was spricht eigentlich dagegen, nach einer Scheidung eine einjährige "Abkühlungsfrist" vorzusehen, um die soziale Zukunft der Restfamilie zu klären - außer dass dieser kluge Vorschlag von einem nicht mehr im Amt befindlichen Justizminister kommt?
Vor allem aber: Wer denkt eigentlich an das Recht des Kindes und stellt diesem im Scheidungsfall konsequenterweise einen Anwalt zur Verfügung, der die Respektierung bestimmter Erwartungen des Kindes auch einfordern kann - etwa wenn der Vater wieder einmal am Sonntagmorgen ungewaschen, restalkoholträchtig und um Stunden zu spät vor der Tür steht oder Ähnliches mehr.
Ein Scheidungsanwalt für Kinder muss her, nicht bloß, wie jetzt vorgesehen, ein "Besuchsbegleiter" - vorausgesetzt, dem jeweils dominanten Elternteil geht es nicht primär darum zu gewinnen, sondern tatsächlich das Wohl seiner Kinder zu garantieren.
Bleibt nur die Hoffnung, dass die österreichischen Abgeordneten bei der für Mitte Oktober anberaumten Parlamentssitzung ohne Klubzwang und ohne Ansehen ihrer eigenen Familiengeschichte abstimmen: im Namen und im Interesse der Kinder - auch wenn die erst in ein paar Jahren "Stimmen bringen".
(DER STANDARD, Donnerstag, 28. September 2000, Seite 35)
Quellen: http://www.univie.ac.at/neuropsychiatrie/Buch/pubert.htm
http://www.derstandard.at/Textversion/20000928/172.htm
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