"Heute kann ich mich einfach nicht konzentrieren!"

 

 

*) Der Text, den Hans-Jürgen lesen musste, ist der Beginn der Erzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" von Friedrich Schiller, der diese "wahre Geschichte" 1786, also etwa zur gleichen Zeit wie sein berühmtes Drama "Die Räuber" schrieb.

Hans-Jürgen hatte das Gefühl, dass die Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen begannen. Schon seit einer halben Stunde saß er nun vor der Erzählung, die der Deutschlehrer zum Lesen aufgegeben hatte. Hans-Jürgen richtete sich auf und versuchte, sich an den Anfang des Textes zu erinnern. Kopfschüttelnd blätterte er zurück und las:

"In der ganzen Geschichte des Menschen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist als die Annalen seiner Verirrungen. Bei jedem großen Verbrechen war eine verhältnismäßig große Kraft in Bewegung. Wenn sich das geheime Spiel …"

Hatte er das denn schon gelesen? Es kam ihm vor, dass er die Wörter zwar irgendwie las, gleichzeitig aber seine Gedanken mehr zwischen den Zeilen liefen.

"Wenn sich das geheime Spiel der Begehrungskraft bei dem matteren Licht gewöhnlicher Affekte versteckt, so wird es im Zustand gewaltsamer Leidenschaft desto hervorspringender, gewaltsamer, lauter: der feinere Menschenforscher, welcher weiß, wieviel … Menschenforscher, welcher weiß, wieviel man auf die Mechanik der gewöhnlichen Willensfreiheit eigentlich rechnen darf und wie weit …"*)

Nein, es hatte keinen Sinn. "Heute kann ich mich einfach nicht konzentrieren!" murmelte Hans-Jürgen und legte das abgegriffene Reclamheft beiseite. "Diese komische Sprache … irgendetwas stimmt heute nicht!"

Dabei hatte Hans-Jürgen nie Schwierigkeiten mit komplizierten Texten und eigentlich las er auch gerne.

Warum kann sich Hans-Jürgen nicht konzentrieren?


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