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Achtsamkeitstherapie

Der Buddhismus lehrt Achtsamkeit seit Jahrtausenden, wobei im Grunde Achtsamkeit nichts anderes bedeutet, als im Hier und Jetzt zu leben und aufmerksam jeden Moment wahrzunehmen. Wer achtsam durchs Leben geht, lebt völlig in der Gegenwart, es zählt das Hier und Jetzt, der aktuelle Augenblick, nicht die Zukunft oder Vergangenheit. Achtsame Menschen sind daher offen und neugierig, sie beurteilen weder Gedanken noch Empfindungen und haben weniger Stress, denn Studien bestätigen, dass Achtsamkeitstraining die innere Anspannung reduziert und zahlreiche psychische Beschwerden lindern kann. Dabei werden unter dem Begriff Achtsamkeitstraining verschiedene Methoden zusammengefasst, mit deren Hilfe versucht wird, Belastungssituationen besser zu bewältigen und Stress abzubauen. Aber auch den Umgang mit einer bestehenden Krankheit kann man durch Achtsamkeitstraining verbessern, indem es letztlich das Wohlbefinden und die Lebensqualität fördert. Ein spezielles Achtsamkeitstraining (Mindfulness Based Stress Reduction) wurde von Jon Kabat-Zinn (1990) auf der Basis der Lehren des Buddhismus, die auf die westliche Welt angepasst wurden, als Programm zur Stressbewältigung entwickelt. Neben diesem Programm der "Mindfulness-based stress reduction" hat auch die "Mindfulness-based cognitive therapy" zur Rückfallprophylaxe bei Depressionenvon Segal, Williams & Teasdale (2002) einige Tradition, wobei beide den deutlichsten Bezug zu der ursprünglich meditativen Tradition aufweisen und daher als Klassiker der achtsamkeitsbasierten Verfahren gelten.

Kabat-Zinn (1990, S. 21) definiert Achtsamkeit (mindfulness) als eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung, wobei die Aufmerksamkeit absichtsvoll und nicht-bewertend auf das bewusste Erleben des gegenwärtigen Augenblicks gerichtet ist. Oftmals ist die alltägliche Aufmerksamkeit der Menschen aber nicht im gegenwärtigen Augenblick, sondern sie neigen vielmehr dazu, in der Vergangenheit zu schwelgen oder Zukunftspläne zu schmieden, sodass das Lebendige der Hier-und-Jetzt-Erfahrung verloren geht: "...we are really on ‘automatic pilot’, functioning mechanically, without being fully aware of what we are doing or experiencing". Achtsamkeit bedeutet sich dem zuzuwenden, was im Hier-und-Jetzt gegeben ist – den gegenwärtigen Moment in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken („Wenn ich esse, dann esse ich“; „Wenn ich dusche, dann dusche ich“) und somit Körper und Geist in Übereinstimmung zu bringen. Dieser Prozess der Aufmerksamkeitslenkung erfolgt absichtsvoll im Sinne einer bewussten Entscheidung, sich beim Abschweifen immer wieder in die Gegenwart zurückzuholen.

Achtsamkeit wird in der Therapie meist als ein übergreifendes Prinzip verstanden, welches das therapeutische Handeln während der gesamten Behandlungszeit prägt. Die Entwicklung innerer Achtsamkeit findet oft neben Trainings zur Verbesserung der interpersonellen Wirksamkeit, dem gezielten Üben der Emotionsregulierung und der Erhöhung der Stresstoleranz statt, was auch in regelmäßig zusammenfindenden Gruppen stattfinden kann. Achtsamkeit wird an Hand von Instruktionen, Metaphern, Modelllernen, dem Einsatz operanter Elemente wie Zuwendung und Lob sowie durch Hausaufgaben vermittelt. Da Klienten ihre Aufmerksamkeit zu Beginn häufig nicht lange aufrechterhalten können, dauern die ersten Achtsamkeitsübungen oft nicht länger als 30 Sekunden bis zu einer Minute. Über einen Zeitraum von acht Wochen werden zeitlich ausgedehnte, intensive Meditationsübungen (bis zu 45 Minuten) durchgeführt, die von den Klienten auch regelmäßig als Hausaufgabe praktiziert werden sollen.

Viele Menschen sehen die Dinge nicht mehr so, wie sie sind, sondern so, wie sie denken, dass sie sind. Mit Achtsamkeit ist also eine Haltung gemeint, bei der die Aufmerksamkeit in nicht wertender Art und Weise auf den gegenwärtigen Augenblick gerichtet ist, wodurch mit der Zeit die Wahrnehmung geschärft wird für das, was ist und nicht, was sein soll. Es geht also um das positive Annehmen der Realität, ohne diese zu werten oder zu verzerren. Achtsamkeitstraining erfordert tägliches Üben, wobei die Trainingsinhalte auch Yoga- und Körperübungen, Übungen zur Integration von Achtsamkeit in den Alltag wie das Wahrnehmen von Gedanken und Gefühlen und den Umgang mit ihnen oder das Führen von achtsamen Dialogen umfassen. Bei achtsamkeitsinformierten Ansätzen handelt es sich meist um multimodale Behandlungsverfahren, in denen Achtsamkeit und Akzeptanz neben anderen Fertigkeiten und Behandlungselementen gezielt vermittelt werden, wobei auf ausgedehnte formelle Meditationsübungen meist verzichtet wird. Achtsamkeitsbasierte Ansätze werden in der Psychotherapie, insbesondere im Bereich der Verhaltenstherapie, zunehmend angewendet und erforscht.

Achtsamkeitstrainings werden nicht nur bei der Stressreduktion angwendet, sondern finden auch bei Angst- und Panikstörungen, Depressionen, Schmerzen, chronischen Erkrankungen, Schlafstörungen, Suchterkrankungen, Traumata oder Persönlichkeitsstörungen Anwendung.

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Achtsamkeit kann auch egoistischer machen

Achtsamkeit und Meditation reduzieren Stress und Angst und steigern das emotionale Wohlbefinden von Menschen, doch sind die zwischenmenschlichen Auswirkungen weniger klar. Zwei Studien von Poulin et al. (2021) untersuchten, ob sich die Auswirkungen von Achtsamkeit auf prosoziales Verhalten je nach Selbst-Konstrukt unterscheiden. Dafür wurde zunächst einmal untersucht, wie unabhängig oder abhängig sich die ProbandInnen von anderen Menschen fühlen, und anschließend wurde eine Achtsamkeitsübung vorgegeben, wonach sie am Ende des Experiments an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden sollten. Dabei zeigte sich, dass Menschen, die als unabhängig eingestuft wurden, sich weniger prosozial verhielten als die abhängigen Teilnehmer. Diese kurze Achtsamkeitsinduktion führte also zu vermindertem prosozialen Verhalten.

Bei der zweiten Studie wurden die ProbandInnen gebeten, sich für eine kurze und effektive Achtsamkeitsübung zu entscheiden, die ihnen helfen sollte sich entweder als unabhängiger oder abhängiger zu betrachten. Dabei waren das Achtsamkeitstraining und das Kontrollverfahren gleich wie in der ersten Studie, doch wurden die ProbandInnen diesmal gefragt, ob sie sich für einen Online-Chat mit potenziellen Spendern anmelden würden, um Geld für eine wohltätige Organisation zu sammeln. Bei denen, die sich unabhängig fühlen, war die Bereitschaft freiwillig zu helfen um ein Drittel gesunken, während diese bei den als abhängig geltenden Teilnehmern um 40 Prozent stieg. Die Auswirkungen von Achtsamkeit auf prosoziales Verhalten scheinen demnach von den weiter gefassten sozialen Zielen der Individuen abzuhängen.

Achtsamkeitspraktiken können Menschen daher auch egoistischer machen, und zwar steigert Achtsamkeit prosoziale Handlungen bei Menschen, die sich selbst eher als abhängig betrachten. Bei Menschen, die sich eher als unabhängig betrachten, verringert Achtsamkeit jedoch tatsächlich prosoziales Verhalten.


An der Universitätsklinik in Graz gibt es für chronisch Kranke (Rheuma, Asthma, entzündliche Darmerkrankungen) das Angebot, an einer "Coping School" teilzunehmen, ein Mindfulness Based Stress Reduction-basiertes Programm zur Verbesserung der Krankheitsbewältigung.


Quellen

http://www.forumgesundheit.at/ (11-05-04)

http://www.nachrichten.at/ratgeber/gesundheit/forumgesundheit/art12300,628135 (11-05-22)

Literatur

Gmerek, S. (2009). Achtsamkeitsbasierte Ansätze in der Psychotherapie von Abhängigkeitsstörungen. Bachelorarbeit. Hochschule Magdeburg-Stendal.

Heidenreich, T. & Michalak, J. (2009). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie – Eine Einführung. In T. Heidenreich & J. Michalak (Hrsg.), Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie: Ein Handbuch (S. 11-24). Tübingen: DGVT-Verlag.

Kabat-Zinn, J. (1990). Full catastrophe living: Using the wisdom of your body and mind to face stress, pain, and illness. New York: Delta.

Poulin, M., Ministero, L., Gabriel, S., Morrison, C. & Naidu, E. (2021). Minding your own business? Mindfulness decreases prosocial behavior for those with independent self-construals. Psychological Science, doi:10.31234/osf.io/xhyua.

Segal, Z., Williams, M. & Teasdale, J. (2002). Mindfulness-based cognitive therapy for depression: A new approach to preventing relapse. New York: Guilford.

Überblick über einige Psychotherapierichtungen und -schulen



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