[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Neuere Ansätze in der Entwicklungspsychologie

Entwicklung durch herausfordernde Probleme, Krisen und Ereignisse im Lebenslauf

Die Struktur von Entwicklungsaufgaben

Probleme, Krisen und belastende Ereignisse haben in der Entwicklungspsychologie immer eine Rolle gespielt, allerdings mehr in der Erklärung von Entwicklungsstörungen als in der Erklärung positiver Entwicklungsverläufe. Freud machte bekanntlich traumatische Erfahrungen in der Kindheit für die Entwicklung von Neurosen und anderen Formen der Psychopathologie im späteren Leben verantwortlich. Als auslösende Bedingungen (bei gegebenen prädisponierenden Bedingungen) wurden von verschiedenen Autoren Niederlagen, Verluste und Problembelastungen angesehen. Eine Häufung kritischer Lebensereignisse, das sind Ereignisse, die eine Umstellung von Lebensplänen und Handlungsroutinen notwendig machen (wie z.B. Krankheiten, finanzielle Verluste, Unfälle, Berufswechsel, aber auch Eheschließung, Geburt eines Kindes) glaubten manche als Auslöser von Depressionen und anderen Formen der Psychopathologie nachweisen zu können. In dieser Sicht steht der Stress, die Überforderung durch ein Problem oder Ereignis im Vordergrund. Der Stress bleibt hoch, wenn keine angemessene Lösung oder Anpassung an die veränderte Situation gelingt.

Daß Probleme, Krisen und belastende Ereignisse auch positive Entwicklungsfolgen haben wenn die Betroffenen Lösungen finden, liegt auf der Hand. Probleme und Krisen, auch Verluste und Niederlagen können als Anforderungen und Herausforderungen wirken, deren Meisterung Kompetenzgewinne und Gewinne an Selbstvertrauen bedeuten können. Das Konzept der Krise wird immer dann benutzt, wenn eine Person nicht fähig oder nicht bereit ist, das gegebene Problem zu lösen und wenn sie gleichzeitig durch das bestehende Problem emotional belastet ist.

Die meisten Probleme lassen sich einer der folgenden drei Kategorien zuordnen:

Entwicklungsprobleme und -krisen haben Auswirkungen auf das Leben und die Lebenspläne einer Person. Viele Probleme und Krisen werden noch lange erinnert als traumatische Ereignisse, als große Herausforderungen oder als Wendepunkte, die dem Leben eine neue Richtung gaben, eine Reorganisation der Lebenspläne notwendig machten und aus denen man vielleicht mit neuem Selbstkonzept und neuer Weltsicht hervorging. Die Veränderungen können Gewinne darstellen und sie können Störungen verursachen. Gewinne werden erwartet, wenn die Probleme und Krisen gemeistert werden. Es ist eine verbreitete Idee, daß wesentliche Veränderungen und Wachstum in der menschlichen Entwicklung aus einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit Problemen und Krisen resultieren und daß ein neues Niveau der intellektuellen, sozialen und persönlichen Organisation erreicht werden kann.

Gehirne von Heranwachsenden arbeiten unterschiedlich

Männer und Frauen denken unterschiedlich, nicht nur inhaltlich, sondern auch biologisch. Forscher der State University of New York haben nachgewiesen, dass die Gehirne heranwachsenden Jungen anders arbeiten als die von Mädchen. 
Sie nutzen für die Erkennung von Gesichtern und die Identifizierung von Gesichtsausdrücken verschiedene Gehirnbereiche. Jungen lösen derartige Aufgaben eher mit der rechten Hirnhälfte, Mädchen eher mit der linken. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Gehirne der beiden Geschlechter vor dem Erwachsensein unterschiedlich organisiert sind. Nach Gehirnverletzungen könnten daher auch verschiedene Behandlungsmethoden sinnvoll sein. 
Das Team um D. Erik Everhart untersuchte 17 Jungen und 18 Mädchen im Alter von acht und elf Jahren. Beide Gruppen mussten zwei verschiedene Arten von Aufgaben lösen. Für die Überprüfung der Erkennung von Gesichtern waren bestimmte Gesichter in einer Reihe wechselnder Bilder zu identifizieren. Mittels eines elektroenzephalografischen Messgerätes (EEG) wurde in der Folge die Aktivität der Gehirnwellen in der rechten und der linken Hirnhälfte untersucht.  Bei der Erkennung des Gesichtsausdrucks zählten Richtigkeit und Geschwindigkeit der Antworten. Jungen und Mädchen lösten die Aufgaben gleich gut. Sie scheinen allerdings verschiedene, sich fallweise überlappende Gehirnbereiche für die Verarbeitung der Informationen einzusetzen. 

http://www.rp-online.de/news/wissenschaft/2001-0709/gehirne_geschlecht.html (01-08-19)

"Geschlechtstypisches" Spielzeug?

Kinder können etwa ab dem zweiten Lebensjahr Mann und Frau unterscheiden, doch bereits vorher lässt sich unterschiedliches Spielverhalten beobachten, wobei Sozialisation zwar einen Einfluss hat, aber nicht alles erklären kann. So haben Studien gezeigt, dass das geschlechtstypische Spielverhalten universell ist, denn überall auf der Welt lässt sich bei den beiden Geschlechtern ähnliches Spielverhalten beobachten, obwohl Rollenmodelle überall anders gelebt werden. Werden etwa frisch geborenen weiblichen Ratten männliche Hormone verabreicht, hat sich ihr Spielverhalten von jenem anderer weiblichen Tiere unterschieden, denn ihr Verhalten war aggressiver.  Im übrigen finden sich einige dieser Unterschiede auch bei Primaten, wobei der Anteil männlicher Hormone schon im Mutterleib mit dem späteren Spielverhalten in Verbindung stehen dürfte. Ist etwa bei Mädchen oder Frauen die Produktion männlicher Geschlechtshormone krankheitsbedingt stark erhöht ist (adrenogenitales Syndroms), wird ein eher männliches Spielverhalten gezeigt. Hormone haben daher einen Einfluss, können aber nicht alles erklären.

Dass Mädchen eher mit Puppen und Knaben lieber mit Autos spielen ist nicht nur gesellschaftlich programmiert, sondern teilweise angeboren. Alexander & Hines (2002) untersuchten experimentell das Spielverhalten grüner Meerkatzen. Die Vorlieben der Primaten deckten sich mit denen menschlicher Kinder, denn männliche Affen spielten ausgiebiger mit typischem Bubenspielzeug wie Autos oder Bällen, während sich weibliche Tiere länger mit Puppen und Kochtöpfen beschäftigten. Bei geschlechtsneutralem Spielzeug wie Bilderbüchern oder Stofftieren fanden sich keine Unterschiede. Die Ursache könnte in traditionellen weiblichen und männlichen Funktionen begründet sein, die schon in präistorischer Zeit wichtig waren. So haben typische Bubenspielzeuge bestimmte Eigenschaften gemeinsam, denn Ball und Auto sind dafür gedacht, aktiv durch den Raum bewegt zu werden. Diese Bewegungsfähigkeit des Spielzeugs könnte Navigationsfähigkeiten fördern, die im späteren Leben nützlich für die Jagd, die Futter- oder die Partnersuche sind.

2010 führten Jadva, Hines & Golombok eine weitere Untersuchung durch, bei der man insgesamt 120 Babies im Alter von 12 bis 24 Monaten Spielzeug zeigte. Die Dauer der visuellen Fixierung wurde dabei als Interessenkriterium verwendet, wobei sich ebenfalls herausstellte, dass Mädchen länger auf Puppen und Knaben lieber auf Autos blickten. Da die Kinder zu klein waren, um bereits von ihrem Umfeld nachhaltig in dieser Richtung beeinflusst worden zu sein, führt Hines das Verhalten der Babies auf unterschiedliche neuronale Prioritäten zurück. Da Buben bereits in diesem Alter ein ausgeprägteres räumliches Vorstellungsvermögen besitzen, interessierte sie offensichtlich jenes Spielzeug mehr, das durch den Raum geschoben und gerollt werden konnte.

Noch wenig geklärt ist, woher die Ursprünge der Bevorzugung von geschlechterspezifischen Spielsachen durch Buben und Mädchen kommen und welche Entwicklungsprozesse diesem Verhalten zu Grunde liegen. So wurde in britischen Kinderkrippen (Todd et al., 2016) beobachtet, dassin drei verschiedenen Altersgruppen stereotype Spielzeugpräferenzen bei Buben und Mädchen vorliegen, diese sehr früh im Entwicklungsprozess auftreten: Vierzig der Krippenkinder waren zwischen neun und 17 Monaten alt, ein Alter in dem Kleinkinder erstmals in der Lage sind, Spielzeug selbst auszuwählen, 29 Kinder hatten ein Alter von 18 bis 23 Monaten, eine Zeit, in der Kinder wichtige Fortschritte im Geschlechtsbewusstsein machen, und 32 Kinder waren mit 24 bis 32 Monaten in einem Alter, in dem sich das Geschlechtsbewusstsein tiefer verankert. Die verwendeten Spielzeuge waren eine Puppe, ein Kochtopf und ein rosa Teddy bzw. ein Auto, ein Bagger, ein Ball und ein blauer Teddy.

Literatur

Alexander, G. M. & Hines, M. (2002). Sex differences in response to children's toys in nonhuman primates (Cercopithecus aethiops sabaeus). Evolution and Human Behavior, 23, pp. 467-469.

Jadva, V., Hines, M. & Golombok, S. (2010). Infants' preferences for toys, colors, and shapes: sex differences and similarities. Arch Sex Behav 39, pp. 1261-73.

Todd, B. K., Barry, J. A., & Thommessen, S. A. O. (2016) Preferences for ‘Gender-typed’ Toys in Boys and Girls Aged 9 to 32 Months. Inf. Child. Dev., doi: 10.1002/icd.1986.

 

Entwicklungstheorien, die sich lediglich auf die kognitive, emotionale, Moral- oder kommunikative Entwicklung konzentrierten, haben die Variabilität und Komplexität vielfältiger Faktoren innerhalb der Kindesentwicklung sowie die Interaktion dieser Faktoren im Entwicklungsverlauf wenig berücksichtigt. Zwar nehmen die wichtigen Theorien des 20. Jahrhunderts, zurückgehend auf Freud, Piaget oder Pawlov, einen wichtigen Platz innerhalb der Psychologie nehmen, beeinflussen jedoch kaum noch die aktuellen Forschungstrends und auch wenig die aktuelle Praxis.

Nach neueren systemisch-orientierten Entwicklungstheorien kann man Entwicklung als einen Prozeß qualitativer Neuorganisationen innerhalb und zwischen verschiedenen Systemen betrachten. Dieser Prozeß beinhaltet dynamische Interaktionen vielfältiger (biopsychosozialer) Faktoren auf unterschiedlichen (System-)Ebenen, so daß eine Synthese der Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen sinnvoll erscheint. Veränderungen auf einer Ebene der Organisation (z.B. kognitive Entwicklungsfortschritte) sind reziprok verknüpft mit Veränderungen auf anderen Ebenen (z.B. Veränderungen im Erziehungsverhalten der Eltern). Diese reziproken Veränderungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Organisation stellen sowohl das Resultat als auch die Quelle weiterer reziproker Veränderungen auf den jeweiligen Ebenen dar. So beeinflußt beispielsweise das elterliche Erziehungsverhalten die Persönlichkeits- und kognitive Entwicklung des Kindes. Interaktionen zwischen Persönlichkeitsfaktoren des Kindes und seiner kognitiven Entwicklung prägen seine Identität und Persönlichkeit, die wiederum das Verhalten der Eltern und das familiäre Klima beeinflussen.

Ein solcher Ansatz betont somit die aktive Rolle des Individuums in der Entwicklung über die Lebensspanne. Das Individuum steht in einer dynamischen Interaktion mit vielfältigen Faktoren in seiner Umwelt, in die es eingebettet ist. Diese Person-Umwelt-Interaktionen stellen die Quelle sowohl positiver als auch negativer Veränderungen und Entwicklungen dar, und die Entwicklung über die gesamte Lebensspanne geht mit einer relativen Plastizität einher.

Entwicklung verläuft dabei nicht als kontinuierlicher Prozeß, vielmehr lassen sich in der Entwicklung oftmals Diskontinuitäten oder plötzliche Entwicklungssprünge, aber auch mit fortschreitender Entwicklung der Verlust bestimmter Reflexe oder Fertigkeiten ermitteln. Diese Phänomene können im Rahmen der organisationalen, systemisch-orientierten Entwicklungstheorie mit Hilfe von Selbstorganisationsprozessen eingeordnet werden. Demnach kann man Entwicklung als spontanes Auftreten von Funktionen höherer Ordnung nach wiederkehrenden Interaktionen zwischen Funktionen einfacherer Ordnung verstehen. Nach Thelen und Smith beispielsweise führen wiederholte Interaktionen zwischen muskulären und Wahrnehmungsabläufen innerhalb der motorischen Entwicklung eines Kindes zu koordinierten Handlungen, die beispielsweise der Fertigkeit des Laufens unterliegen. Neuorganisationen treten in Phasen von Instabilität als phasenhafte Transitionen auf, so daß bisherige Muster aufbrechen und neue in Erscheinung treten. Dabei erreichen die Systeme zunehmend eine höhere Komplexität. Neue, komplexere Ebenen werden in der Entwicklung diskontinuierlich erreicht, was sich im Konzept der Entwicklungsstufen widerspiegelt.

Übrigens ist die motorische Entwicklung derjenige Bereich, der für die ersten beiden Lebensjahre am besten untersucht und beschrieben wurde, denn sie folgt einer typischen Ordnung und ist überwiegend reifungsabhängig. Umgebungs- und Übungsfaktoren spielen teilweise eine eher untergeordnete Rolle, wobei dennoch eine erhebliche interindividuelle Variabilität im erstmaligen Auftreten von bestimmten Meilensteine besteht. Auch für Eltern und Fachleute ist es besonders einfach, motorische Kompetenzen zu erkennen und in vorhandene Normtabellen einzuordnen, weshalb diese in Verfahren  zur  Entwicklungsbeurteilung  in  den  ersten  beiden  Lebensjahren  meist einen  großen Raum einnehmen (vgl. Pauen & Vonderlin, 2007, S. 3).

Literatur

Pauen, Sabina & Vonderlin, Eva (2007). Entwicklungsdiagnostik in den ersten drei Lebensjahren. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.

Siehe auch Die Psychologie des Jugendalters - Ein historischer Überblick

Studie untersucht Erblichkeit bei Zwillingen - Verhalten und Vorlieben teilweise genetisch bedingt 

Verhalten ist erlernt. Eine kanadische Studie hat jetzt nachgewiesen, dass die Unterschiede in Verhalten und Vorlieben in vielen Fällen teilweise auch auf genetische Faktoren zurückzuführen sind. Dabei reicht die Bandbreite von Fahrten mit der Achterbahn bis zu sozialen Streitfragen wie der Einstellung gegenüber Abtreibungen und der Todesstrafe für Mord.  Die Wissenschaftler James M. Olson, Philip A. Vernon und Julie Aitken Harris von der University of Western Ontario befragten gemeinsam mit Kerry L. Lang von University of British Columbia 336 Paare erwachsener ein- und zweieiiger Zwillinge. 

Durch das Vergleichen der Antworten der eineiigen und zweieiigen Teilnehmer auf Verhaltensfragen konnten die Wissenschaftler festlegen, welche Verhaltensweisen durch genetische Faktoren stärker beeinflusst werden. Von den 30 Punkten der Befragung zu individuellen Haltungen zeigten 26 einen genetischen Einfluss.  Die stärkste Verbindung zeigte sich bei folgenden fünf Punkten: Bücherlesen, Abtreibung ohne Einschränkungen, organisierter Sport, Fahrten mit der Achterbahn und die Todesstrafe für Mord. Die vier Punkte ohne genetischen Einfluss waren die Haltung gegenüber verschiedenen Rollen für Männer und Frauen, Bingospielen, leichter Zugang zur Geburtenregelung und das Energischsein. 

Bei der Einordnung der einzelnen Punkte in Kategorien zeigten drei Faktoren den größten genetischen Einfluss. Dazu gehörte die Haltung zur Bewahrung des Lebens, zu Gleichheit und zur Sportlichkeit. Zu den Faktoren mit dem geringsten genetischen Einfluss gehörte die Haltung gegenüber intellektuellem Streben. Nachdem direkte Verbindungen zwischen Gen und Haltung extrem unwahrscheinlich sind, suchte das Team nach anderen Erklärungen. 

Es stellte sich heraus, dass verschiedene Persönlichkeitseigenschaften und verwandte Charakteristika eine Rolle spielen könnten. Besonders Geselligkeit zeigte eine starke genetische Verbindung mit verschiedenen Einstellungen. Sportliche Fähigkeiten und körperliche Attraktivität führten ebenfalls zu deutlichen genetischen Verbindungen mit bestimmten Vorlieben.

Vermutlich prädisponierten diese Charakteristiken Menschen dafür, ein bestimmtes Verhalten auszubilden und trugen dadurch zu der genetischen Bestimmung von individuellen Unterschieden in diesem Verhalten bei. Zum Beispiel dürfte ein Mensch mit ererbten sportlichen Fähigkeiten wie guter Koordination und Kraft sportlich erfolgreicher sein.  Das könnte in der Folge zur Ausbildung einer positiven Haltung zum Sport führen." Es dürfe dabei jedoch nicht vergessen werden, dass die individuellen Erfahrungen jedes Zwillings den meisten Einfluss auf das Verhalten hatte. 

Quelle: http://www.rp-online.de/news/wissenschaft/2001-0618/verhalten.html

     

 Literatur
Oerter, Rolf & Montada, Leo (Hrsg.) (1995). Entwicklungspsychologie. Weinheim: PVU.



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