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Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen

Einleitung

Die Zeit des Erwachsenwerdens ist stets auch eine der gesellschaftlichen Integration, wobei jene kulturell und gesellschaftlich vorgegebenen Erwartungen und Anforderungen, die an Personen einer bestimmten Altersgruppe gestellt werden, sich als zu lösende Entwicklungsaufgaben darstellen. Diese fungieren zugleich als Orientierungs- und Bezugssysteme, innerhalb derer die personelle und soziale Identität entwickelt werden soll, d.h., ihnen wohnt auch eine normative Komponente inne.

Zu den zentralen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter zählt die Vorbereitung auf bzw. der Beginn einer beruflichen Laufbahn, wobei diese in der Regel persönlich und individuell in Bildungs- und Ausbildungssystemen zu bewältigen ist und für alle Personen innerhalb einer bestimmten Kultur gilt. Ziel ist die Ausübung eines Berufes zur ökonomischen und sozialen Absicherung, die darüber hinaus ein Mindestmaß an persönlicher Entfaltung und gesellschaftlicher Anerkennung garantieren soll. Dreher und Dreher (1985) konnten in einer Untersuchung zeigen, dass die Mehrzahl der Jugendlichen um diesen hohen Stellenwert der Berufswahl und beruflichen Entwicklung auch Bescheid weiß.

Auf der Basis repräsentativer Stichproben aus den USA, Japan, Israel und fünf europäischen Ländern konnte eine Reihe von Belegen für die zentrale Bedeutung der Arbeit gefunden werden (vgl. Bergmann & Eder 1995, S. 2):

Insgesamt zeigt sich, dass zumindest zwei Drittel der Berufstätigen eine hohe Bindung an die Arbeit haben, die mit dem Alter eher noch zunimmt.

Wie man aus Studien (Kastner, Hagemann & Kliesch 2005) weiß, verbringen Arbeitslose zwei- bis dreimal mehr Zeit im Krankenhaus als Berufstätige und leiden überhäufig an Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems, der Psyche und des Verhaltens, des Atmungssystems, des Kreislauf- und des Verdauungssystems. Ebenfalls stark ausgeprägt sind Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen mit den spezifischen Folgeerscheinungen. Daraus ergeben sich zusätzliche Behinderungen, eine neue Beschäftigung zu finden. Selbst in einer neuen beruflichen Aufgabe bleibt der Gesundheitszustand häufig schlecht und gefährdet die gewonnene Arbeitssituation. Der gesamte Lebensrhythmus Arbeitsloser verlangsamt sich und mündet in einem Engerwerden der eigenen Welt. Die starke Auflösung der Zeit- und Alltagsstruktur vieler Arbeitsloser bedeutet u.a. eine Auflösung des Unterschiedes zwischen Freizeit und sinnvoller Beschäftigung, was dazu führen kann, dass weder in der Freizeit ausgespannt, noch in der restlichen Zeit anstehende Aufgaben bewältigt werden können. Auch diese Entwicklung behindert den Weg in ein aktives, effizientes Arbeitsleben. Hagemann et al. (2005) vom Institut für Organisationspsychologie der Universität Dortmund folgern aus ihren Untersuchungen, dass Arbeitslose in einem Verhaltenstraining geschult werden sollten, sinnvolle (z.B. karitative, ehrenamtliche) Aufgaben zu übernehmen.

Eine Oberösterreichische Jugendstudie (Ohne Autor 2000), in der oberösterreichische Jugendliche zwischen 11 und 25 Jahren befragt worden waren, bestätigte, dass die Themen Arbeitsplatz und Sicherheit der Arbeit für diese Altersgruppe am wichtigsten ist: 63% der befragten Jugendlichen erwarten sich von der Politik besondere Anstrengungen zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Damit liegt dieser Lebensaspekt noch vor dem Umweltschutz und Toleranz gegenüber Fremden.

Grundbildung als Schlüssel zur Arbeitswelt

In der Leo-Studie zum Alphabetisierungsgrad Erwachsener fand man, dass ein Drittel der Arbeitslosen funktionale Analphabeten sind, d.h., ihre schriftsprachlichen Kompetenzen reichen nicht aus, einfache Texte zu verstehen und zu schreiben, sodass ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Alltagsleben und an der Arbeitswelt massiv eingeschränkt sind. Im Detail können 4,5% der Erwerbstätigen nur einzelne Wörter lesen, verstehen und schreiben, nicht jedoch ganze Sätze, 10% können einzelne Sätze lesen und schreiben, nicht aber kürzere Texte wie Arbeitsanweisungen, mehr als 25% schreiben auch die gebräuchlichsten Wörter fehlerhaft. Insgesamt sind demnach 40% der deutsch sprechenden Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren nicht in der Lage, den gesellschaftlichen Erwartungen und Normen entsprechend mit Schriftsprache umzugehen (vgl. Döbert, 2011).

Neuer Trend: Verzicht auf Jobsuche

Die International Labour Organisation (ILO) prognostizierte 2012 den Industrieländern eine sinkende Jugendarbeitslosigkeit, da viele Jugendliche die Jobsuche aufgeben und statistisch nicht mehr erfasst werden. Zwar wird weltweit wird die Jugendarbeitslosigkeit weiter leicht zunehmen (von 12,7 Prozent auf 12,9 Prozent im Jahr 2017), aber in den USA und Europa wird sie von aktuell 17,5 Prozent bis 2017 auf 15,6 Prozent sinken. Immer mehr junge Menschen ziehen sich aus dem offiziellen Arbeitsmarkt zurück, weil es schwieriger wird, einen Job zu finden, geben also die Arbeitssuche schlicht auf, bleiben zu Hause bei den Eltern, lassen sich von diesen finanzieren und warten auf bessere Zeiten.

In dem Bertolucci-Film "La Luna" sagt ein junger Langzeitarbeitsloser:
"Ich hasse Arbeit, weil ich keine kriegen kann!"

 

 

Literatur:
Döbert, Marion (2011). Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland. Hintergründe und Kritik zu funktionalem Analphabetismus bei Erwachsenen. Psychologie & Gesellschaftskritik 135.
Kastner, Michael, Hagemann, Tim & Kliesch, Gesa (Hrsg.) (2005). Arbeitslosigkeit und Gesundheit. Arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung. Lengerich: Pabst Science Publishers.

Siehe dazu im Detail

Siehe zur Thematik auch
Stangl, Werner (2003). Jugendlich und arbeitslos ... Junge Kirche. Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendpastoral, Jg. 37., Heft 3/2003, S. 9-11.
WWW: http://www.junge-kirche.at/ (03-10-06)

Quellen und Literatur

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Beck, Ulrich (1986). Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt.
Bergmann, C. & Eder, F. (1995). Beruf und Berufsberatung. In L. von Rosenstiel, C.M. Hockel & W. Molt (Hrsg.), Handbuch der Angewandten Psychologie (S. V4, 1-15). München: Ecomed.
Bergmann Christian & Eder, Ferdinand (1999). Problemgruppen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Rohbericht zu einem Forschungsprojekt. Johannes Kepler Universität Linz.
Biffl, G. (1995). Jugendliche - Berufsqualifikation und Arbeitsmarkt (S. 370-381). In R. Sieder et al. (Hrsg.), Österreich 1945-1995. Wien. 
Blumberger, Walter (1999). Jugendliche mit Behinderungen in Österreich. 3. Bericht zur Lage der Jugend in Österreich. BM für Soziale Sicherheit und Generationen.
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Dreher, E. & Dreher, M. (1985). Entwicklungsaufgaben im Jugendalter: Bedeutsamkeit und Bewältigungskonzepte. In D. Liepmann & A. Stiksrud (Hrsg.), Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsprobleme in der Adoleszenz (S. 56-70). Göttingen: Hogrefe.
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Hurrelmann, K. (1992). Drogenkonsum als problematische Form der Lebensbewältigung im Jugendalter, in: Landesstelle gegen die Suchtgefahren in Baden-Württemberg der Liga der freien Wohlfahrtspflege: Zukunft der Suchtprophylaxe in Baden-Württemberg. Geesthacht.
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WWW: http://www.adecco-stiftung.de/pdf/11_KIESE.pdf (03-07-28)
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Ohne Autor (2000). OÖ. Jugendstudie 2000 LandesJugendReferat
WWW: http://www.ooe.gv.at/presse/archiv/LK/2000/LK2000-32_vom_8_Februar_2000.htm (01-07-28)
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Schmiel, M. & Sommer, K.H. (1992). Lehrbuch Berufs- und Wirtschaftspädagogik. München. Ehrenwirth.
14. Shell Jugendstudie (2002).
WWW: http://www.shell-jugendstudie.de/ (03-07-28).
Scholle, M. (1991). Übergangsprobleme Jugendlicher am Beispiel der Stadt Dortmund. In D. Brock, B. Hantsche, G. Kühlein, H. Meulemann, & K. Schober (Hrsg.), Übergänge in den Beruf. Zwischenbilanz und Forschungsstand (S. 92-99). München: Verlag Deutsches Jugendinstitut.
Stangl, Werner (2003). Jugendlich und arbeitslos ... Junge Kirche. Fachzeitschrift für Kinder- und Jugendpastoral, Jg. 37., Heft 3/2003, S. 9-11.
WWW: http://www.junge-kirche.at/ (03-10-06)



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