[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Moderne Medien stören das Einprägen und Lernen

People think they’re refreshing themselves, but they’re fatiguing themselves.
Marc Berman (University of Michigan)

Literatur

Holst, Christian (2012). Papier schlägt Bildschirm. Neurowissenschaftliche Studie zur Recall-Leistung von Print- und Online-Medien. Siegfried Vögele Institut.

Richtel, Matt (2010). Digital Devices Deprive Brain of Needed Downtime. http://www.nytimes.com/ 2010/08/2 /technology/25brain.html? _r=2& ref=technology (10-08-24)

Scheiter, K. & Gerjets, P. (2007). Learner Control in Hypermedia Environments. Educational Psychology Review, 19, 285–307.

Kommentar in der Presse vom 14. Oktober 2011

Um neue Erlebnisse zu verarbeiten, sie zu speichern und zu verarbeiten, etwa um etwas zu lernen, benötigt das menschliche Gehirn Zeit, und zwar eine Art Auszeit, in der es sich nicht mit anderen Dingen beschäftigen muss. Vor allem Kinder und Jugendliche werden durch die Vielzahl an permanent verfügbaren digitalen Geräten wie Handys oder Computerspielen an solchen schöpferischen Pausen gehindert, sodass es ihnen dadurch schwerer fällt, gerade Ereignetes länger zu merken oder daraus neue Ideen zu schöpfen.

Wenn das menschliche Gehirn ständig stimuliert wird, werden die Verarbeitungsprozesse verhindert, wobei das auch etwa für die Musikberieselung im Fitnesscenter oder Supermarkt gilt. sei problematisch, wenn etwa auf dem Laufband gleichzeitig Musik gehört, E-Mails am Handy gelesen und Ferngesehen wird. Wie eine Studie der University of Michigan gezeigt hat, führt ein Spaziergang in der freien Natur ohne viele sensorische Abwechslungen zu besseren Lernergebnissen führe als ein Spaziergang in der Stadt, in der man mit mehr Reizen konfrontiert ist.

An Ratten konnte übrigens in einem Labyrinthversuch der Universität Bochum gezeigt werden, dass das Gehirn bei virtuellen Erfahrungen auf die gleiche Weise wie durch aktive Erfahrungen lernen kann. Wenn Ratten durch ein Labyrinth laufend eine neue Umgebung kennenlernen mussten, geschah dies auch dann, wenn sie diese lediglich auf einem Computerbildschirm zweidimensional gezeigt bekamen. Diese Ergebnisse bieten vermutlich auch eine Erklärung für das sich verschlechternde Merkvermögen bei Kindern, wenn kurz nach der Schule oder dem Lernen ferngesehen oder am Computer gespielt wird, denn dann konkurrieren die neuen Informationen mit den Lerninhalten aus der Schule.

In einer neueren neurowissenschaftlichen Studie von Christian Holst (2012) für die Werbeindustrie sollten ProbandInnen hundert bekannte und unbekannte Logo-Werbebotschaft-Kombinationen erlernen, davon fünfzig auf Papier und fünfzig auf dem Bildschirm. Während des anschließenden Lerntests wurde die Aktivierung verschiedener Hirnareale gemessen und untersucht, ob die Unterschiede in der Informationsaufnahme rein visuell am Computerbildschirm sowie visuell und taktil beim Lernen vom Papier auch Unterschiede beim Abruf der gelesenen Informationen mit sich bringen. Es zeigte sich, dass Gedrucktes nachhaltiger wirkt und auch länger im Gedächtnis bleibt als Informationen, die nur am Bildschirm gelesen wurden. Gedrucktes ist offensichtlich im Vergleich zu elektronischen Medien das einprägsamere Medium, wobei der Blick in dass Gehirn der Probanden belegte, dass das Gedruckte eine intensivere Lernleistung auslöst, und dass bei der Erinnerung an auf Papier präsentierten Inhalten zusätzlich Gehirnareale aktiviert werden, die beim Ertasten und Berühren eine Rolle spielen, was die Gedächtnisleistung vermutlich unterstützt. Die Studie belegt damit, dass gedruckte Informationen nachhaltiger wirken als Informationen, die nur auf dem Bildschirm dargestellt werden.

Digitales Lesen heißt meist auch multimediales Lesen, mit Hyperlinks, bewegten und interaktiven Grafiken, Animationen, sodass solche digitalen Leseelemente das Gehirn stark beanspruchen können. Das hat sich bei Untersuchungen mittels EEG gezeigt, wobei bei einer Internet-Suchaufgabe eine sehr hohe Aktivität im Frontalbereich des Gehirns auftrat. Lesen im Internet ist anstrengender und tendenziell oberflächlicher, denn Ressourcen, die für ein tiefes Lesen nötig wären, werden durch Klicken und Multimedia verschwendet. Vor allem das längere Lesen funktioniert am Bildschirm onicht so gut wie das Lesen eines Buches, sodass das Lesen auf Papier, vor allem das Lesen längerer Texte in Büchern, wichtig bleibt, denn damit lernt man Konzentration und das Verfolgen längerer Gedankengänge. Digitalen Medien sollten daher beim schulischen Lernen vor allem unterstützenden Charakter haben, sofern sie überhaupt einen didaktischen Mehrwert besitzen. Es darf daher auch im Unterricht nichts ungeleitet geschehen und SchülerInnen dürfen mit dem multimedialen Angebot nicht überfordert werden. Digitale Medien haben aber für die individuelle Förderung ein hohes Potenzial, den im Unterricht kann man dadurch viel besser differenzieren, besonders wenn die Klassen sehr heterogen sind, etwa bedingt durch unterschiedliche soziale Herkunft. Im Gegensatz zu systemgeführten multimedialen Lernumgebungen zeichnen sich Hypermediasysteme durch ein hohes Maß an Interaktivität aus. Diese Interaktivität wird in der jeweiligen Literatur als Lernendenkontrolle bezeichnet. Aus mehreren Gründen wird diese Lernkontrolle als ein großer Vorteil von Hypermedien beim Lernen und Lehren angesehen. So kann etwa die Kontrolle der Lernenden das Interesse und die Motivation der Schüler erhöhen, den adaptiven Unterricht erleichtern oder die aktive und konstruktive Informationsverarbeitung ermöglichen (Scheiter & Gerjets, 2007).

In einer Umfage an dänischen Universitäten wurde festgestellt, dass das fachliche Niveau der Studierenden seit Jahren abnimmt, denn 38 Prozent der befragten Universitätslehrer sind der Ansicht, dass die StudentInnen weniger können als noch vor fünf bis zehn Jahren, nur 8,5 Prozent sind der Ansicht, dass sie ein höheres fachliches Können haben als die Generation vor ihnen. Die Lehrenden beklagen vor allem, dass grundlegende theoretische und methodische Fertigkeiten ebenso wie die Fähigkeit, sinnvoll zu denken, fehlen, und es vielen StudentInnen schwer fällt, ein anspruchsvolles Buch zu lesen oder sich in komplexe Zusammenhänge zu vertiefen. Das Wissen wird immer oberflächlicher, wobei die Nutzung des Internets nach Ansicht der Lehrenden daran schuld sein könnte, denn diese Generation von Studierenden ist durch die neuen Medien an immer kleinere Portionen von Informationen gewöhnt worden, denn auf Grund der Usability darf ein Artikel im Internet bekanntlich nicht zu lang sein, da er sonst gar nicht mehr gelesen wird, ein Video auf YouTube ist selten länger als drei Minuten, was über Nachrichtendienst wie Twitter verbreitet wird, darf nicht mehr als 140 Zeichen umfassen. In einem Kommentar in der Presse (2011) heißt es resignierend: "Wer ständig auf dem Klick ist und nach der nächsten Mail und der Aktualisierung auf Facebook schielt, wirkt nicht nur unkonzentriert, er verändert auch seine Hirnphysiologie. Das Gehirn wird dauerhaft überlastet, ohne dass Informationen ins Langzeitgedächtnis gelangen können, denn um Zusammenhänge zu begreifen und zu verinnerlichen, braucht das Gehirn Zeit. Dafür gibt es keinen Kurzbefehl oder Umweg. Die Unis werden „Lernen lernen“-Kurse einrichten müssen, um zu vermitteln, wie man liest, lernt und versteht – oder wir werden langfristig immer dümmer."

Auch der Google-Effekt, dass durch das Internet jederzeit algorithmische Suchmaschinen verfügbar sind, sodass man schnell auf relevante Informationen zurückgreifen kann, dürfte hier einiges beitragen. Heute kann man ohne Anstrengung Informationen finden, die man früher noch in einer langen Schullaufbahn erlernen musste, sodass die Bereitschaft abnimmt, noch allzu viel zu lernen, da man ja scheinbar später jederzeit diese Rückgriffmöglichkeiten auf Internetquellen besitzt. Damit wird das Wissen zu bestimmten Lebensbereichen nach außen auf externe Speicher verlagert. Durch diesen Effekt büßen Menschen immer mehr Fähigkeiten ein, die zum Überleben wichtig sein können, oder auch um unabhängig von der Technik Handlungsfähigkeit zu besitzen. In einer Studie haben Psychologen übrigens herausgefunden, dass sich Internetbenutzer selbst für klüger halten als sie es tatsächlich sind. In einer Untersuchung stellte man den Versuchsteilnehmern auf den ersten Blick leichte, tatsächlich aber schwierig zu beantwortende Fragen - etwa warum es Mondphasen gibt oder wie Glas hergestellt wird. Manche Probanden durften die Antworten online nachschlagen, andere nicht. Danach befragten die Forscher sie zu anderen Themen. Diejenigen, die in der ersten Runde das Internet nutzen durften, überschätzten ihr Wissen bei den neuen Fragen erheblich. Menschen sind offensichtlich auf Grund der leichten Verfügbarkeit von Wissen im Glauben verhaftet, dass sie die Verbindung zum Online-Wissen als ihr eigenes Wissen betrachten.

Das Problem der großen Suchmaschinen ist jedoch meistens nicht, dass zu wenig Treffer im Ergebnis angezeigt werden, vielmehr bereitet es den NutzerInnen Schwierigkeiten, aus der oft unüberschaubaren Fülle an Informationen die wirklich relevanten Inhalte herauszufiltern. Dabei gilt, dass nur zu BenutzerInnen, die bereits ein großes Vorwissen besitzen, am leichtesten mit Suchergebnissen umgehen können. Die wichtigste Methode zur Eingrenzung des Suchergebnisses ist aber der richtign Einsatz der Suchbegriffe. Einsatz mehrerer Begriffe: Ein einzelner Suchbegriff wie zum Beispiel „Musik“ liefert Tausende unspezifische Treffer, meist den Eintrag in Wikipedia an erster Stelle. Das ist aber in solchen Fällen auch wenig geeignet, einen ersten Einstieg ins Thema zu finden, und hilft bei der gezielten Suche nach Informationen nicht wirklich weiter. Sinnvoller ist daher eine Kombination von mehreren Begriffen zu verwenden. Die Verwendung von Anführungszeichen ermöglicht eine Suche nach einer Kette von Wörtern wie einem Zitat oder einem Eigennamen. Im Ergebnis tauchen nur die Seiten auf, die den vollständigen Namen oder das ganze Zitat enthalten. Sonst werden auch Seiten angezeigt, auf denen etwa nur der Vor- oder Nachname oder eine beliebige Kombination aller Wörter auftauchen. Die Ergänzung eines gesuchten Namens durch eine Berufsbezeichnung oder eine Ortsangabe (Land, Stadt) reduzieren die Anzahl der irrelevanten Treffer. Mit einem Minuszeichen vor eine Begriff kann man diesen vom Suchergebnis auszschließen. Schließlich kann man durch das Verknüpfen einzelner Suchbegriffe mit AND zwischen zwei (oder mehreren) Suchbegriffen nach Seiten suchen, auf denen zwangsweise beide (oder alle) Schlüsselwörter enthalten sind. Siehe auch die Hilfen unserer Suchmaschine: Verfeinern Sie Ihre Suche.

Das Speichern von Informationen in der Cloud mit passender Software auf allen möglichen Devices, auf die man immer und überall zugreifen kann und die per Synchronisation auf dem aktuellsten Stand gehalten werden, führt mit den Möglichkeiten, diese später Lesen zu können, zu Datenfriedhöfen, die schon nach kurzer Zeit so unübersichtlich werden, dass man sie irgendwann einfach nur mehr löschen kann.

Medien als Werkzeug

Medien in den Händen von Kindern sind so lange unproblematisch, als sie als Werkzeug verwendet werden, aber wichtige Schlüsselfähigkeiten bzw. Metakompetenzen können Kinder nicht allein durch Medien wie das Internet, durch Fernsehen oder in Videospielen erlernen. In der Informationsgesellschaft, in der Wissen ohnehin immer und überall verfügbar ist, tritt reine Fachkompetenz zunehmend in den Hintergrund, während Fähigkeiten wie strategisches Denken, Teamfähigkeit und Flexibilität ein Kriterium für eine erfolgreiche Lebensbewältigung darstellen. Oft wird die Realität von Kindern und Jugendlichen als öde oder langweilig empfunden, daher bietet sich die Flucht in die virtuelle Welt voller Abenteuer, Reizüberflutung und Bestätigung an, doch es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen dem, was Kinder und Jugendliche an Computern und Konsolen können, und dem, was sie in der Realität wirklich können: ein Erfolg ohne Anstrengung, ohne erlebte Fehler ist kein langfristig befriedigender Erfolg, denn in der realen Welt lernen Kinder und Jugendliche zusätzlich, dass für manche Aufgaben Geduld, Ausdauer und Konzentration notwendig sind, und es keinen Reset-Knopf für die Lösung eines Problems gibt.


Siehe auch



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