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Rezension: Andreas Müller
Bock auf Lernen. Ein munterer Abgesang auf sieben Lehr-Lern-Illusionen

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Schon in früheren Büchern ("Die Schule schwänzt das Lernen. Und niemand sitzt nach" und "Eigentlich wäre Lernen geil. Wie Schule auch sein kann: alles ausser gewöhnlich") hat Andreas Müller das System Schule und das Schulwesen provokant analysiert und gezeigt, warum Schule auf Grund seiner Organisationsform und trotz zahlreicher Reformen nicht so funktioniert, wie man es erwarten würde. Zentrales Thema auch des neuen Buches "Bock auf Lernen. Ein munterer Abgesang auf sieben Lehr-Lern-Illusionen" ist es vor allem, die Unterrichtung endlich der Lebenswirklichkeit anzupassen und das System Schule konsequent und radikal umzubauen.

Andreas Müller hat nach einigen Jahren der Lehrtätigkeit an einer Handelsschule und einem Studiengang in angewandter Psychologie eine journalistische Laufbahn eingeschlagen, doch es zog ihn wieder zurück in den Bildungsbereich. Er erwarb das Institut Beatenberg und baute es zusammen mit einem Team zu einer innovativen Modellschule um. Diese Privatschule für Mädchen und Knaben der Mittel- und Oberstufe prägt als Pionierschule einen modernen Lernstil, der sich von der lehrerzentrierten Klassenzimmer-Schule zu einem selbsttätigen Lernen in offenen Arbeitsplätzen und Lernoasen hin entwickelt hat. Wer hier lernt, wird durch einen persönlichen Lerncoach unterstützt und systematisch zu Eigeninitiative und Selbstständigkeit motiviert. Andreas Müller ist auch Leiter der Learning Factory, einer Organisation zur Unterstützung von Kompetenz- und Qualitätsentwicklungsprozessen in Bildungsinstitutionen. Das „Modell Beatenberg“ findet mittlerweile an vielen Schulen quer durch Europa Verbreitung, wobei es stets um kompetenzorientiertes Lernen und Lern-Coaching geht.

In seinem neuesten Buch geht Müller von der Betriebsblindheit aus, die auf Grund falscher Erwartungen bei der Betrachtung des Systems Schule entstanden ist. Er bedient sich dabei des bekannten Phänomens "Inattentional Blindnes" (Simons & Chabris, 1999), das er für seine Zwecke variiert, und aufzeigt, dass Beobachter eines Systems auch auf Grund falscher Prämissen für das Eigentliche blind sein können.

Seine Auseinandersetzung mit den gängigen schulischen Denkmustern erfolgt an Hand von sieben Lehr-Lern-Illusionen:

Diese sieben Illusionen werden dabei einerseits durch zahlreiche bildhafte Beispiele illustriert und dekonstruiert, andererseits werden den LeserInnen aber auch argumentativ Lösungen und Methoden nahegebracht, damit die SchülerInnen "echt Bock auf das Lernen" bekommen und es nicht illusorisch bleibt, dass sie an der Schule fürs Leben lernen. Müller propagiert eine Strategie des Anpackens, damit für SchülerInnen endlich eine Umgebung entsteht, die es für diese lohnend macht, sich anzustrengen und Lust aufs Lernen zu entwickeln. Man merkt dabei seine reiche Erfahrung als Lehrer, Schulleiter, Referent und Schulentwickler. Er fordert alle Beteiligten am System Schule auf, die mentalen Handbremsen zu lösen, wenn sie durch das schulische Leben gehen. Entscheidend ist seiner Meinung nach dabei aber weniger das, was die Lehrperson tut, sondern wie sie welche Aufgaben den Lernenden stellt: Auf die "Tunwörter" kommt es an, denn sie sind es, die erfolgreiches Lernen ausmachen. Entscheidend ist Müllers Meinung nach letztlich auch, dass sich die Lernenden bei ihren Lernbemühungen erfolgreich fühlen, d. h., die Tätigkeit des Lernens selber muss für sie ebenso lohnend sein wie die Kompetenzen, die dabei erlangt werden. Was Lernende daher brauchen, sind individuell herausfordernde Lernanlässe. Der Autor nimmt häufig Bezug auf klassische psychologische Erkenntnisse zum Lernen und zur Motivation, die aber bislang wenig bis gar nicht im Unterricht berücksichtigt werden.

Müller demonstriert, dass die permanent reformierten Schulen an den sieben Illusionen krampfhaft festhalten, d. h., an den Strukturen aus dem 19. Jahrhundert wird nur gerüttelt, sie bleiben aber bestehen, obwohl sich unsere Wirklichkeit auf fast allen Ebenen enorm von der damaligen unterscheidet. Schule muss sich seiner Überzeugung nach aber diesen Veränderungen anpassen, um ihren Auftrag zu erfüllen, denn es geht um das „Kerngeschäft“ der Bildung, das Lernen. Vor allem aber geht es um Menschen, die jedoch mit dem momentanen System schlecht bedient sind, denn es stellt sich immer auch die Frage nach den zu erwerbenden Kompetenzen, für die es eine effektive Lernumgebung bedarf, bei der den Lehrpersonen als aktive Gestalter eine zentrale Rolle zukommt. Müller macht bewusst, dass Kinder eben nicht in die Schule kommen, um sich etwas anzueignen und dass Lehrer nicht dafür da sind, um den Schülern etwas beizubringen, sondern es geht darum, in Kindern die Lust aufs Lernen zu wecken, die ein Leben lang anhält. Nicht zuletzt ist es sein Konzept des Lerncoaching, das Lehrende und SchülerInnen in der Bewältigung des Lernens einander näher bringt. Müllers Ideen für eine reformierte Schule werden dabei etwa im Drei-Kreise-Modell der Lernorganisation sichtbar, in dem es um eine lebendig geführte Offenheit geht, bei der die Individualität der Beteiligten berücksichtigt wird, aber auch das soziale Miteinander im Lernprozess im Mittelpunkt steht.

Aus der Form der Darstellung, den Beispielen und der Sprache wird das hohe Engagement des Autors deutlich, insbesondere auch im Versuch, die heutige Lebenswelt der SchülerInnen und der Schule in seine Darstellung einzubeziehen. Auch wenn sich das Buch in erster Linie als Plädoyer und praktischer Leitfaden für eine neue Form von Schule versteht, wäre es kein Nachteil gewesen, die Hypothesen und Modelle durch Quellenangaben und einem Literaturverzeichnis zu belegen, um den LeserInnen zu ermöglichen, diese an Hand weiterer Literatur nachzuvollziehen und zu erweitern.

Das Buch ist vorbehaltlos zu empfehlen, wobei zu einer genauen Lektüre neben LehrerInnen, Eltern und ElternvertreterInnen, vor allem LehrerbildnerInnen, SchulpolitikerInnen und auch JournalistInnen angehalten wären, die direkt oder indirekt zur Gestaltung der Schulwirklichkeit beitragen.

W.S.


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Literatur

Simons, D.J. & Chabris, C.F. (1999). Gorillas in our midst: Sustained inattentional blindness for dynamic events. Perception, 28, 1059-1074.


Seit 1994 wird jährlich am 5. Oktober der Weltlehrertag bzw. der internationale Tag des Lehrers/der Lehrerin begangen, anlässlich der „Charta zum Status der Lehrerinnen und Lehrer“, die 1966 von der UNESCO und der Internationalen Arbeitsorganisation angenommen wurde.

Spezielle Aspekte des Unterrichtens

 



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