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Ritualisierte Gesten

Konrad Lorenz vermutete, dass in den Gesten der Menschen noch viele Anteile aus dem Tierreich stecken, insbesondere im Zusammenhang mit Instinktverhalten, Emotionen und der non-verbalen Mitteilung. Dort besteht nur ein gewisser Spielraum für transgenetische Vererbungen, wohingegen durch die Sprache ein viel höherer Freiheitsgrad existiert. Aber auch nichterbliche, rein kulturell tradierte Verhaltensweisen haben die Tendenz, sich im Dienste der Signalwirkung mit der Zeit abzuschleifen und zu verdeutlichen. Ihre ursprüngliche Bedeutung kann dabei ganz in Vergessenheit geraten. Unsere Körpersprache bewahrt einen Teil unserer kollektiven (genetischen wie kulturellen) Vergangenheit, der uns als Individuen längst in Vergessenheit geriet.

Beim Kuss schüttet der Körper Hormone aus, der Herzschlag beschleunigt sich und der Blutdruck steigt, wodurch der Kuss auf Gehirn und Immunsystem auch positive Auswirkungen hat. Der Kuss, der auch bei Schimpansen als Geste der Zuneigung vorkommt, ist möglicherweise ein von unseren evolutionären Ahnen aus der Kinderaufzucht abgeleitetes und im folgenden ritualisiertes Mund-zu-Mund-Füttern, bei dem ursprünglich das Muttertier seinen Jungen vorgekaute Nahrung in den Mund schob. Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat ausführlich die "Kuss-Fütterung" beim Menschen dokumentiert, die zum Beispiel bei den Himbas in Afrika auch heute noch praktiziert wird. Die Mutter kaut dabei die Nahrung für ihr Kind vor und überträgt sie dann per Mundkuss. Mund-zu-Mund-Fütterung ist auch bei vielen anderen Tierarten, etwa bei Vögeln, üblich. Aus seinen Beobachtungen entwickelte Eibl-Eibesfeldt die Vorstellung, das Küssen von erwachsenen Menschen sich irgendwann aus der Kussfütterung des Nachwuchses entwickelt haben könnte. Andere Wissenschaftler interpretieren den Kuss hingegen als rein sexuell motiviertes Verhalten, das als Ersatz für das Beschnüffeln im Anal- bzw. Genitalbereich entstanden ist. Der Geruch dieser Region ist für sie entscheidend, denn beim Kuss beschnüffeln Menschen, ritualisiert in die Intimdistanzzone eindringend, etwa bei Begrüssungen, aber auch als intimes Paar. Das geschieht vor allem dann oft und gerne, wenn man den Geruch des anderen schätzt, sodass der Kuss als Mittel dazu dient, herauszufinden, ob man jemanden riechen kann, denn am Mund laufen der Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn zusammen, also Sinne, die bei der Partnerwahl eine wichtige Rolle spielen. Küssen ist beim Menschen über viele Kulturen hinweg verbreitet, wobei auchmanche Primaten wie Schimpansen und Bonobos hie und da ähnliches Verhalten zeigen, aber unregelmäßiger als Menschen. Bonobos und Schimpansen küssen eher zum Stressabbau, manchmal auch im Spiel. In einer Studie wurden Menschen aus verschiedenen Ländern zu ihren Einstellungen zum Küssen befragt, wobei man fand, dass Menschen, die anspruchsvoll bei der Partnersuche sind, das Küssen am Anfang ihrer Beziehungen viel wichtiger ist als Menschen, die weniger selektiv sind. Frauen finden Küssen wichtiger als Männer, was vielleicht damit zusammenhängt, dass bei den Säugetieren generell die Weibchen selektiver in der Auswahl eines Partners sind als Männchen. Übrigens: Wenn Menschen sich küssen, dann werden die Augen geschlossen, wobei nicht ein Instinkt diese Reaktion steuert, da das Gesicht des Partners ohnehin so bei großer Nähe nicht mehr wahrgenommen werden kann, sondern weil die Küssenden einfach nur mehr empfinden wollen, indem sie sich voll auf ihren Tast- und Geschmackssinn konzentrieren. Wenn man die Augen schließt und dadurch die visuellen Einflüsse ausblendet, bleiben mehr Ressourcen im Gehirn für die anderen beteiligten Sinne frei. Philematologie ist übrigens die Wissenschaft vom Küssen und beschäftigt sich damit, warum der Mensch küsst und welche Prozesse dadurch in Gang gesetzt werden.

Die Verbeugung, der Bückling, der Diener des deutschen Knaben von gestern wie der Knicks des deutschen Mädchens ist eine ritualisierte Unterwerfungs- und damit Beschwichtigungshandlung, eine schwächere Form der Selbsterniedrigung, deren extremste die Prostration ist: Man wirft sich vor dem überlegenen Wesen auf den Boden und berührt den Staub vor dessen Füßen mit dem Angesicht.

Das vermutlich universale verneinende Kopfschütteln ist entweder, wie schon Darwin annahm, eine ritualisierte Brustverweigerung des satten Säuglings oder das ritualisierte Abschütteln eines lästigen Gegenstandes. Der Ursprung dieser Bewegung läßt sich schon beim Säugling beobachten, der auf einen aversiven Stimulus den Kopf zur Seite und somit Auge und Nase vom Reiz weg bewegt. Im Verlauf der Evolution kam es vermutlich zu einer Ritualisierung, wobei jedes Signal eindeutig sein muß, daher wurde es immer auffälliger ausgeführt: durch ein Vergrößern der Kopfdrehung bis über die Mittelachse des Körpers, sowie durch Wiederholung der Bewegung.

Das nicht ganz so universale bejahende Kopfnicken ist eine angedeutete ritualisierte Beschwichtigungs- und Unterwerfungsgeste: Ja, sieh, mein Blick weicht deinem nach unten aus, mein Kopf senkt sich demütig; damit ist unser ritualisierter Disput hoffentlich rituell entschieden - kurz, du hast recht. Eine Ritualisierung erfolgte auch hier durch die Wiederholung und bedeutet: ich beuge mich dem, was du sagst, ich bin einverstanden. Eine scheinbare Ausnahme dieser Regel bilden Griechenland und Bulgarien, sowie Teile von Indien. Dort wird das "nein" durch ein Hochwerfen des Kopfes ausgedrückt in Verbindung mit dem Schließen der Augen und dem Rümpfen der Nase. Diese Geste stellt jedoch eine klare Ablehnung dar, ein Verschließen der beiden Zugänge sowie ein vom anderen Wegdrehen. Das "ja" in diesen Ländern ist ein langsames Hin- und Herbewegen des Kopfes als Zeichen des Abwägens, das durch kulturelle Übereinkunft zum "ja" wurde.

Eine verbreitete Grußgebärde, besonders im militärischen Bereich, ist die Bewegung der Hand zum Kopf. Sie dürfte zurückgehen auf die Gebärde des mittelalterlichen Ritters, mit der er den Helm seiner Rüstung absetzte, ehe er sich freundlich mit jemandem unterhalten konnte. Aus dem Helmabnehmen wurde ein Hutziehen, eine zackige Bewegung der Hand ans Käppi und ein legerer ziviler Schlenker der Hand in Richtung Kopf. Anders gesagt: Der Handgruß ist ein ritualisiertes Hut- oder Helmabnehmen.

ln diesem Sinn läßt sich das lehrerhafte Drohen mit dem Zeigefinger als ein ritualisierter Stockhieb bezeichnen. Der Schlag der Faust auf den Tisch ist eine ritualisierte Verprügelung des Gegners. Das Achselzucken ist das ritualisierte Abschütteln einer Last.

Die griechische "Mouiza", eine Beschimpfungsgeste, bei der den Beschimpften die Handfläche mit gespreizten Fingern entgegengestreckt wird, ist ein ritualisiertes Bewerfen mit Dreck: sie geht zurück auf die Handbewegung, mit der einst durch die Straßen geführten Verbrechern und Gefangenen Kot ins Gesicht geworfen wurde.

Das Herausstrecken der Zunge, Zeichen der Abneigung oder des Abscheus, ist ein ritualisiertes Ausspucken ekelhafter Nahrung.

Das Brauenzusammenziehen ermöglicht, die Lichteinfallmenge genau zu dosieren, um somit die Netzhaut optimal zu schützen. Die äußere Lichtschutzsperre besteht aus einem beweglichen Gewebereing um das Auge mit der Augenbraue als wichtigstem Teil, die zweite Sperre ist der innere Blendenapparat der Iris. Die kommunikative Bedeutung des Brauenzusammenziehens im zwischenmenschlichen Bereich vermittelt über das "finstere" Gesicht eine skeptische Ablehnung. Es kommt zum Abblenden vom anderen, weil das Einverständnis für dessen Interaktion fehlt. Siehe dazu auch den Augengruß.

Das Naserümpfen ermöglicht es, den Luftstrom zur Nase dann einzuengen, wenn ein unangenehmer Geruch wahrgenommen wird. Dies geschieht reflektorisch und unwillkürlich. Als kommunikatives Signal steht es für eine milde soziale Mißbilligung und eine leichte Distanzierung, durch die eine freundliche Interaktion jedoch nicht gefährdet wird.

Nach einer kanadischen Studie (Jessica Tracy & David Matsumoto, University of British Columbia in Vancouver) an der Haltung von Judokas aus 30 Ländern - auch blinde Sportler waren darunter - sind sportliche Siegerposen vermutlich angeboren. Dazu wurden Fotoserien ausgewertet, die über einen Zeitraum von 15 Sekunden unmittelbar nach dem Kampf aufgenommen worden waren. So konnte man die Reaktionen der Sportler sekundengenau beobachten und typische Positionen von Kopf, Armen und Körper analysieren. Alle Sportler demonstrierten ihren Stolz über einen Sieg auf ähnliche Weise: Sie rissen die Arme in die Höhe, dehnten ihre Brust und warfen den Kopf nach hinten. Auch die Reaktion bei einer Niederlage war bei blinden und sehenden Judokas ähnlich: die Verlierer verbargen ihr Gesicht und ließen die Schultern hängen, sodass ihre Brust schmaler wirkte. Allerdings unterdrückten einige der sehenden Sportler ihre Schamgefühle und demonstrierten stattdessen bewusst Selbstachtung, da in ihren Kulturen das Zeigen von Scham nicht üblich ist. Sportler aus kollektivistisch geprägten Nationen hingegen hatten beim Ausdruck von Schamgefühlen keine kulturellen Hemmnisse zu überwinden und zeigten diese daher offener. Diese These wird auch dadurch gestützt, dass von Geburt an blinde Athleten Schamgefühle über kulturelle Grenzen hinweg eher offen zeigten. All diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Ausdruck von Stolz und Scham nicht durch Nachahmen erlernt wird, sondern angeboren ist ("PNAS“).

Gelernte Fingergesten

Viele Wissenschaftler haben versucht, die Syntax und die Semantik der erlernten Körpersprache wissenschaftlich dingfest zu machen. Jesse Chandler und Norbert Schwarz berichten im „Journal of Experimental Social Psychology“ von einer Studie über den emotionalen Effekt der Körpersprache nicht bei den Zielpersonen der Körpersprache, sondern bei jenen, die ihre Finger sprechen ließen, also der zweiten Grundart der Körpersprache , die vom kulturellen Lebenskreis abhängt und erlernt wird. Die Forscher erzählten StudentInnen, sie seien die perfekten Forschungsobjekte, um einen Zusammenhang zwischen Muskelbewegung und Leseverstand aufzudecken – einen Zusammenhang, der nicht existiert. Die Testkandidaten lasen in diesem Versuch einen Text über Donald. Dieser Donald, so die Geschichte, zahlte die Miete nicht – sein Vermieter habe sich um dringende Reparaturen an der Wohnung nicht gekümmert. Die Details der Geschichte waren so doppelsinnig, dass genug Platz blieb für reichlich Fantasie – bei den einen war Donald der arme, abgezockte Mieter, bei den anderen der illegale Hausbesetzer. Während des Lesens sollten einige der Studenten ihre Finger dehnen: Wahlweise den schlimmen mittleren oder auch den Zeigefinger. Nach der Lesestunde beschrieben die Probanden ihre Gefühle, wobei jene Studenten, die den Mittelfinger bemüht hatten, viel finsterer aus dem Versuch heraus kamen, als die Zeigefinger-Kandidaten, und sich nicht besonders um Donald, den Mietschuldner kümmerten, sondern ihn als finstere, bösartige, destruktive Person beschrieben. Offensichtlich bringt die Mittelfinger-Geste schlechte Gedanken mit sich, wobei sich die ProbandInnen dessen gar nicht bewusst waren, dass sie gerade den schlimmen Finger zeigten. Sie stempelten instinktiv einen Unbeteiligten als Fiesling ab. Umgekehrt funktionierte die Daumen-hoch-Geste.

Jesse Chandler und Norbert Schwar wiederholten das Experiment, in denen mmer dann, wenn sie die Probanden baten, ihren Daumen oder den Zeigefinger zu spannen, Donalds Beliebtheitswerte stiegen. Frauen ließen sich in ihren Gefühlen stärker von ihren Daumen leiten als Männer – ein Unterschied, der in der Mittelfinger-Studie nicht sichtbar war. Frauen verfolgen vermutlich in Konfliktsituationen meistens eine Nett-und-freundlich-Strategie, deshalb gehen sie grundsätzlich viel freizügiger mit positiver Körpersprache um.

Nach Reinhard Krüger haben die meisten dieser Gesten einen sexuellen Ursprung Krüger arbeitet an einer „Etymologie der Alltagsgesten“, mit der er die Herkunft und die Bedeutung von Gesten erklären will. Schon in der Antike sei der Mittelfinger als „digitus impudicus“, als unzüchtiger Finger, berüchtigt gewesen. Ursprünglich war der Mittelfinger aber auch der „digitus medicinalis“, mit dem die Ärzte Salbe auftrugen. Seit der ausgehenden Antike, seitdem man begann, „mit dem Mittelfinger einen Phallus zu machen“, habe jedoch der Ringfinger diese Aufgabe übernommen. Krüger vermutet dahinter den „moralischen Druck“, die heilende Hand des Arztes von der niederen Obszönität zu befreien.

Quelle: Bodderas, Elke (2009). Was der Stinkefinger zu sagen hat.
WWW: http://www.welt.de/wissenschaft/psychologie/article3369465/Was-der-Stinkefinger-zu-sagen-hat.html (09-03-14)

Das Niederknien, die Kniebeuge und der Kniefall

Literatur

Gehrlach, Andreas (2020). Knie nieder, beweg die Lippen zum Gebet, und du wirst glauben! Eine Kulturgeschichte des Kniefalls. Live-Zoom-Lecture.
https://de.wikipedia.org/wiki/Niederknien (18-09-14)
https://www.ministrantenportal.de/wissen/gottesdienst/haltungen-gebaerden.html (18-09-14)

Das Niederknien oder die Kniebeuge, bzw. der Kniefall ist eine Demutsgeste gegenüber einer überlegenen Person, etwa einem König oder politischen Herrscher, wobei vielfach Niederknien als Ausdruck der religiösen Verehrung einer Göttlichkeit oder eines Fürsprechers ausgeführt wird. In zahlreichen Religionen wird daher das Niederknien praktiziert, sowohl als Anbetung als auch als Gebets- und Meditationshaltung, während es im profanen Bereich das Niederknien als symbolische Geste etwa beim Heiratsversprechen gibt.

Es gibt dabei zahlreiche Formen und Nuancierungen mit unterschiedlichen symbolischen und rituellen Bedeutungen, wobei die motorischen Bewegungen des Niederkniens reichen von der Andeutungen einer Beugung des Knies (Knicks) bis zur vollständigen Niederwerfung (Prostratio etwa bei der Priesterweihe).

Das Niederknien vor politischen Herrschern wurde schon einige hundert Jahre vor Christus von Alexander dem Großen in Europa eingeführt, der bei seinem jahrzehntelangen Feldzug die Sitten und Gebräuche der Gegenden und Reiche übernahm, die er erobert hatte. Dazu gehörte auch die proskynesis, die Niederwerfung vor dem Herrscher, die aber immer auch ein religiöses Element hatte, denn Alexander begann sich selbst als eine Art Gottkönig zu betrachten. Aristoteles hingegen fand die Niederwerfung vor einem Herrscher barbarisch und falsch.

Wer niederkniet, unterwirft sich einer Autorität und ordnet sich in einer Hierarchie ganz unten ein. Das Wort ‚Hierarchie‘ ist in diesem Kontext der Auseinandersetzung über die Funktion des Kniens entstanden, als ein Kirchenvater die heilige Ordnung, also die ursprüngliche Bedeutung von Hierarchie, der Engelschöre und Priester beschrieb. Das Niederknien war aber zu jedem Zeitpunkt seiner Geschichte umstritten und hatte immer eine etwas andere Bedeutung. Immer wurde dabei die Frage gestellt: Warum genau tut man dies, was wird darin ausgedrückt, und wer hat überhaupt das Recht, dies einzufordern?

So knien etwa in katholischen Gottesdiensten oder wenn bei Prozessionen das Allerheiligste präsentiert wird, die Menschen nieder, während das die protestantischen Gläubigen nicht tun. Übrigens gingen auch die römischen Legionäre - hier aus Spott und Ironie - vor dem gekreuzigten Jesus auf die Knie. Insbesondere in der christlichen Spätantike wurde viel darüber nachgedacht, ob der große, allmächtige und allwissende Gott es überhaupt nötig hatte, dass man vor ihm ein bestimmtes Gelenk benutzte, denn wer wirklich mächtig ist, braucht solche Demutsbezeugungen nicht. Der heilige Augustinus kam zu dem Schluss, dass es durchaus sinnvoll war, beim Gebet zu knien, jedoch nicht für Gott, für den eine solche Akrobatik nicht nötig war, sondern um sich und den eigenen Körper zu disziplinieren und sich selbst in die rechte demütige Stimmung zu bringen, um zu beten.

Das Knien als eine liturgische Gebärde hat in den Riten der römisch-katholischen Kirche im ausgehenden Mittelalter, zum Teil erst im 16. Jahrhundert, Einzug gehalten und erfuhr ihre endgültige, allgemein verpflichtende Festsetzung durch das Missale von Pius V. In den ersten Jahrhunderten wurde beim Gottesdienst nur gestanden, was heute noch in der Liturgie der Ostkirche der Fall ist, die das Knien bzw. die Kniebeuge in ihren Riten überhaupt nicht kennt. Das Knien kam vermutlich durch das mönchische Chorgebet im Mittelalter auf, bei dem diese knieten, was dann zur Errichtung von Kirchenbänken führte, in denen die Gläubigen während der Messe knien konnten.  In der katholischen Liturgie unterscheidet man nach einem Ministrantenportal das "normale" Knien während der verschiedenen Teile der heiligen Messe von den Kniebeugen, die während des Altardienstes bzw. beim Betreten und Verlassen der Kirche sowie des Vorbeigehens am Tabernakel gemacht werden. Dort wird auch erklärt: "Wie kniet man richtig? Zum Knien komme ich, indem ich aus der Kniebeuge nicht aufstehe, sondern das zweite Bein, nämlich das linke, auch nach hinten ziehe. Nicht mehr meine Füße tragen mein Gewicht, sondern meine Knie. Mein Rücken bleibt dabei immer gerade. Aus dem Knien aufstehen geht genau umgekehrt: zuerst zurück in die Kniebeuge, dann erst aufstehen. Richtig gekniet wird also mit beiden Knien (zuerst mit dem rechten, dann mit dem linken Bein)" ;-)

In der Moderne ist mit dem Footballer Colin Kaepernick, der bei der Nationalhymne aus Protest gegen die nicht zu leugnende Polizeigewalt in Amerika nicht mehr stehen wollte, sondern auf ein Knie ging, eine widerständige Art des Kniens entstanden. Die Kulturgeschichte des Kniens ist daher ebenso eine Geschichte des Gehorsams wie des Widerstandes und der Selbstbehauptung.

Hautfarbe als Signal

Literatur

Yadon, Nicole & Ostfeld, Mara C. (2020). Shades of Privilege: The Relationship Between Skin Color and Political Attitudes Among White Americans. Political Behavior, doi:10.1007/s11109-020-09635-0.
Anthropologen wissen, dass weibliche Haut innerhalb jeder Ethnie rund zehn bis fünfzehn Prozent heller ist als männliche, d. h., Blässe wirkt schon deshalb besonders weiblich, aber sie setzt auch andere Signale, etwa dass man nicht auf dem Feld arbeitet. Europas Adel pflegte eine vornehme Blässe, Ähnliches findet sich in Kulturen Asiens, wobei in Japan die Obsession mit dem Weiß vor Jahrhunderten begann, wobei die Moden des Puderns und Schminkens fließend in die der Hautaufhellung übergingen. In Indien erkannten die alten Kastengesellschaft das gesellschaftliche Oben und Unten unter anderem am Teint, denn blass zu sein signalisiert eine "hohe" Herkunft. Die Amerikaner segregierten in Sklavereizeiten Menschen nach Hauttönung in Haus- und Feldsklaven (Colorism), wobei allein an der Tönung der Haut eine bestimmte Form der Ungleichbehandlung festgemacht wurde. Dem Hellhäutigen wurde dabei ein höherer sozialer Stand zuerkannt als dem Dunkelhäutigen, wobei aktuelle Studien nachweisen, dass auch in den USA eine blassere Hauttönung noch immer die Wahrscheinlichkeit von Wohlstand und Karriere erhöht. Mit Hautbleichmitteln wird heute angeblich mehr Geld umgesetzt als mit Bräunungs- und Sonnenschutzprodukten, wobei weltweit bis zu 27 Prozent aller nicht-weißen Frauen Hautaufheller benutzen sollen.

Yadon & Ostfeld (2020) haben den Einfluss der Hautfarbe auf das menschlichen Grundbedürfnis, Gruppenzugehörigkeit zu empfinden, untersucht. Bekanntlich ist es schon Kindern wichtig, zu wissen, wer zu ihrer Peergroup gehört, wobei sie früh auch den Schmerz kennen lernen, ausgeschlossen zu sein und ignoriert zu werden. Die Forscherinnen haben gezeigt, dass weißen US-Amerikanern mit verhältnismäßig dunklem Hautton ihre Zugehörigkeit zu ihrer demographischen Gruppe besonders wichtig ist, wobei sie konservativere Ansichten als ihre weißen Landsleute mit hellerem Hautton vertreten. Auch in den politischen Einstellungen offenbarten sich deutliche Unterschiede zwischen hellen Hellhäutigen und im Vergleich dunkleren Hellhäutigen, denn so brachten die Teilnehmer mit dunklerem Teint der demographischen Gruppe der weißen Amerikaner im Schnitt mehr Hochachtung entgegen. Noch deutlicher war der Unterschied bei der Frage, ob jeder Bürger der USA in der Lage sein solle, Englisch zu sprechen, denn auch diese Überzeugung war bei Probanden mit dunklerem Hautton deutlich stärker ausgeprägt. Offenbar fühlen sie sich gezwungen, ihren Status und ihe Identität zu verteidigen, indem sie diese Form der Gruppenidentität besonders betonen, positiv beschreiben und gegen andere abgrenzwn.

Augen in der KommunikationAugengruß

Literatur:
Bayer, Johanna (1998). Haarige Gesten. http://www.quarks.de/haare/0203.htm (05-02-28)
Eibl-Eibelfeldt, I. (1968). Zur Ethologie des menschlichen Grußverhaltens. Zeitschrift für Tierpsychologie 25, S. 727 - 744.
Hauswald, A., Lithari, C., Collignon, O., Leonardelli, E., & Weisz, N. (2018). A visual cortical network for deriving phonological information from intelligible lip movements. Current Biology, 28, 1453–1459.
Moore, Monica M. & Butler, Diana L. (1989). Predictive Aspects of Nonverbal Courtship Behaviour in Women. Semiotica, 76 (3-4), S. 205 ff.
Zimmer, Dieter E. (2007). Unsere stumme Sprache. Zeit-Magazin, S.4-10.
http://www.ghdhair.com/de (08-05-05)
http://www.news.de/gesundheit/855024107/
frisierter-spiegel-der-seele/1/ (09-09-09)
http://attraktivitaet.wordpress.com/2008/01/19/
hallo-welt/ (09-09-09)


Psychological Science Bd. 15, Nr. 2.
Blank, Helen & von Kriegstein, Katharina (2012). Mechanisms of enhancing visual–speech recognition by prior auditory information. NeuroImage 65, 109–118.

Eine der wichtigsten sozialen Gesten ist der so genannte Augengruß, beschrieben von Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Der Augengruß ist eine Geste positiver Zuwendung und lässt sich weltweit bei allen Menschen in ganz verschiedenen Kulturen beobachten: Für ganz kurze Zeit, etwa 1/16 Sekunde, werden die Augenbrauen symmetrisch angehoben, oft lächelt der Mensch dazu. Dieser Augengruß tritt besonders in der Interaktion mit kleinen Kindern auf, selbst in Kulturen, die sonst mit körpersprachlichen Mitteln eher sparsam umgehen (wie etwa in Japan). Der Augengruß gehört offensichtlich zu den angeborenen Gesten des Menschen, genauso wie das Lächeln. Und weil diese Geste so wichtig ist, lässt sich vielleicht erklären, warum uns ein völlig haarloses Gesicht, dem Augenbrauen und Wimpern fehlen, irritiert.

In einer britischen Studie (Lynda Boothroyd et al., University of Durham) konnten junge Männer und Frauen beim Anschauen von Fotos gut einschätzen, ob die abgebildeten Personen Flirts und sexuellen Abenteuern zugeneigt sein könnten. Im ersten Teil der Studie verwendete man Bildern, die mit einer Fotobearbeitungssoftware generiert worden waren. Zunächst wurden Männer und Frauen fotografiert und nach ihren sexuellen Vorlieben befragt. Dann erstellte man pro Geschlecht zwei Bilder mit gemittelten Gesichtszügen - jeweils aus den Personen, die sich als offen für Affären oder als interessiert an langfristigen Beziehungen ausgegeben hatten. Anschließend mussten die Testteilnehmer entscheiden, wie sie diese Durchschnittsgesichter einschätzen. Um die Fähigkeiten im Gesichterlesen unter alltäglichen Bedingungen zu prüfen, zeigte man im zweiten Teil der Studie anderen Testpersonen unbearbeitete Fotos von Personen, die zuvor über ihr Sexualleben Auskunft gegeben hatten. Auch hier konnten die Probanden meist identifizieren, welche Art der Bindung die Abgebildeten bevorzugten. Während Männer die als sexuell offen eingeschätzten Frauen attraktiver fanden, interessierten sich Frauen mehr für jene Männer, die nach ihrer Meinung stabile Partnerschaften bevorzugen. Dagegen stuften sie die besonders maskulin wirkenden Männer mit kantigem Kiefer, großer Nase und kleinen Augen als eher untreu ein. Während Männer flirtbereit scheinende Frauen generell attraktiver als andere fanden, bevorzugten Frauen jene Männer, die solide auf sie wirkten. Dagegen stuften sie Männer mit kantigem Kiefer und großen Nasen als eher untreu ein. Im Laufe der Evolution haben die Menschen offensichtlich gelernt, jede auch noch so feine Regung eines Gegenübers binnen kürzester Zeit zu interpretieren. Das Gesicht verrät also nicht nur Angst, Freude oder Unsicherheit, sondern ebene auch, wie offen jemand für einen Flirt und mehr ist.

Trotz der scheinbaren Symmetrie des Gesichts zeigt es einige asymmetrischen Eigenschaften. Michael Nicholls (Universität Melbourne) berichtet, dass die rechte Mundhälfte wichtiger für das Verstehen von Sprache ist als die linke, d.h., im Gespräch achten Menschen intuitiv eher auf die rechte Mundhälfte ihres Gesprächspartners, da diese für das Verstehen einer Aussage offensichtlich wichtiger ist als die andere. Man ließ dreißig Testpersonen einen Kurzfilm beobachten, in dem Sprecher einzelne Silben aussprachen, wobei der Mund entweder zur Hälfte bedeckt oder komplett sichtbar war. Mithilfe des "McGurk-Effektes" konnten die Psychologen beurteilen, welche Mundhälfte die Spracherkennung stärker bestimmt. Dabei wird das Gehirn durch eine abweichende Aussage von Sehen und Hören in die Irre geführt, indem man zur gleichen Zeit eine andere Silbe, als er an den Lippen ablesen kann, vorspielt. Das Gehirn zieht dabei aus den widersprüchlichen Eindrücken einen falschen Schluss. Je mehr Information das Gehirn aus dem Lippenlesen erhält, desto ausgeprägter ist der McGurk-Effekt. Deckten die Psychologen die rechte Mundhälfte ab, nahm die Zahl der richtigen Aussagen zu. Da die visuelle Aussagekraft der linken Mundhälfte geringer ist, ließ sich das Gehirn auch weniger täuschen. Keine Unterschiede in der Spracherkennung gab es hingegen, als die Probanden einen unbedeckten oder einen nur zur linken Hälfte bedeckten Mund oder beobachteten. Gefühle werden offensichtlich stärker durch die Bewegung der linken Gesichtshälfte ausgedrückt, während sich die rechte Seite des Mundes beim Sprechen weiter öffnet und mehr bewegt.

Beim Lippenlesen werden visuelle und auditive Informationen synchronisiert

Bekanntlich hilft Lippenlesen, die Worte eines Gesprächspartners vor allem in einer lauten Umgebung besser zu verstehen, wobei Untersuchungen (Blank & von Kriegstein, 2012) gezeigt haben, dass Wörter und Lippenbewegungen einander umso besser zugeordnet werden, je größer die Aktivität im oberen temporalen Sulcus des Gehirns ist, also jener Gehirnregion, in der visuelle und auditive Informationen miteinander verknüpft werden. Beim Lippenlesen muss das Gehirn ja Informationen aus verschiedenen sensorischen Quellen verbinden, wobei offenbar durch die akustische Vorinformation eine Erwartungshaltung darüber entsteht, welche Lippenbewegungen man sehen wird, und ein Widerspruch zwischen Vorhersage und dem tatsächlich Wahrgenommenen als Fehler registriert wird. Dabei unterscheiden sich Menschen deutlich in dieser Fähigkeit.

Hauswald et al. (2018) haben untersucht, ob beim Lippenlesen das Gesehene die gehörte Information unterstützt und wie die beteiligten Gehirnareale zusammenarbeiten. Die Lippenbewegungen sind oft ein wesentlicher Teil der Information, die Menschen beim Hören bekommen, denn wenn Menschen schlecht hören oder taub sind, müssen sie sich bekanntlich stärker auf andere Informationen wie eben Lippenbewegungen verlassen. In einer Untersuchung wurden Probanden mit normalem Hörvermögen Videos mit Lippenbewegungen ohne Ton vorgespielt und dabei die Aktivität des Gehirns gemessen. Dabei sahen die Probanden die Lippenbewegungen eines vorwärts gesprochenen Textes und ein Video mit einem rückwärts gesprochenen Text. Dabei zeigte sich, dass das Gehirn nur beim vorwärts abgespielten und damit verständlichen Text die visuellen Informationen im visuellen Cortex in ein gedachtes akustisches Signal umwandelt, während beim rückwärts gesprochenen Text das Gehirn mit den Informationen nichts anfangen konnte. Offenbar fügt der visuelle Cortex bei der Beobachtung natürlicher Lippenbewegungen die passende akustische Hülle hinzu, selbst wenn kein Ton gehört wird.

Eigene Einstellung beeinflusst die Interpretation des Ausdrucks

In einer Studie der Universität Otago wurden Versuchspersonen aufgefordert, am Computer erstellte, ausdruckslose Gesichter entweder als wütend oder glücklich zu interpretieren. Danach sahen die Teilnehmer eine Computersimulation, in der sich die Gesichter von einem glücklichen zu einem wütenden Ausdruck hin veränderten, wobei die Probanden jene Miene identifizieren sollten, die sie vorher gesehen hatten. Dabei hatte sich die anfängliche Interpretation offensichtlich fest eingeprägt, denn jene, die das Gesicht als zornig betrachtet hatten, wählten nun eher eine wirklich wütende Miene, jene, die ein vermeintlich glückliches Gesicht gesehen hatte, entschied sich für den freudigen Ausdruck. Beim Auswählen imitierten die Versuchspersonen mit ihren eigenen Gesichtsmuskeln jene zornige oder glückliche Miene die sie vorher zu sehen geglaubt haben. Menschen sehen offnsichtlich die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern wie sie selber sind, d.h., dass der eigene Glaube die Wahrnehmung der Umwelt grundlegend beeinflusst.

Kulturunterschiede am Beispiel Spanien-Deutschland

Die Spanierin Laura Rodríguez Alonso berichtet nach einem Deutschlandbesuch von einem "Kulturschock", den sie verspürt hat, dennsie hatte zwar eine andere Sprache erwartet, aber nicht einen so unterschiedlichen Kommunikationscode, der nach ihrer Meinung nach schwieriger zu lernen ist als die Sprache. Sie berichtet über die Unterschiede in den Grußformeln und Höflichkeitskonventionen bei Tisch (Kürzungen von mir; W.S.):

Die Art und Weise der Begrüßung

Wir Spanier haben eine fast pauschale Weise der Begrüßung, die auch für jede Art von Beziehung gültig ist: Los dos besos, d.h. zwei Küsse auf die Wange Alle Menschen begrüßen sich so, mit Ausnahme von Mann zu Mann, in diesen Fällen wird einfach die Hand gegeben. In Deutschland gibt es drei Arten und Weisen der Begrüßung. Die Erste: Sich nur kurz Hallo sagen und kurz lächeln. Die Zweite: Die Hand geben, diese ist die häufigste, und diese ist auch gültig für alle möglichen Kombinationen zwischen Männern und Frauen. Und die Dritte: sich umarmen, diese ist ein eindeutiges Zeichen von Vertrauen, und es ist, wie die zweite, gültig für alle Kombinationen. Zu Beginn meines Aufenthaltes in Deutschland fiel es mir sehr schwer, auf die zwei Küsse auf die Wange zu verzichten. Langsam habe ich es mir abgewöhnt und mich an das andere Verhalten gewöhnt, aber trotzdem habe ich lange gebraucht, bis ich nach Gefühl wissen konnte, welche von den drei Begrüßungsarten bei jeder Gelegenheit die richtige war. Mittlerweile habe ich dieses Gefühl erworben und wenn ich wieder in Spanien bin, habe ich Hemmungen, wenn ich jemanden, den ich gar nicht kenne und den ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde, oder der mir unangenehm ist, auf die Wange küssen muss. Die Situation hat sich jetzt geändert: Was mir früher fremd in einem fremden Land war, ist mir jetzt fremd in meinem Heimatland. (...)

Heesen et al. (2021) beobachteten die Kommunikation von Bonobos und  Schimpansen und entdeckten dabei, dass diese miteinander kommunizieren, sowohl bevor als auch nachdem sie sich auf eine gemeinsame Tätigkeit einlassen. Bei Menschen gilt es als unhöflich, nach einem Gespräch ohne Verabschiedung zu gehen oder ohne Begrüßung eine gemeinsame Aufgabe anzupacken. Man analysierte dabei das Verhalten der Primaten bevor und nachdem sie sich gegenseitig das Fell pflegten oder miteinander spielten. Demnach tauschten Bonobos in neunzig Prozent der Fälle gezielt Signale aus, bevor sie sich auf die gemeinsame Tätigkeit einließen, bei den Schimpansen geschah dies in knapp siebzig Prozent der Fälle. Nach dem Spiel oder der Fellpflege war die Kommunikation, die etwa Berühren, Händchenhalten oder gegenseitiges Anstarren beinhaltete, sogar noch ausgeprägter. Interessanterweise zeigte sich ebenfalls, dass Bonobos schwächere Signale sendeten, wenn das jeweilige Gegenüber ein Gruppenmitglied war, das ihnen sozial nahestand, sodass dieses Verhalten demjenigen ähnlich ist, das bei Menschen als soziale Etikette gilt, d. h., wenn man mit einem guten Freund interagiert, ist es weniger wahrscheinlich, dass man sich viel Mühe gibt, besonders höflich zu kommunizieren.

Höflichkeitskonventionen

(...) Es ist weltweit bekannt, dass Spanier eher grob, trocken und temperamentvoll sind. Wir sprechen auch viel lauter als die Deutschen. Die Worte Danke, Bitte, Entschuldigung, Verzeihung, usw. werden viel öfter verwendet als gracias, perdón oder por favor. Ich musste mir Mühe geben, um diese Wörter öfter zu benutzen, oft fand ich es einfach lächerlich, immer noch bei mir vertrauten Leuten trotzdem bitte und danke sagen zu müssen. Ich habe es mittlerweile bestätigt bekommen, dass ich nicht die einzige bin, die das gespürt hat. Ich habe mich darüber mit meinen engen deutschen Freunden unterhalten und für sie war es am Anfang auch komisch, da mein Tonfall ihnen fremd war. In Bezug auf dieses Thema muss ich an das Frühstück denken. (...) Ich habe in Heidelberg 15 Monate in einem Studentenwohnheim gewohnt und seit zwei Jahren wohne ich in einer Wohngemeinschaft in Saarbrücken, und immer mit deutschen Mitbewohnern. Mit denen habe ich viele Frühstücke gemacht, die Stunden am Wochenende dauerten, mit allen Delikatessen, die man sich wünschen kann: Nutella, frischen Croissants, leckerem Brot, Käse, selbst gemachten Marmeladen u.a. Und ich musste immer denken: Wie viel Zeit wird verloren und wie viele Gespräche werden unterbrochen, um jemanden um die Milch, das Brot etc. zu bitten. Für mich waren diese Wörter, und diese ganzen Sätze unnötig und überflüssig, da ich einfach dachte: Wenn er mir nicht die Milch gibt, dann gebe ich ihm nachher auch nicht die Butter. Ich hätte es einfach mit einer Geste verlangt, oder mit so wenigen Worten wie möglich, z. B.: Gib mir die Milch, oder einfach: die Milch.

Mateship in Australien

Das Wort Mate (Freund) wird z. B. in Australien als freundliche Grußform verwendet, wobei praktisch jeder in Australien als Mate bezeichnet wird. Als Reisender in Australien muss man sich daher darauf einstellen, mit einem "How is it going mate?" begrüßt zu werden, wobei der Begriff geschlechtsneutral ist und für Männer wie Frauen gleichermaßen verwendet wird. Mateship kennt keine Klassenunterschiede, denn ob im Outback, in der Stadt, in Büros, in Clubs, Pubs, Parks oder in Supermärkten Australien teilen Menschen die tiefverwurzelten Werte des Mateship, wobei Mateship auf die ersten Sträflingslager im 18. Jahrhundert zurückgeht und für Gleichheit, Loyalität und Freundschaft steht.

Der richtige Händedruck beim Händeschütteln

Geoffrey Beattie (London) stellte zwölf Grundregeln für den richtigen Händedruck auf, denn schließlich ist das Händeschütteln eines der wesentlichsten Elemente für den ersten Eindruck bei Begegnungen und dient zusätzlich als Informationsquelle, sich ein Urteil über den anderen Menschen zu bilden. Wichtig ist ein fester Händedruck mit der ganzen Hand, und zwar mit der rechten Hand, denn ein schlaffer Händedruck deutet auf Unsicherheit hin, aber ein allzu forscher Händedruck verweist auf Überheblichkeit. Die beiden Hände solchen sich optimal auf halber Höhe treffen, wobei ein dreimaliges Schütteln angemessen sei, denn länger als zwei oder drei Sekunden sollte man die Hand des Gegenübers nicht festhalten. Die Handfläche sollte beim Händeschütteln kühl und trocken sein. Während des Händeschüttelns sollte man dem Anderen in die Augen schauen und den Blick halten, wobei ein natürliches Lächeln auch gut ankommt.

Manche Menschen halten beim Verabschieden die linke Hand hinter dem Rücken, sind dabei leicht nach vorne gelehnt und reichen die rechte Hand zum Händeschütteln. Diese Haltung bzw. Geste stammt aus dem späten Mittelalter, denn damals war es nicht unüblich, einen Gegner zum Essen einzuladen und dann mit der linken Hand Gift in den Becher zu gießen oder in der linken Hand ein Messer zu halten, mit dem man zustechen konnte. War das Ziel der Einladung jedoch nur ein freundschaftliches Treffen, wollte man durch diese Geste seinem Gast versichern, dass er in Sicherheit war. Dazu band man den Sklaven oder Dienern, die das Essen servierten, die linke Hand auf den Rücken, sodass der Gast sah, dass die Diener ihm nicht das Essen vergiften oder ihn gar erstechen konnten, und fühlte sich in Sicherheit. Diese Geste gilt heute noch in der gehobenen Gastronomie und bis heute gilt es als Zeichen der Höflichkeit die linke Hand auf den Rücken zu legen, wenn man serviert oder sich zu verabschieden. Übrigens: Schon im alten Ägypten hielten die Diener nicht nur beim Einschenken die linke Hand hinter dem Rücken. Im antiken Rom wurde dem bedienenden Sklaven die linke Hand auf den Rücken gebunden, und in der Ritterzeit gab es das Anstoßen mit den Sitznachbarn, wobei darauf geachtet wurde, dass einige Tropfen des eigenen Getränks in das Glas des Nachbarn schwappten, denn hätte der Nebenmann seinem Gegenüber heimlich Gift ins Getränk geschüttet, würde er sein eigenes Getränk nach dem Anstoßen nicht mehr anrühren.

Bei der Begrüßung sind Berührungen am Unter- oder Oberarm ein territorialer Übergriff, denn so wird nonverbal ein Führungsanspruch deutlich gemacht. Dasselbe gilt, wenn ein Partner beim Händeschütteln seine Hand nach oben dreht und den anderen dadurch in den Griff nimmt, wodurch eine dominante Handlungsabsicht deutlich wird, die der andere als Herabsetzung interpretieren muss. Übrigens ist auch eine nur angedeutete Verbeugung vor dem Gesprächspartner eine Unterwerfungsgeste, denn wer sich schon beim Handschlag auf diese Weise klein macht, verspielt seinen Status, sodass das folgende Gespräch dann kaum auf Augenhöhe ablaufen wird.

Wissenschaftler in Israel wollen in einem Experiment herausgefunden haben, warum Menschen einander überhaupt bei einer Begrüßung die Hände schütteln, denn angeblich schnuppern Menschen danach völlig unbewusst an ihren Händen, wodurch der Nase chemische Duftstoffe zugeführt werden, die viel über das Gegenüber verraten, also ähnlich, wie auch Hunde einander beschnuppern. Für die Studie wurde eine Gruppe von Probanden von einem Versuchsleiter per Handschlag willkommen geheißen, eine Kontrollgruppe wurde nur mit Worten begrüßt. Als die Teilnehmer danach vermeintlich unbeobachtet in einem Raum warten sollten, waren sowohl Länge als auch Intensität des unbewussten Schnüffelns an der Hand bei den mit Handschlag begrüßten Probanden deutlich länger.

Bekanntlich kann ein Händedruck kräftig, feucht oder schwach sein, wobei dieser neben Unsicherheit und körperlicher Schwäche auch einiges über die mentale Gesundheit preisgibt. Wissenschaftler der Boston University untersuchten in der Framingham-Offspring-Studie bei über zweitausend Männern und Frauen (Durchschnittsaltern 62 Jahre) im Zeitraum von 1999 und 2005 den Zusammenhang zwischen der körperlichen Fitness und möglichen Hirnerkrankungen. Dabei konnte man einen Zusammenhang zwischen dem Händedruck und Demenz beziehungsweise Alzheimer feststellen, denn TeilnehmerInnen, deren Händedruck besonders schwach war, also unter einer Stärke des zehnten Perzentils (für Frauen unter 15 kg, für Männer unter 30 kg) lag, erkrankten später eher daran. Menschen mit einem schwachen Handschlag haben dabei ein 2,5-fach höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken, wobei TeilnehmerInnen über 66 Jahre zudem anfälliger für einen Schlaganfall waren. Man vermutet daher, dass die Stärke des Händedrucks als Indikator für die Struktur und Funktion des Gehirns dient.

Gestik der rechten und linken Hand

"Gut" und "böse" sind in vielen Kulturen jeweils mit rechts und links assoziiert, wobei wie im Englischen "right" sowohl für richtig als auch für rechts steht. Mit dieser kulturellen Prägung lässt sich nach neuere Forschungen von Casasanto & Jasmin (2010) allerdings nur die Gestik von Rechtshändern erklären, denn Menschen verbinden positive Botschaften nicht mit einer bestimmten Körperseite, sondern mit der Seite, die bei ihnen persönlich dominiert. Menschen nutzen die nichtdominante Hand häufig für negative Botschaften und unterstreichen damit die negative Inhalte häufiger als mit der nichtdominanten Hand. Die Hand, die ein Sprecher für seine Gestik bevorzugt benutzt, sagt also viel darüber aus, was er tatsächlich über seine Botschaften denkt, wobei sich kaum ein Sprecher dabei bewusst ist, welche Botschaft er mit seinen Gesten an die ZuhörerInnen sendet.

Warum greifen sich Menschen ins Gesicht?

Wenn sich Menschen im Gesicht berühren, ist dies ein Überlebensphänomen, d.h., es ist keine Übersprungshandlung, sondern eine Entspannung für das Gehirn, die in Experimenten im EEG abgelesen werden kann. Ausgelöst wird dieser Beruhigungseffekt durch den Kontakt der Hände mit den so genannten Vellushaaren, wobei sich diese kleinen, feinen Härchen im Gesicht vor allem in den Regionen von Nase, Stirn und Kinn befinden. Sie sind in der Haut von Rezeptoren umgeben, die den Berührungsreiz direkt an das Gehirn weiterleiten. Wenn Menschen in einer Stresssituation daran gehindert werden, sich ins Gesicht zu fassen, kann sich ihr Gehirn nicht beruhigen. Werden die Hände nach dem Experiment losgelassen, berührten die Versuchspersonen ihr Gesicht mehrmals kurz hintereinander, und erst dann beruhigen sie sich. Menschen berühren ihr Gesicht bis zu sechshundert Mal am Tag, um sich mit dieser Geste in Stresssituationen unbewusst zu beruhigen. Es ist leicht zu beobachten, wie Redner während ihrer Präsentationen oder Reden immer wieder ganz kurz ihre Wangen, Nasen, Kinn oder Ohren berühren. Vermutlich ist die Fähigkeit, durch Selbstberührung Stress abzubauen, auch für die Gedächtnisleistung entscheidend (Stangl, 2022).

Tiere kraulen

Ein Tier zu kraulen entspannt nicht nur das Tier, sondern auch den Menschen, denn eine Streicheleinheit von acht Minuten am Tag, hilft den Blutdruck zu senken und den Puls zu beruhigen, das Immunsystem zu stärken und die Stimmung zu heben. Verantwortlich dafür sind wie immer Endorphine, also Glückshormone, die der menschliche Körper ausschüttet, sobald sich Hand durch das Fell eines Tieres wühlt. Katzen schneiden in ihrer beruhigend-heilsamen Wirkung nach Untersuchungen doppelt so gut ab wie Hunde, denn ihr Schnurren entfaltet eine therapeutische Wirkung. Katzen schnurren nicht nur, wenn sie sich wohlfühlen, sondern auch, wenn sie verletzt sind, d.h., das tieffrequente Schnurren unterstützt Gelenke und Muskeln beim Heilen.

Übrigens hat eine britische Studie gezeigt, dass auch Pferde beim regelmäßigen Kraulen ihr Wohlbefinden ausdrücken: eine genießerisch vorgestreckte Oberlippe, verzückt halbgeschlossene Augen und ein gereckter Hals, wodurch Pferde deutlich zeigen, wie sehr sie dieses Kraulen genießen. In der Pferdeherde ist die soziale Fellpflege ein sozialer Kitt, denn die gegenseitige Berührung ist äußerst angenehm, senkt nachweislich den Cortisolspiegel im Blut und auch den Stresslevel. Das Beknabbern an den bevorzugten Körperpartien regt die Hautzellen an, woraufhin Oxytoci ausgeschüttet wird. In der Untersuchung integrierten Pferdebesitzer das Kraulen dreißig Tage lang fest in ihre Routinen. Interviews zeigten danach, dass diese neue Gewohnheit schnell zum Pflege-Ritual gehörte und Pferd und Mensch gute Gefühle bescherte. Die Pferde trugen zum Teil sogar selbst dazu bei, dass die neue Routine nicht vergessen wurde, indem sie das Kraulen aktiv einforderten, sodass die positiven Erfahrungen mit dem Pferd während des Kraulens die Probanden zusätzlich motivierte, die neue Routine beizubehalten.

Gibt es eine evolutionäre Basis von menschlichen Gesten?

Vermutlich hat sich die menschliche Sprache Schritt für Schritt entwickelt, wobei am Anfang womöglich der Austausch von Lauten, einfachen Wörtern und Gesten stand, die Inhalte und Absichten transportieren sollten. Solche kommunikativen Vorformen finden sich tatsächlich auch bei unseren nahen tierischen Verwandten, wobei bisher mehr als 80 bedeutungsvolle Gesten bei Menschenaffen identifiziert wurden. Sie signalisieren etwa, wenn die Tiere ein Stück Futter, von ihren Artgenossen gekrault oder auch in Ruhe gelassen werden wollen, wobei es zwischen den verschiedenen Arten erstaunliche Ähnlichkeiten gibt. Betrachtet man allerdings die menschliche Gestik, hat sie nicht sehr viel mit den kommunikativen Bewegungen von Affen gemein, denn Menschen verwenden zwar sehr wohl ausschweifende Gesten, um das Gesprochene zu begleiten, generell sind die menschlichen Handbewegungen aber oft sehr individuell und auch kulturell geprägt. Allerdings findet man solche Gesten eher bei Kindern zwischen ein und zwei Jahren und weniger bei Erwachsenen.
In einem Online-Experiment von Hobaiter et al. (2022) sahen die Probanden Videos von gestikulierenden Schimpansen oder Bonobos, wobei die Geste parallel schematisch dargestellt war und nur eine Gruppe erhielt zusätzlich Erklärung zur dargestellten Situation. Man hatte dabei zehn Affengesten ausgewählt, deren Bedeutung bekannt ist. Es zeigte sich, dass die Affengesten in mehr als 50 Prozent der Fälle korrekt interpretiert wurden, also die Treffsicherheit deutlich höher war, als durch reinen Zufall erwartbar gewesen wäre. Die zusätzlichen Erklärungen zum Kontext der Gesten haben die Anzahl der richtigen Antworten dabei kaum erhöht. Offenbar haben Menschen ein basales Verständnis des ursprünglichen Kommunikationssystems behalten hat, obwohl er diese Gesten längst nicht mehr nutzt, d. h., die Affengesten könnten Teil eines evolutionär alten Gestenvokabulars sein, das alle Primaten teilen.

Literatur

Alonso, Laura Rodríguez (2005). Das Leben in Deutschland aus spanischer Sicht.
WWW: http://www.g-daf-es.net/lesen_und_sehen/germanistik/lra1.htm (06-11-12)

Casasanto, D. & Jasmin, K. (2010). Good and Bad in the Hands of Politicians: Spontaneous Gestures during Positive and Negative Speech. PLoS ONE 5(7): e11805. doi:10.1371/journal.pone.0011805.
WWW: http://www.plosone.org/article/fetchObjectAttachment.action;jsessionid= C750F16D8041DF129A0D00E032BA9894.ambra01?uri=info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0011805&representation=PDF (10-07-28)

Heesen, Raphaela, Bangerter, Adrian, Zuberbühler, Klaus, Iglesias, Katia, Neumann, Christof, Pajot, Aude, Perrenoud, Laura, Guéry, Jean-Pascal, Rossano, Federico & Genty, Emilie (2021). Assessing joint commitment as a process in great apes. iScience, doi:10.1016/j.isci.2021.102872.

Hobaiter, C., Graham, K., & Byrne, R. W. (2022). Are ape gestures like words? Outstanding issues in detecting similarities and differences between human language and ape gesture. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 377, doi:10.1098/rstb.2021.0301.

Stangl, W. (2023, 25. Jänner). Gibt es eine evolutionäre Basis von menschlichen Gesten? Stangl notiert ….
https://notiert.stangl-taller.at/forschung/gibt-es-eine-evolutionaere-basis-von-menschlichen-gesten/
Stangl, W. (2023, 25. Jänner). Gesten. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
https://lexikon.stangl.eu/16879/gesten.

Stangl, W. (2022, 29. Mai). Warum greifen sich Menschen ins Gesicht? Psychologie-News.
https://psychologie-news.stangl.eu/4201/warum-greifen-sich-menschen-ins-gesicht.

http://www.nachrichten.at/ratgeber/familie/art124,429992 (10-07-19)

http://www.welt.de/print/wams/lifestyle/article13839482/Neuigkeiten-aus-der-Tierwelt.html (12-01-28)

http://www.focus.de/gesundheit/news/was-die-begruessung-verraet-schwacher-haendedruck-das-koennte-ein-hinweis-auf-ihr-demenzrisiko-sein_id_5856507.html (16-08-26)

https://www.cavallo.de/pferdeverhalten/so-gut-tut-routinemaessiges-kraulen-mensch-und-pferd/ (21-09-02)

Siehe auch Die elf Todsünden der Kommunikation - und wie man es besser macht ...

Überblick: Was ist nonverbale Kommunikation?



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